Die Gruppe „Tausendgrün“ aus Schwäbisch Hall sind rund 32 Menschen, vorwiegend mit Unterstützungsbedarf, die in wöchentlichen Kursen künstlerisch begleitet werden. Tanja Krißbach ist Leiterin dieses besonderen Seminars, dessen Werke sehr begehrt sind.
Schön hast du das gemalt, Walter“, sagt Lina Gerhardt. Sie hebt den Kopf von ihrem eigenen Bild, auf dem sie mit sehr wässrigen Farben Pünktchenlinien zieht und schaut zu Walter Schneider, der seine Leinwand hochhält. Vor einer Stunde noch war diese blau, mit einem gelben Strich in der Mitte. Den hat der freundliche Mann erweitert, mehr und mehr, sodass das ganze Bild nun eine grün verschleierte Fläche ist.
Es ist Donnerstagvormittag, halb elf. Als Erster kommt Martin. Er zieht seine Jacke aus und Tanja Krißbach hilft ihm in die Schürze. Krißbach ist Kursassistentin und Leiterin der Künstlergruppe „Tausendgrün“. 2001 entstand zunächst ein Begabtenförderkurs, dann entwickelte sich daraus die Künstlergruppe. Bis heute hat diese sich durch 28 Ausstellungen und zahlreiche Aktionen einen Namen in der regionalen Kunstszene erworben.
Die Bilder der „Tausendgrün“-Künstler sind begehrt. Bei ihrer letzten Ausstellung in der Haller Sparkasse wurden 40 von 70 Bildern verkauft. Die vorherige war ausverkauft.
Vielleicht liegt es daran, dass die Bilder das ausstrahlen, was die Menschen mit Behinderung können – und manch einer sich wünscht: frei sein. Einfach drauflos malen ohne langes Nachdenken über Kompositionen und Farben. „Sie malen aus dem Körper heraus,“ stellst die Kulturgestalterin Krißbach fest und ergänzt: „Ich lerne wahnsinnig viel von ihnen.“
Sie geht zu Martin Schneider, tauscht das volle Blatt vor ihm durch ein leeres aus. Schneider malt schnell. Mehr, als dass er malt, zeichnet er. Kleinformatige Papierzeichnungen, die er am liebsten mit Buntstiften nach Vorlagen aus der Kunstgeschichte anfertigt. Paul Klee ist sein Lieblingskünstler.
Lange Warteliste
Nach einer halben Stunde hat Schneider Lust auf Pinsel und Farbe und verlangt: „Gelb.“ Er malt zwei kleine Leinwände gelb an, nimmt einen dicken roten Buntstift und schreibt „Martin“ darauf. Krißbach fragt ihn, ob er noch einen Satz hinzuschreiben möchte. Denn: „Martin schreibt auch Gedichte“, erklärt sie. Aber der groß gewachsene, schlanke Mann nimmt einen dünnen Buntstift und schreibt lediglich ein einziges weiteres Wort: „Haus.“
Fünf solcher Kunstkurse finden im Atelier des Heims Schöneck auf dem Teurershof statt, ein Kurs in der Schwäbisch Haller Volkshochschule. Letzterer ist inklusiv. Zehn Teilnehmer besuchen das Seminar – die eine Hälfte mit, die andere ohne Behinderung. Viele Menschen stehen auf der Warteliste für „Tausendgrün“. Krißbach, die die Gruppe seit etwa zwei Jahren betreut, und die anderen Kursleiter sehen sich als Begleiter. Manchen helfen sie, indem sie ihnen die Hand führen, anderen geben sie Tipps zu Farben und Material oder stehen auch mit Anregungen zur Seite, wenn mal jemand nicht weiter weiß. Aber jeder ist frei, das aus sich selbst heraus zu malen beziehungsweise zu zeichnen, was er möchte. Nach ein paar Schnupperstunden hat dann meist jeder seine Technik und sein Material gefunden.
Der Kurs ist für heute zu Ende: Walter wäscht sich die Hände, fährt sich einmal durch die Haare, umarmt die Kursleiterin und gibt ihr einen Schmatzer auf die Wange zum Abschied.
Sonja Alexa Schmitz