„Diversity ist eine Haltung“

Die Mischung macht‘s: Unterschiedliche Menschen können wertvolle Beiträge zum Unternehmenserfolg leisten. Illustration: Adobe Stock/melita

Simone Rieß, Marlene Neumann und Tanja Eggers kooperieren, um durch Infoangebote mehr Vielfalt in der Arbeitswelt zu ermöglichen. Sie sind überzeugt, dass von einer offenen und wertschätzenden Kultur nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen profitieren.

Ihnen allen ist es ein wichtiges Anliegen, Vielfalt in der regionalen Arbeitswelt zu fördern. Was sind aus Ihrer jeweiligen Sicht die wichtigsten Dimensionen von Diversity?

Simone Rieß: Ich möchte keine Wertung vornehmen, denn ein Mensch vereint grundsätzlich alle Dimensionen von Diversity: Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft.

Marlene Neumann: Diese verschiedenen Merkmale treten nie isoliert auf. Oft kommen mehrere Aspekte zusammen, die möglicherweise zu einer Benachteiligung im Berufsleben führen, das nennt man Intersektionalität. Dieser Blickwinkel kann dabei helfen, Menschen oder Gruppen zu identifizieren, die in besonderem Maße Unterstützung benötigen, und dann passende Maßnahmen zu etablieren. In der Praxis ist es auch nicht so, dass Maßnahmen nur eindimensional wirken. Flexible Arbeitszeitmodelle beispielsweise kommen allen zugute.

Tanja Eggers: Je nach Unternehmen, je nach Führungskraft, je nach Personenkreis stehen immer andere Dimensionen im Fokus. Mir ist wichtig, zu betonen, dass Diversity eine Haltung ist – kein To-do oder Maßnahmenkatalog. Diversity ist mehr als die Frauenquote oder das Generationenthema, wenngleich diese beiden Punkte in der öffentlichen Diskussion oft im Vordergrund stehen.

Eine wertschätzende, vorurteilsfreie Unternehmenskultur bringt Mitarbeitenden Vorteile. Inwiefern profitieren Unternehmen wirtschaftlich davon?

Neumann: Es gibt viele Studien, die belegen, dass gemischte Teams effektiver arbeiten. Mit Blick auf die Corona-Pandemie gibt es Studien, die belegen, dass divers aufgestellte Teams auch krisenfester sind, weil sie verschiedene Perspektiven einbringen. Sie haben sozusagen nicht nur eine Lösungsstrategie, sondern können die Situation ganzheitlicher betrachten und mehrere Ansätze finden, um Krisen zu bewältigen. Vielfältige Perspektiven helfen Unternehmen auch dabei, auf globalen Märkten zu agieren, sich auf unterschiedliche Kundenbedürfnisse einzustellen und Innovationen zu entwickeln. Hinzu kommt: Die Menschen bleiben länger in den Unternehmen.

Das heißt, gelebte Vielfalt steigert die Bindung an das Unternehmen?

Neumann: Es ist ganz simpel: Wo Menschen sich wohlfühlen, da bleiben sie natürlich gerne. Personalwechsel sind ja auch immer mit Aufwand und Kosten verbunden, insofern ist ein wertschätzendes Umfeld, das Vielfalt Raum bietet, ein Vorteil für Unternehmen.

Rieß: Diversity hilft übrigens nicht nur, Mitarbeitende zu binden, sondern auch, sie zu finden. Eine offene, vielfältige Unternehmenskultur, die Belange der Mitarbeitenden in den Blick nimmt, trägt dazu bei, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und erleichtert das Recruiting.

Worauf müssen Unternehmen achten, um das Potenzial von Diversity bei der Suche nach Fachkräften zu nutzen?

Eggers: Sprache erzeugt Wirkung. Ich doziere am Bildungscampus Heilbronn zu Leadership und Diversity Management und stelle fest, dass die Studierenden sehr stark darauf achten, wie Unternehmen kommunizieren. Wird Gender-Sprache verwendet? Positionieren sie sich zu Diversity? Wie sehen die Homepage und die Social-Media-Auftritte aus? Ist Vielfalt erlebbar? All das ist relevant in der authentischen Kommunikation nach außen.

Rieß: Unternehmen sollten ihren Recruiting-Prozess unter dem DiversityBlickwinkel analysieren. Wie gestalten wir Stellenanzeigen? Wen sprechen wir damit an? Wen schließen wir möglicherweise unbewusst aus?

Eggers: Auch die Bildsprache von Stellenanzeigen sollte kritisch geprüft werden. Vielleicht sind nur Männer abgebildet, was Frauen von einer Bewerbung abhalten könnte, obwohl diese ausdrücklich erwünscht sind. Auch unterschiedliche Größenverhältnisse von abgebildeten Personen können falsche Signale senden. Das sind oft Feinheiten, die eine anziehende oder abschreckende Wirkung auf Menschen haben. Solche Nuancen werden bewusst – und teilweise unbewusst – wahrgenommen und entscheiden unter Umständen darüber, ob sich jemand auf diese Stelle bewirbt nicht. Diversity ist eine Kulturfrage im Unternehmen – weg vom einmaligen Projekt hin zu Prozessreflexion und Kulturarbeit.

Interview: Dirk Täuber

Zu den Personen:
Tanja Eggers ist Business-Coach und Geschäftsführerin von Ancoris Consulting. Simone Rieß leitet die Kontaktstelle Frau und Beruf Heilbronn-Franken. Marlene Neumann ist Leiterin des Welcome Center Heilbronn-Franken.