Eine Klasse für sich

Gerhard Sturm ging mit zwei weiteren Unternehmer-Legenden zur Schule – seine Mitschüler hießen Reinhold Würth und Albert Berner. War es Zufall, dass aus allen Dreien Unternehmer von Weltruf wurden? Nicht nur. Vor allem trieb sie der Hunger danach, es einmal besser zu haben.

90 Jahre Gerhard Sturm
Die „Drei aus einer Klasse“ – Albert Berner, Gerhard Sturm und Reinhold Würth – halten auch Jahrzehnte später noch Kontakt. Foto: ebm-papst

Aus manchen Gesichtern spricht Ernsthaftigkeit. Man meint, die Zurückhaltenderen unter den Jungen und Mädchen auf dem ersten Blick identifizieren zu können. Andere strahlen ungebrochene Lebensfreude und Optimismus aus. Ein Schulfotograf würde heutzutage, abgesehen von Mode und Frisuren, vermutlich ein ganz ähnliches Bild schießen: Einfach Kinder. 

Auch auf dem alten SchwarzWeiß-Foto der Schülerinnen und Schüler der Künzelsauer Oberschule deutet erst einmal nichts darauf hin, dass diese Klasse etwas Besonderes ist. Nicht nur, weil das Bild wahrscheinlich gegen Ende der 1940er Jahre entstanden ist und die jungen Menschen gerade das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten. Sondern weil zwei von ihnen es später beruflich an die Weltspitze bringen werden: Gerhard Sturm und Reinhold Würth. Wäre auch noch ein Foto aus der Grundschulzeit erhalten, wäre es sogar noch spektakulärer. Von der zweiten bis zur vierten Klasse saßen sogar drei Unternehmer von internationalem Ruf gemeinsam auf der Schulbank: Sturm, Würth und Albert Berner. Eine Klasse für sich und ein Ausnahmefall für Statistiker.

„Die drei aus einer Klasse“ inspirierten Dr. Walter Döring, ehemaliger Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, Geschäftsführer der Akademie Deutscher Weltmarktführer und Autor, zu seinem gleichnamigen Buch. Darin widmet er jedem der drei Ausnahme-Unternehmer ein Porträt. Es ist auch ein Versuch, den vermeintlichen Zufall zu analysieren: Wie kam es, dass jeder Einzelne aus dem Trio einen so außergewöhnlichen Lebensweg einschlug – waren sich die drei Klassenkameraden ähnlich?

Ja und Nein, ist Döring überzeugt: „Wenn man sich anschaut, dass der eine hätte Lehrer werden sollen, der andere Pfarrer und der Dritte Metzger, dann müssen das schon recht unterschiedliche Typen gewesen sein“, sagt Döring. Gegenüber dem Magazin „Impulse“  hatte Sturm vor einigen Jahren diese Unterschiede auf den Punkt gebracht: „Ich war ein typischer Spätzünder, Albert war ein junger Wilder“, Würth solle ein zurückhaltender, „netter junger Mann“ gewesen sein.

So unterschiedlich das Trio sozialisiert war – Würth stammte aus einer behütenden Unternehmerfamilie, Berners Eltern hatten eine Metzgerei und wenig Zeit, Sturms Vater war Landwirt und Bürgermeister – eines einte die späteren Pioniere ihrer Branchen: „Sie haben mit großem Engagement und großem Erfolgswillen diese Unternehmen aufgebaut“, konstatiert Döring. Dieses Hungrig-Sein fehle ihm persönlich  bei manchen heutigen Gründern, „und ich habe bei allen Dreien den Eindruck, sie waren und sind auch heute noch hungrig nach neuen Zielen, neuen Erfolgen und neuen Aufgaben. Das imponiert mir sehr“, sagt er.

Dieser Hunger, etwas zu erreichen, war ganz wörtlich ein Bauchgefühl: Nämlich der eigene knurrende Magen, den die Kriegsgeneration zur Genüge kannte. „Wir sind in ganz, ganz schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, hatten Sehnsucht nach Dingen, die es nicht gab. Und wenn es nur Süßigkeiten oder Orangen waren“, sagte Sturm gegenüber „Impulse“. Sie alle seien von einem Ziel getrieben gewesen: Es einmal besser zu haben. „Das war die innere Triebfeder, die Zeit hat uns geholfen“, sagte Sturm. Mit der „Zeit“ als Helfer meinte er das Wirtschaftswunder – eine Phase, in der Betriebe nicht um fünf, sondern um 20 bis 30 Prozent jährlich gewachsen seien.

90 Jahre Gerhard Sturm
Gerhard Sturm (obere Reihe, Dritter von links), Reinhold Würth (mittlere Reihe, Vierter von links) und Albert Berner (nicht abgebildet) drückten gemeinsam die Schulbank in Künzelsau. Foto: ebm-papst

Alle drei trugen zum Wirtschaftswunder bei

Jeder der Drei hatte – auf unterschiedlichen Wegen – Anteil an diesem Wirtschaftswunder: Reinhold Würth, indem er aus dem Zwei-Mann-Betrieb seines Vaters nach dessen Tod ein Schrauben-Imperium machte. Albert Berner, der einst bei Würth begann und dann erfolgreich die eigene Firmengruppe in der gleichen Branche aufbaute. Und Gerhard Sturm als Ventilatoren-Vorreiter. Er war zwar im Vergleich zu seinen einstigen Klassenkameraden als Gründer etwas später „dran“, doch auch er schaffte es dank innovativer Ideen an die internationale Weltspitze. Auch viele Jahrzehnte später hält das Hohenloher Unternehmer-Dreigestirn untereinander Kontakt.

Zu erzählen haben sie sich vermutlich  immer noch einiges, etwa mit Blick auf die Weltpolitik. Denn noch etwas verbindet das Trio aus der Künzelsauer Grundschule: „Das Über-den-Tellerrand-Hinausschauen“, sagt Weltmarktführer-Experte Döring. Würth etwa sei schon sehr früh ins Ausland gegangen, als noch niemand daran gedacht habe, über Deutschlands Grenzen hinaus Geschäfte zu machen. Dazu seien es bei jedem von ihnen die Neugier und der Antrieb gewesen, Bestehendes immer weiter im Sinne der Kunden zu optimieren und kontinuierlich Innovationen zu entwickeln. 

Mit dem Wachstum ihrer Unternehmen wog zunehmend auch die soziale Verantwortung schwerer. Sturm fasste es im Impulse-Interview so zusammen: „Ein Unternehmen ist dazu da, Geld zu verdienen, um Arbeitsplätze und andere Dinge zu finanzieren“ – der Unternehmer, der sich das auflade, trage eine große Verantwortung auf den Schultern: „Alles, was er tut, wird beäugt. Geht es gut, ist er der Held. Geht es schief, hat er alles schlecht gemacht.“

Im  Fall der drei einstigen Klassenkameraden ist es nicht nur gut, sondern exzellent gegangen – sie wurden zu Helden der deutschen Wirtschaft. Auch wenn es damals wohl weder der Schulfotograf, noch ihr Klassenlehrer oder andere Betrachter bemerkt haben:  Auf dem Foto sind hungrige Jungen zu sehen. 

Natalie Kotowski