Energiekrise, Fachkräftemangel, Digitalisierung: Interview mit Martin Kocher

Österreichs Bundesminister Martin Kocher ist es wichtig, Zielgruppen dort abzuholen, wo sie gerade unterwegs sind. Foto: Holey

Die Themen Energiekrise, Fachkräftemangel und Digitalisierung betreffen nicht nur Deutschland. Martin Kocher, Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft in Österreich, gibt im Interview Auskunft, wie sein Land mit den aktuellen Krisen umgeht.

Beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer sprechen Sie über die aktuellen Herausforderungen für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Mit welchen Schwierigkeiten haben es Unternehmen vor allem zu tun?

Martin Kocher: Unternehmen in ganz Europa stehen vor großen Herausforderungen. Schnell aufeinanderfolgende Krisen haben gezeigt, dass Unternehmerinnen und Unternehmer immer flexibler agieren müssen, um auf plötzlich auftretende Marktsituationen reagieren zu können. Gerade in Europa müssen wir aufpassen, gegenüber anderen Wirtschaftsräumen nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Regularien der Europäischen Union sind einerseits sehr wichtig, um einen fairen und nachhaltigen Wirtschaftsraum zu schaffen, andererseits dürfen sie den Unternehmen nicht die Wettbewerbsfähigkeit nehmen.

Das Jahr 2022 war gekennzeichnet durch Krisen. Wie haben Unternehmen in Österreich diese gemeistert?

Kocher: 2021 wurde für das Jahr 2022 ein Wirtschaftswachstum in Österreich von rund fünf Prozent prognostiziert – ohne Berücksichtigung der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Energiekrise. Durch einen starken Aufschwung im ersten Halbjahr und zahlreiche Entlastungsmaßnahmen ist es uns gelungen, dass die österreichische Wirtschaft im Jahr 2022 voraussichtlich um 4,8 Prozent gewachsen ist. Gleichzeitig haben wir die niedrigsten Arbeitslosenquoten seit 15 Jahren.

„Gerade in Europa müssen wir aufpassen, gegenüber anderen Wirtschaftsräumen nicht ins Hintertreffen zu geraten.

Besonders energieintensive Unternehmen werden in Österreich mit einem Energiekostenzuschuss gefördert. Können Sie erklären, wie die Förderung funktioniert?

Kocher: Der Energiekostenzuschuss wird von der Förderbank des Bundes, der aws, abgewickelt. Mit dem Energiekostenzuschuss 1 werden energieintensive Unternehmen mit einer Förderung von grundsätzlich 30 Prozent ihrer Mehrkosten für Strom, Erdgas und Treibstoffe in den Monaten Februar 2022 bis September 2022 unterstützt. Als energieintensiv gelten Unternehmen, deren jährliche Ener-giekosten sich auf mindestens drei Prozent des Produktionswertes belaufen. Ausgenommen von diesem Eingangskriterium sind Betriebe bis maximal 700.000 Euro Jahresumsatz. Die Förderung ist in einem Stufenprogramm geregelt – ab der Stufe 2 können nur mehr Strom und Erdgas gefördert werden. Aktuell wird zudem an einem Pauschalfördermodell für Kleinstunternehmen gearbeitet.

Gibt es weitere Hilfestellungen im Hinblick auf die Energiekrise?

Kocher: Zum Jahresende haben wir den Energiekostenzuschuss 2 präsentiert. Dieser gilt bis Ende 2023. Neu beim Energiekostenzuschuss 2 ist, dass nicht mehr nur energieintensive Unternehmen ab einem gewissen Schwellenwert unterstützt werden, sondern die Förderung diesmal breiter gefasst ist – Unternehmen müssen nicht mehr die drei Prozent Energieintensität nachweisen. Zudem haben wir die Förderintensität in der untersten Stufe von 30 auf 60 Prozent verdoppelt.

Auch das Thema Digitalisierung ist nach wie vor aktuell. Hier fördert KMU. Digital seit Mai 2022 die Beratung österreichischer Klein- und Mittelbetriebe. Welche Chancen ergeben sich hier für die Unternehmen?

Kocher: Die Digitalisierung ist ein ausschlaggebender Faktor für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort, sie schafft Arbeitsplätze und stellt sicher, dass wir wettbewerbsfähig bleiben. Mit KMU.Digital fördern wir bereits in der zehnten Runde die Beratung und Umsetzung von Digitalisierungsprojekten in Betrieben. Unternehmen können dadurch ihr Geschäftsmodell erweitern und digitale Kompetenzen ihrer Mitarbeiter verbessern.

