Entbürokratisierung: Der neue Koalitionsvertrag setzt klare Signale – weniger Bürokratie, mehr Innovation, gezielte Fachkräfteförderung. Besonders profitieren soll der Mittelstand – und mit ihm die dynamisch wachsende Start-up-Szene in Heilbronn-Franken. Eine Region, die längst zeigt, wie wirtschaftlicher Wandel gelingen kann.

Bewältigung des Wandels in der Region im Fokus. Foto: WFG Heilbronn
Gründen in 24 Stunden? Was in vielen Ländern schon seit Jahren möglich ist, war in Deutschland lange undenkbar. Vier bis acht Wochen dauert in etwa die Gründung einer GmbH im Bundesland. Das soll sich mit dem neuen Koalitionsvertrag ab sofort ändern. Start-ups seien die Hidden Champions und DAX-Konzerne von morgen, schreiben CDU/CSU und SPD.
Entbürokratisierung
Die geplante Entbürokratisierung hat Oliver Hanisch, CEO der Campus Founders, mit seinem Team in Heilbronn schon längst formuliert. „Gründer stehen unter dem Druck in sehr kurzer Zeit und mit sehr begrenztem Budget schnelle Fortschritte zu erzielen, um Marktreife zu erreichen. Jede Ablenkung, jeder Behördengang und jedes zusätzliche Formular kostet Zeit und lenkt vom eigentlichen Ziel ab“, so der CEO. Jede Erleichterung der bürokratischen Prozesse sei ein Gewinn für die Start-up-Szene.
Und die kann sich in der Region bereits jetzt sehen lassen. Im Ranking der Start-up-Neugründungen des deutschen Start-up-Verbands steht Heilbronn auf Platz 9 in Deutschland und auf Platz 2 in Baden-Württemberg. Die Themen reichen dabei von Nachhaltigkeit bis KI. „Das Start-up HeatPump23 aus Heilbronn hat beispielsweise eine kompakte und intelligente Wärmepumpe entwickelt, die die weit verbreiteten Gasetagenheizungen in Mehrfamilienhäusern ersetzt, und in nur zwei Tagen mit den bestehenden Anschlüssen getauscht werden kann“, erklärt Hanisch. Semorai entwickele eine „Engineering-AI”, die komplexe Arbeitsabläufe von Ingenieuren in der Industrie automatisiere. Das Unternehmen Reo revolutioniere Verpackung im Personal Care Bereich. „Durch ihre Mehrwegplattform entsteht ein zirkulärer, ressourceneffizienter und datentransparenter Verpackungskreislauf“, sagt Hanisch, der sich durch den neuen Koalitionsvertrag weitere vielversprechende Start-ups in der Region erhofft.
Wachstumstreiber Entbürokratisierung
Martin Schunkert, Senior Projektmanager der Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn (WFG), sieht den geplanten Ausbau regionaler Innovationscluster für die Region als besonders chancenreich – hier „kann Heilbronn-Franken mit seiner starken Branchenvielfalt, vom Maschinenbau bis zur KI, besonders profitieren“. Die enge Verzahnung von Wirtschaft und Wissenschaft biete enormes Potenzial, um neue Technologien schneller in die Anwendung zu bringen. Denn gerade kleine und mittlere Unternehmen „benötigen unkomplizierte Zugänge, um in Forschung und Entwicklung zu investieren.“ Auch eine vereinfachte Beantragung von Digital- und Innovationszuschüssen, wie sie im Koalitionsvertrag angedeutet wird, wäre für viele KMU in Heilbronn-Franken ein echter Wachstumstreiber.
Ein Bereich, der in der Region schon in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben wurde, ist das Thema E-Mobilität. „Unsere Region ist bundesweit gut aufgestellt – nicht nur durch Zulieferer mit wachsendem E-Kompetenzprofil, sondern auch durch eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur und Forschungsinitiativen, die nachhaltige Mobilitätstechnologien vorantreiben“, so Schunkert. Im aktuellen bundesweiten Ranking belege Heilbronn beim Versorgungsgrad mit Ladesäulen den Spitzenplatz – gemessen an der Zahl zugelassener E-Autos. Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich: Der Wandel ist anspruchsvoll – gerade für Automobilzulieferer, die sich technologisch und strukturell neu aufstellen müssen. Dort setzt in der Region seit 2022 das Netzwerk Transformative an. Zwei aktuelle Projekte zeigen dabei exemplarisch, wie eng innerhalb der Region zusammengearbeitet wird – unter anderem mit der Forschung.

Anwendbare Lösungen
„Im Februar 2024 haben wir das Fraunhofer IAO und das Fraunhofer ISI mit der Entwicklung eines regionalen Zielbilds zur Zukunft der Arbeitswelt beauftragt“, erklärt Schunkert. Im Fokus stehen dabei die Bereiche Aus- und Weiterbildung, New Leadership und New Work – passgenau zugeschnitten auf produzierende KMU in der Region. Das Ergebnis der Studie liefere nicht nur eine fundierte Analyse, sondern sei ein praktisches Arbeitsinstrument für Unternehmen, Bildungsanbieter und Verbände.
Noch näher an der Praxis sei eine Workshop-Reihe, die gemeinsam mit dem Ferdinand-Steinbeis-Institut (FSTI) realisiert wurde. „In einer speziell entwickelten Qualifizierungsmaßnahme verbinden wir wissenschaftliches Know-how mit betrieblicher Umsetzung“, sagt Schunkert. Teilnehmende aus kleinen und mittleren Unternehmen entwickeln dabei eigene Pilotprojekte – etwa zu neuen Geschäftsmodellen oder innovativen Ansätzen in Marketing und Vertrieb. Begleitet von Expertinnen und Experten des FSTI „entstehen so nicht nur neue Ideen, sondern direkt anwendbare Lösungen“.
„Aktivrente“ gegen den Fachkräftemangel
Damit neue Lösungen in der Praxis auch umgesetzt werden können, benötigt es entsprechendes Personal. Um das zu erhalten und den Fachkräftemangel zu bekämpfen, setzt der neue Koalitionsvertrag unter anderem auf eine „Aktivrente“, die freiwilliges Weiterarbeiten über das Rentenalter hinaus attraktiver machen soll. Auch in diesem Bereich hat die Region bereits vorgearbeitet: mit der Plattform „Arbeit und Rente“, die den Übergang in den Ruhestand flexibler gestalten und erfahrene Fachkräfte im Job halten möchte. „Durch die enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen sollen Unternehmen und Rentner zusammenfinden“, erklärt David Schneider, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Schwäbisch Hall.
Infokasten
Text im Infokasten, ggf. mit Link.
Die Plattform diene dazu, die beiden Seiten zusammenzubringen – ein Angebot, das mit Aufkommen der „Aktivrente“ noch stärker in den Fokus geraten würde. „Die Aktivrente hat Potenzial, sinnvoll zur Bewältigung regionaler Arbeitsmarktprobleme beizutragen – insbesondere durch den Erhalt erfahrener Fachkräfte und zur Stärkung des Mittelstands“, so Schneider. Entscheidend sei, individuelle Lebensrealitäten zu berücksichtigen. Dann könne das Konzept gezielt dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, insbesondere bei hochqualifizierten Fachkräften oder in Berufen mit langen Einarbeitungszeiten.
Teresa Zwirner