Grüner Wasserstoff gilt als einer der Hoffnungsträger der Energiewende. Insbesondere für die Industrie birgt er enormes Potenzial für die Dekarbonisierung. Bis zur Marktfähigkeit sind aber noch Hürden zu überwinden.
Ein Schlüsselkonzept der Energiewende ist die Sektorkopplung. Darunter wird im Wesentlichen die Vernetzung der drei Sektoren Elektrizität, Wärmeversorgung und Mobilität verstanden. Beispielsweise kann Strom aus erneuerbaren Energien dazu verwendet werden, in anderen Sektoren den Einsatz von fossilen Energien und den damit verbundenen CO2-Ausstoß zu reduzieren. Dort, wo der Umstieg auf Strom schwierig ist, kann grüner Wasserstoff eine Alternative sein, beispielsweise in der Stahlproduktion. Die Sektorkopplung ist somit ein vielversprechender Ansatz für die Dekarbonisierung und Energiewende im Land.
Hoffnungsträger Wasserstoff
Wasserstoff spielt bei der Sektorkopplung eine entscheidende Rolle. Beispielsweise kann überschüssiger Strom aus Wind- und Sonnenenergie für die Elektrolyse genutzt werden. Wasserstoffspeicher ermöglichen eine mittel- bis langfristige Energiespeicherung – ein klarer Vorteil gegenüber kurzfristig wirksamen Batteriespeichern, wenngleich diese einen höheren Wirkungsgrad erzielen. In Verbindung mit Kohlendioxid kann Wasserstoff zu synthetischem Erdgas oder synthetischen Flüssig-Kraftstoffen (E-Fuels) verarbeitet werden. Umgewandelt in Methanol oder Ammoniak lässt er sich außerdem über weite Strecken transportieren.
Weltweite Zusammenarbeit notwendig
Lösungen für den Wasserstoff-Transport sind deshalb relevant, weil der Aufbau einer wirtschaftlichen Produktion in großem Stil nur in sonnen- und windreichen Weltregionen möglich ist. Deutschland wird seinen Bedarf von 90 bis 110 TWh bis 2030 nicht aus eigener Produktion decken können.
Für eine wettbewerbsfähige Erzeugung von grünem Wasserstoff bedarf es Anlagen in Gigawatt-Dimensionen, um Skalierungseffekte bei den Anlagenkomponenten zu ermöglichen und somit die Fixkosten bei der Herstellung zu reduzieren. Solche Elektrolyse-Anlagen benötigen außerdem große Mengen an regenerativem Strom.
Für die Wasserstoffwirtschaft in Europa sind deshalb unter anderem Südeuropa, Nordafrika oder die arabische Halbinsel interessant, wo Solarstrom günstig produziert werden kann. Zugleich steht hier Meerwasser für die Elektrolyse zur Verfügung. Die internationale Zusammenarbeit ist beim Thema Wasserstoff unabdingbar.
Besonders relevant ist grüner Wasserstoff für die Industrie, zum Beispiel für Raffinerien, die chemische Industrie oder als E-Fuels im Transportsektor. Im Gebäudesektor kann er in großen Fernwärmesystemen, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Brennstoffzellen eingesetzt werden. Auch wird er mancherorts bereits bis zu zehn Prozent dem Gasnetz beigefügt. Faktisch könnten moderne Öl-Brennwertheizungen ohne große Anpassungen mit E-Fuels anstatt mit Heizöl betrieben werden. In naher Zukunft wird es hierzulande jedoch noch zu wenig – und zu wenig günstigen – grünen Wasserstoff geben, als dass dieser rein für Heizzwecke verwendet werden kann. So ist nach wie vor Erdgas der am weitesten verbreitete Wärmerzeuger im Gebäudebestand.
Attraktive Alternative Geothermie
Im Neubau setzen Bauherren häufig auf Wärmepumpen, idealerweise gekoppelt mit einer Photovoltaik-Anlage. Erd-Wärmepumpen machen aus einem Anteil Strom drei Anteile Wärme. Neben der oberflächennahen Erdwärme ist das Potenzial der Tiefengeothermie jedoch noch weitestgehend unangetastet. Um zu einer dekarbonisierten Wärmeversorgung zu kommen, könnte Geothermie deutlich stärker genutzt werden. Es gibt bereits viele positive Praxisbeispiele, insbesondere im süddeutschen Raum, die als Referenz dienen können.
Wirtschaftlich attraktiver als grauer Wasserstoff
Während Elektrolyseure im Vergleich zur Wärmepumpe aus einem Anteil Strom lediglich ein Drittel Wärme generieren, können sie als Wärmequelle dennoch interessant sein, indem die abfallende Abwärme für die Wärmeversorgung eines Quartiers eingesetzt wird. Das erhöht zugleich die Wirtschaftlichkeit des gesamten Prozesses.
Trotz der unbestrittenen Vorteile des Energieträgers Wasserstoff für das Klima ist sein Weg zu einer breiten Anwendung noch lang. Allerdings beschleunigen die aktuellen geopolitischen Verwerfungen die Energiewende weiter. So ist grüner Wasserstoff aufgrund der gestiegenen Erdgaspreise erstmalig wirtschaftlich attraktiv im Vergleich zu grauem Wasserstoff: Laut einer Analyse von Bloomberg New Energy Finance war grüner Wasserstoff im Frühjahr 2022 in Teilen Europas, dem Mittleren Osten und Afrika mit 4,84 bis 6,68 US-Dollar pro Kilogramm günstiger als grauer Wasserstoff (6,71 USD/kg).
Grüner Wasserstoff unter zwei Euro?
Mit Strom aus geplanten Ein-Gigawatt-Solaranlagen in diesen Regionen könnte dort zukünftig grüner Wasserstoff für unter zwei Euro pro Kilogramm erzeugt werden. Die größte Herausforderung wird sein, die Infrastruktur für den Transport zu erschließen – international wie innerhalb Deutschlands.
Dierk Mutschler
Der Autor
Dierk Mutschler ist Vorstand der Drees & Sommer SE mit Sitz in Stuttgart.