Führung in der Krise

Ingrid und Margareta Jäger coachen Führungskräfte auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse und eigener Erfahrungen im Management (v. l.). Foto: Jäger & Jäger GmbH

Die Corona-Pandemie hat wie ein Brennglas zahlreiche Probleme offenbart – auch bei Führungskräften. Einige wollen sich mit Hilfe von Coachings verbessern und stellen fest, dass ihre Defizite an ganz anderen Stellen liegen, als zunächst vermutet.

Wer ein Führungs-Coaching bei Ingrid und Margareta Jäger bucht, darf sich gewiss sein, dass sein Anliegen diskret behandelt wird. Nur soviel verraten sie: Neben Aufträgen von Unternehmen gibt es auch zahlreiche Privatpersonen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen. „In der Regel wollen Führungskräfte nicht, dass ihre Vorgesetzten erfahren, dass sie einen Coach haben. Sie befürchten, es könnte als Zeichen von Schwäche missdeutet werden“, sagt Ingrid Jäger. Dabei seien die Beweggründe legitim und nachvollziehbar – vor allem in der aktuellen Krise, die viele verunsichert.

„Der Bedarf an Coachings ist durch Corona deutlich gestiegen“, stellt Margareta Jäger fest. Gemeinsam mit ihrer Schwester hat sie 2019 das Start-up Jäger & Jäger in Heilbronn gegründet, um Menschen in allen Lebensphasen zu coachen. Anfangs arbeiteten sie zu zweit, doch angesichts der hohen Nachfrage seit Ausbruch der Pandemie haben sie 2020 weitere Mitarbeiterinnen eingestellt.

Drei große Themen beherrschen seither ihre Arbeit: Führung, berufliche Neuorientierung und Personal Branding. Was zuvor im persönlichen Vier-Augen-Gespräch geklärt wurde, erfolgt nun über virtuelle Kanäle wie Zoom. „Führung ist unser Hauptthema“, sagt Margareta Jäger.

Führen im Homeoffice

Die Distanz zu den Mitarbeitern im Homeoffice stelle Führungskräfte vor Herausforderungen, etwa die Angst vor Kontrollverlust. „Viele haben vor Corona kein Homeoffice ermöglicht, weil sie ihre Mitarbeiter sehen und kontrollieren wollten. Plötzlich ist das nicht mehr möglich. Wie kann da Führung noch gelingen? Das ist eine häufig gestellte Frage“, sagt Ingrid Jäger.
Die Antwort: Vertrauen schaffen. „Menschen haben ein Urvertrauen in andere. Gemeinsame Erlebnisse wie Teamevents stärken dieses Vertrauen, sind aber zurzeit nicht möglich. Was tun? Rituale sind der Schlüssel. Sie funktionieren auch virtuell und sind Bestandteil agiler Arbeitsformen, zum Beispiel die sogenannten Dailys in Scrum. Auch das sind gemeinsame Erlebnisse, die Vertrauen schaffen“, erklärt Margareta Jäger. So können Mitarbeiter Vertrauen in ihre Führungskraft aufbauen und umgekehrt. „Wenn ich vertraue, muss ich nicht kontrollieren“, ergänzt Ingrid Jäger.

Zeit zur Selbstreflexion

Ein weiterer Effekt, der durch Corona verstärkt zum Tragen kommt: Viele Führungskräfte fangen an, sich selbst und ihre Rolle zu hinterfragen. „Plötzlich sitzen sie zu Hause, sind nicht mehr sichtbar, sehen fast niemanden mehr und richten den Blick nach innen“, sagt Margareta Jäger. „Dann kommen Fragen hoch. Ich habe eine tolle Karriere gemacht, aber war es das schon? Wo stehe ich jetzt? Wo will ich noch hin? Was sind meine Ziele und wie kann ich sie erreichen?“ Vor allem in der Lebensphase 45 plus wollen einige trotz Krise einen Neuanfang wagen, den Job wechseln oder ein Unternehmen gründen.

Eigene Marke aufbauen

Die mangelnde Sichtbarkeit im Home­office habe auch das Thema Personal Branding stärker in den Vordergrund gerückt. „Vor Corona waren Führungskräfte in Unternehmen präsent. Sie konnten zeigen, was sie alles leisten, welche Ergebnisse sie erzielen“, sagt Ingrid Jäger. „Darüber hinaus konnten sie auf Veranstaltungen und Events Kontakte knüpfen, wurden als Speaker und Experten eingeladen. Seit Corona funktioniert das nicht mehr wie bisher. Sich selbst als Marke aufzubauen, eine Personal Brand zu gestalten, geht derzeit nur online.“
In ihren Coachings analysieren die Geschwister und ihr Team zunächst den Status quo, definieren Ziele und Erwartungen, erarbeiten ein Konzept für die Selbstdarstellung auf Kanälen wie Twitter, Xing und Linkedin. „Wichtig ist, zu definieren, wofür die Person stehen will. Es sollte etwas Persönliches, aber auch etwas Fachliches sein. Eine Kombination ist immer gut“, sagt Margareta Jäger. „Das Beispiel von Satya Nadella, CEO von Microsoft, veranschaulicht sehr gut, wie heute Personal Branding funktioniert. Er steht für Empathie. Durch sein behindertes Kind hat er erkannt, wie wichtig das Thema ist. Es ist in jedem seiner Posts präsent. Nur Fachwissen zu transportieren reicht heute nicht mehr. Er bespielt zwar auch das Thema Cloud, aber nur durch die Kombination wurde er vom Nerd zu einer echten Brand.“

Die beiden Coaches sehen sich auch selbst als Marke. Sie sind auf Linkedin sehr aktiv und zahlen ihrem Team die Premiummitgliedschaft. „Sowohl beim Personal Branding als auch beim Employer Branding kann ich Mitarbeiter als Markenbotschafter einsetzen“, sagt Ingrid Jäger, da sich die Mechanismen kaum unterscheiden. „Statt selbst über eigene Erfolge zu berichten, ist es effektiver, wenn das andere für einen tun. Mit jedem Post werben unsere Mitarbeiterinnen auch für uns und das Unternehmen.“
Der Faktor Mensch ist für sie von zentraler Bedeutung. „Durch unsere Kontakte zu Führungskräften und Einblicke in Unternehmen wissen wir, dass noch vieles schief läuft“, sagt Margareta Jäger. „Mit Coaching wollen wir echte Veränderungen bewirken. Das lohnt sich, denn mit unseren wissenschaftlich fundierten Ansätzen können wir Fluktuationsraten und auch Krankenstände deutlich verringern.“

Neues Mindset entwickeln

Beide arbeiten als Hochschuldozentinnen in Heilbronn und lassen neue Erkenntnisse in ihre Arbeit einfließen, um Defizite in Sachen Führung auszugleichen. „Die Probleme liegen fast nie dort, wo unsere Kunden es vermuten. Einige kommen zu uns, um Rhetorik und Kommunikation zu verbessern. Wir stellen dann fest, dass am Mindset, der inneren Haltung und am Menschenbild anzusetzen ist, um zu einer besseren Führungskraft zu werden“, sagt Ingrid Jäger. „Davon profitiert dann das ganze Unternehmen.“
Für ihr Engagement, das auch Coachings und Mentoring für junge Menschen beinhaltet, wurden Ingrid und Margareta Jäger aktuell von der Wirtschaftsregion Heilbronn-­Franken für den „Großen Preis des Mittelstands 2021“ nominiert.

Autor: Dirk Täuber