Martin Kocher sieht noch viel Potenzial für die Fachkräfte der Zukunft – gerade durch großflächige Qualifizierungsangebote. Foto: Holey

Sie betreiben den Podcast „Zukunftschancen“, bei dem berufliche Perspektiven aufgezeigt werden. Wieso haben Sie den Podcast ins Leben gerufen?

Kocher: Es ist wichtig, Zielgruppen dort abzuholen, wo sie gerade unterwegs sind. Der Podcast „Zukunftschancen“ soll berufliche Perspektiven aufzeigen und hinter die Kulissen des Berufslebens unterschiedlichster Personen – von der Genetikprofessorin bis zum Skispringer – blicken. Es werden ungewöhnliche Karrierewege beleuchtet und die persönlichen Geschichten dahinter erfragt. Mir ist der Podcast ein persönliches Anliegen, um Bewusstsein für die vielen Facetten der Arbeitswelt zu schaffen. Vor kurzem haben wir beispielsweise eine Folge über die Rückkehr in den Arbeitsmarkt nach einem schweren Unfall mit nachfolgenden körperlichen Behinderungen eines Gastronoms vorgestellt. Solche Geschichten inspirieren hoffentlich. In der nächsten Staffel unseres Podcasts widmen wir uns künftig nicht nur relevanten Themen der Arbeitswelt, sondern auch der Wirtschaft.

„Digitalisierung ist ein ausschlaggebender Faktor für erfolgreiche Wirtschaftsstandorte.

Neben der Energiekrise, der Corona-Pandemie und der Inflation ist auch der Fachkräftemangel ein großes Thema. Wie gehen Sie in Österreich die Problematik an?

Kocher: Wir haben es während der Corona-Pandemie geschafft, durch rasche und zielgerichtete Maßnahmen eine potenzielle Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. Unser wichtigstes Instrument hierbei war das Kurzarbeitsmodell. Auch mit unserem Programm Sprungbrett ist es uns gelungen, die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren. Aktuell stehen wir vor anderen Herausforderungen. Zu Beginn des Jahres hat sich ein deutlicher Aufschwung der Wirtschaft gezeigt, natürlich gebremst durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Die Folgen des Aufschwungs haben am Arbeitsmarkt für einen deutlichen Mehrbedarf an Arbeitskräften gesorgt. Gleichzeitig haben wir auch die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert, um leichteren Zugang von internationalen Fachkräften auf den österreichischen Arbeitsmarkt zu ermöglichen und Expertinnen und Experten nach Österreich zu holen. Auch die Zahl der Beschäftigten ist auf einem Höchststand und es werden aktuell viele neue Stellen ausgeschrieben. Gehemmt wird das durch die demografischen Veränderungen. Die Babyboomer-Generation erreicht das Pensionsalter und nachfolgende Jahrgänge haben geringere Geburtenraten. Dadurch wird die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter laut aktueller Prognosen in den kommenden Jahrzehnten abnehmen, während die Zahl der Älteren in Pension deutlich zunimmt.

„Einzelne Maßnahmen werden nicht reichen, um den Arbeits- und Fachkräftemangel abfedern zu können.“

Was muss unternommen werden, um gegen Fachkräftemangel vorzugehen?

Kocher: Einzelne Maßnahmen werden nicht reichen, um den Arbeits- und Fachkräftemangel abfedern zu können. Aus diesem Grund haben wir bereits unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt, weitere denkbare Maßnahmen sind bereits in Planung. Ein wichtiger Punkt ist die Heranführung des faktischen Pensionsantrittsalters an das Gesetzliche. Damit behalten wir besonders erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger in Beschäftigung und federn den Arbeits- und Fachkräftemangel weiter ab. Fachkräftestrategien werden auf nationaler Ebene geregelt. Insgesamt gibt es noch viel Potenzial für die Fachkräfte der Zukunft, gerade durch großflächige Qualifizierungsangebote.

Martin Kocher freut sich über die niedrigste Arbeitslosenquote seit 15 Jahren. Foto: Holey

Was ist Ihrer Meinung nach eine der größten Herausforderungen für Unternehmen im kommenden Jahr?

Kocher: Die hohen Energiepreise, die sich im laufenden Jahr auf einem hohen Niveau einpendeln werden und die Suche nach Fachkräften wird die Unternehmen im laufenden Jahr stark fordern. Mit unseren Maßnahmen unterstützen wir Arbeitskräfte und Unternehmen bei diesen Herausforderungen.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Martin Kocher ist seit 2022 Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft in Österreich. Vorher war er unter anderem als Leiter des Kompetenzzentrums Verhaltensökonomie „Insight Austria“ des Instituts für Höhere Studien tätig.