Kristin Seyboth: „Diversität tut uns gut“

Schluss mit den Rollenbildern von „Jungs spielen mit Lego, Mädchen mit Puppen“ – mit diesem Denken verbauen sich Arbeitgeber Chancen und Wettbewerbsvorteile, sagt Kristin Seyboth, Vorstandsmitglied der Bausparkasse Schwäbisch Hall, im Interview mit dem PROMAGAZIN. Ihre Botschaft beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall: Frauen in Unternehmen sollten „hörbarer“ werden. Und: Unterschiede bereichern die Unternehmenskultur.

Frauen in Unternehmen
Kristin Seyboth, Vorstandsmitglied der Bausparkasse Schwäbisch Hall und Mit-Gastgeberin beim 15. „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“, sprach über Frauen in Unternehmen und Führungspositionen. Fotos: Gipfeltreffen der Weltmarktführer/ Vogt

Frau Seyboth, was ist Ihre wichtigste Botschaft an Frauen in Unternehmen?

Kristin Seyboth: Meine Botschaft an Frauen: Meiner Meinung nach macht es keinen Unterschied, ob Männer führen oder Frauen. Wir sollten den Mut haben, Verantwortung für die Themen zu übernehmen, die uns wichtig sind, und die wir gut können. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder seine eigenen Talente hat – egal ob Mann oder Frau –, die er entsprechend entwickeln sollte.

Also den Blick auf die Fähigkeiten und nicht auf das Geschlecht zu lenken?

Seyboth: Genau. Ich selbst bin im Osten Deutschlands groß geworden – Emanzipation habe ich erst nach der Wende hier kennen gelernt. Damit bin ich nicht aufgewachsen, das war damals vollkommen irrelevant. Dazu kommt, dass ich als IT-lerin in einer Männerdomäne unterwegs bin. Das hat mich aber nie gestört, ich fand es eigentlich spannend. Und das Thema war spannend, das ist das Eigentliche, was uns antreiben sollte.

Glauben Sie, dass Frauen in MINT-Berufen noch zu wenig Mut haben, in die erste Reihe zu treten?

Seyboth: Ich weiß nicht, ob es zu wenig Mut ist – ich glaube, dass Mädchen immer noch ihr Talent für MINT-Berufe zu oft abtrainiert wird. Am Ende bekommen Jungen nach wie vor Lego und Mädchen Puppen. Da fängt es schon an: Für mich im Osten war Legospielen selbstverständlich, etwa bei der Messe „Die Meister von Morgen“. Da waren bei naturwissenschaftlichen Experimenten die Hälfte der Teilnehmer Mädchen, das war vollkommen normal. Ich würde mir wünschen, dass wir diese Chance nutzen. Denn es gibt noch viel mehr Arbeitskraft und Talente als wir uns vorstellen können. Stichwort Fachkräftemangel: Da schlummert noch viel Potenzial, allein bei den Frauen.

Um dieses Potenzial zu heben, müssen viele Dinge ineinandergreifen – zum Beispiel eine verbesserte Betreuungssituation. Viele Frauen entscheiden sich ja bewusst für Teilzeit, um flexibler zu sein – und eine Führungsposition ist in der Vorstellung der meisten immer noch mit Vollzeitarbeit verbunden.

Seyboth: Bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall versuchen wir bewusst, andere Modelle einzuführen und Führung in Teilzeit zu ermöglichen. Zum Beispiel teilen sich zwei Kolleginnen oder auch ein Kollege und eine Kollegin eine Führungsposition und üben sie gemeinsam aus. Wir bieten auch Führungspositionen als 70-Prozent-Stellen. Dabei unterstützt ein zusätzlicher Manager und übernimmt einige Themen. Ich glaube, es gibt unendlich viele Möglichkeiten – es ist nur die Frage, wie man sie nutzt und wie mutig die Unternehmen in diesem Punkt sind.

Führen Frauen denn anders als Männer? Wo liegen die Unterschiede?

Seyboth: Ich glaube nicht, dass Frauen grundsätzlich anders führen als Männer. Aber vielleicht bringen sie eine etwas andere Kommunikation in das jeweilige Unternehmen, führen etwas ruhiger als Männer und sind möglicherweise ein Stück weit klarer – auch wenn sie dadurch manchmal vielleicht etwas weniger hörbar sind. Das ist aber nur eine Tendenz, es gibt sicherlich auch laute Frauen. Alles hat Vor- und Nachteile.


„Ich bin davon überzeugt, dass die Investition in Diversität für Unternehmen nach wie vor überlebenswichtig ist.“
Kristin Seyboth


Sind gerade in großen Unternehmen zu wenig Frauen an der Spitze?

Seyboth: Meiner Meinung nach würde es uns gut tun, wenn mehr Frauen in den Spitzenpositionen sitzen – und das tun sie ja auch. Es hat sich in den letzten Jahren viel getan – und das ist auch gut so. Diesen Weg sollten wir weitergehen. Denn wir bringen unterschiedliche Kompetenzen mit ein, besonders im sozialen Miteinander. Ich glaube ohnehin, Diversität fördert die besten Ergebnisse – und das hat nicht nur mit Mann und Frau zu tun, sondern etwa auch mit verschiedenen Alters- und Herkunftsstrukturen und manchmal auch unterschiedlichen Werten.

Beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ wurden die Gäste gefragt, ob Diversity „weg kann“. Was sagen Sie dazu?

Seyboth: Wenn Diversity „weg“ wäre, wäre es eine Katastrophe. Die Investition in Diversität ist nach wie vor für Unternehmen überlebenswichtig, davon bin ich überzeugt.

Dennoch stimmte etwa die Hälfte des Publikums mit „Ja“. Wie lässt sich das erklären?

Seyboth: Das ist schwierig zu beurteilen, dazu müsste man mit den Menschen sprechen, die dieser Ansicht sind. Was ich mir als Erklärung vorstellen kann: Dieser Punkt wird plakativ und oft in Unternehmen angesprochen, das Handeln passt aber nicht dazu. Wenn Diversität aber nicht gelebt wird, nicht danach gehandelt wird und es immer nur bei Sprüchen bleibt, nutzt es auch nichts. Das ist aber nur meine Hypothese.

Glauben Sie, die Unternehmen in unserer Region sind auf einem guten Weg?

Seyboth: Wenn ich Veranstaltungen hier in der Region besuche und in unseren Netzwerken aktiv bin, habe ich schon den Eindruck, dass sich in Sachen Diversität wahnsinnig viel getan hat in den vergangenen fünf bis zehn Jahren. Die Unternehmen haben erkannt, dass das eine Chance und ein wichtiger Wettbewerbsvorteil bei der Suche nach Talenten ist.


Zur Person

Kristin Seyboth ist seit 2022 Vorstandsmitglied der Bausparkasse Schwä­bisch Hall. Dort verantwortet sie das IT-Ressort, den Sparbereich, das Prozessmanagement sowie Einkauf und Lieferantenmanagement. Die Wirtschaftsinformatikerin absolvierte schon ihr duales Stu­dium bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall, bevor sie 2002 ihre Laufbahn in der Software-Entwicklung begann. Von 2012 bis 2016 leitete sie den Kredit- und Sparbereich mit rund 1.200 Mitarbeitenden. Sie führte mit ihrem Team erfolgreich ein neues SAP-Kernbankensystem Kredit ein. Das mehrjährige Projekt zählte zu den ambitioniertesten IT-Vorhaben in der Branche.


Interview von Natalie Kotowski