„Ein Heim kommt nicht infrage“

Karl-Heinz Gräfnitz aus Hegenhäule bei Mainhardt pflegt seit 18 Jahren seine Mutter. Diese wird im Oktober 103 Jahre alt. Für den Sohn, der heute selbst in Rente ist, ist die Pflege ein Vollzeit-Job, der ihm einiges abverlangt.

An diesem Morgen geht es Gertrud Schiefer nicht gut. Es ist zehn Uhr und ihr Sohn ist dabei, ihr das Frühstück zu reichen. In seiner Hand hält er ein weichgekochtes Ei. Er gibt ihr löffelweise davon. „Das ist wichtig. Da sind gute Stoffe für dich drin“, sagt Karl-Heinz Gräfnitz. Die letzten Tage waren hart – für beide. Sie war unruhig, hat nachts geschrien. Dann stand der Sohn bei ihr, hat sie umgelagert, Sauerstoff gegeben, die Hand gehalten. Alles hat er dokumentiert. Ordnerweise hat er aufgeschrieben. Angesammelt in 18 Jahren.

So lange hat er seine Mutter zu Hause. Zuerst war das in Bruchsal. Da betrieb der gelernte Koch eine Gaststätte. Der Mutter, die damals schon 85 Jahre alt war, ging es schlecht. Herz und Kreislauf machten lebensbedrohlich krank. „Ich habe sie aufgepäppelt“, sagt Gräfnitz. Bis zu jenem Zeitpunkt pflegte der heute 74-Jährige kein gutes Verhältnis zu seiner Mutter. Sie hatte ihn früh abgegeben, der Stiefvater wollte keine Kinder. Er war in einer Pflegefamilie und mit 13 Jahren bereits zur Ausbildung in Stuttgart. „Du hast mich drei Jahre gehabt, ich dich 18“, sagt er manchmal zu seiner Mutter und sich selbst. Eine Feststellung, mehr nicht. Dass er seine Mutter pflegt, ist für ihn einfach so. Sie in ein Heim zu bringen, käme nicht infrage.

Vollzeit-Pfleger

Als Gräfnitz noch berufstätig war, konnte die Mutter noch alleine bleiben. Sie hatte einen Notruf-Piepser. Seit er mit 65 Jahren aufgehört hat, als Koch zu arbeiten, ist er Vollzeit-Pfleger. „Mein Tag beginnt morgens um acht und endet, wenn es ihr schlecht geht, nachts um vier“, sagt er und belegt es mit einem dokumentierten handschriftlichen Zettel. An guten Tagen gehen sie Kaffee trinken und Kuchen essen. Dann packt er die 102-Jährige ins Auto, und sie fahren in eines ihrer Stammcafés in der Umgebung von Schwäbisch Hall oder Backnang. In den letzten zwei Jahren waren sie mehr als 400 Mal Kaffee trinken.

Viel Zeit für sich bleibt dem 74-Jährigen nicht: Vor Kurzem hatte er sich im Fitnessstudio angemeldet. Zwei Mal war er dort, dann wurde die Mutter krank und er konnte nicht mehr hin. Jetzt geht es ihr besser und er kann zum Sport. Auf den 102-jährigen Schützling passen in den zwei Stunden die Nachbarn auf. Ein Mal im Jahr geht der Mainhardter dennoch für drei Wochen in Kur nach Bad Liebenzell. Dann kommt eine Schwester von „Diakonie daheim“ oder eine ausländische Pflegekraft ins Haus.

Wenn sie Kuchen essen, liest er ihr aus der Zeitung vor. Er freut sich, wenn sie rauskommen, weil es für ihn ein Erfolg ist. Dass ihre Gesundheit sich immer wieder erholt hat, sieht er auch als sein Verdienst. „Wenn ich was mache, dann richtig“.

Sonja Alexa Schmitz