Der Hohenloher Unternehmer wird 90:
Ein Gespräch mit Gerhard Sturm und
seiner Frau Annemarie über
Innovation, Familie und
die Kraft der Heimat.
Die schlaflosen Nächte hat Gerhard Sturm nicht vergessen. „Manchmal habe ich nachts wachgelegen und dachte, wir würden es nicht schaffen“, erinnert er sich an die Zeit kurz nach der Gründung der Elektrobau Mulfingen – ebm. Aus den bescheidenen Anfängen 1963 ist längst ein Weltkonzern mit Milliardenumsatz geworden. Offen spricht der Unternehmer kurz vor seinem 90. Geburtstag über all das, was ihm wichtig war und ist.
Seine spätere Frau Annemarie war mehr als nur Beobachterin seiner beruflichen Aktivitäten. Als seine Sekretärin erlebte sie in den ersten Jahren einen „strengen Chef“, der sie forderte, sie aber auch für sich gewann. „Er war anders als die anderen Freunde, die ich damals hatte. Sein Wissen und seine Persönlichkeit haben mich fasziniert, seine Zielstrebigkeit“, erinnert sich Annemarie Sturm heute. Trotz seiner Erfolge sei ihr Mann bodenständig geblieben und habe die wenige Zeit zu Hause intensiv für die Familie genutzt, erzählt sie bei einem gemeinsamen Gespräch in der Jagstmühle in Mulfingen-Heimhausen. Die Familie hat das Hotel-Restaurant mit seiner langen Geschichte 2007 vor dem Verfall bewahrt – gelebte Heimatverbundenheit.
„Sein Wissen und seine Persönlichkeit haben mich fasziniert, seine Zielstrebigkeit.“
Annemarie Sturm
Beim Rückblick auf die Anfangsjahre der ebm muss Gerhard Sturm einmal kurz tief Luft holen. Nicht alles lief perfekt. Der sogenannte Behr-Lüfter, benannt nach dem ersten Kunden Behr aus Stuttgart, war zwar der Grundstein für den späteren Welterfolg. Doch ausgereift war das Produkt damals nicht. Viele der Ventilatoren mussten nach zu kurzer Zeit ersetzt werden. Das hinderte den jungen Unternehmer nicht daran, neue Großaufträge an Land zu ziehen. „Ich wusste genau, wenn er zu Gaggenau fährt, bringt er den Auftrag mit zurück“, erinnert sich Annemarie Sturm. Und siehe da, vom Hausgeräte-Hersteller Gaggenau gab es den ersten Großauftrag: 500.000 Motoren. Es war Erfolg und Bürde zugleich. Jetzt musste der Motor laufen.
Gerhard Sturm hatte diesen Außenläufermotor, den er schon bei seinem früheren Arbeitgeber Ziehl-Abegg weiterentwickelt hatte, in kleiner Bauform als Ventilator nutzbar gemacht. Ein mutiger Schritt, denn die technischen Herausforderungen waren enorm. „Inzwischen wurde dieser Motor mehr als 200 Millionen Mal gebaut, und er läuft heute noch“, sagt Sturm nicht ohne Stolz.
„Es war schon so, dass ich manchmal mit meinen Ideen allein dastand.“
Gerhard Sturm
Sein damaliger Mentor Heinz Ziehl hatte früh das Potenzial des jungen, hungrigen Mannes erkannt und ihn gefördert. Aus diesem Zutrauen schöpfte er auch einen Teil seines Selbstbewusstseins. Es speiste sich zudem aus einer Mischung von technischem Verständnis, Marktkenntnis und dem Glauben an die eigenen Fähigkeiten. „Es war schon so, dass ich manchmal mit meinen Ideen allein dastand und selbst meine engsten Mitarbeiter skeptisch waren“, erzählt der Jubilar. Wenn er von einer Idee überzeugt war, hatte er aber immer den Mut, an ihr festzuhalten.
Bis heute ist Gerhard Sturm überzeugt davon, dass er früher als seine Kunden wissen muss, was die einmal in fünf oder zehn Jahren brauchen werden. Und er setzte von Beginn an auf Effizienz: jedes neue Produkt muss seinen Vorgänger ökologisch und ökonomisch übertreffen – das war sein weithin bekannter Leitsatz. „Wir waren ja nicht allein auf der Welt“, erklärt er pragmatisch. Die Konkurrenz war stark, man musste sich abheben. Dass der Fokus auf Energieeffizienz einmal so einen großen Stellenwert haben würde, ahnten damals allerdings wenige.
Aufgewachsen ist Gerhard Sturm in Nagelsberg, heute ein Teilort von Künzelsau. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Gemeinde noch selbstständig, sein Vater war in vierter Generation „Bauernschulz“ – Landwirt und nebenberuflich Bürgermeister. „Die Zeit war prägend“, sagt er über seine Kindheit und Jugend auf dem Land. Pfarrer hätte er werden sollen, doch es kam anders. Wie seine Klassenkameraden aus der Künzelsauer Oberrealschule, Reinhold Würth und Albert Berner, würde Gerhard Sturm einmal Unternehmer werden.
Der Weg dorthin führte über eine Lehre in der Maschinenfabrik Esslingen zu Ziehl-Abegg – jener Berliner Motorenfirma, die nach dem Zweiten Weltkrieg von Heinz und Günther Ziehl in Künzelsau wieder aufgebaut wurde. Mit den beiden Gesellschaftern gründete er dann die ebm, die heutige ebm-papst.
Triebfeder: Mit Technik die Welt verbessern
Gerhard Sturms christliche Prägung zieht sich durch sein Tun. „Mit Technik die Welt verbessern“, das war eine Triebfeder. „Zudem war ihm der faire Umgang mit Menschen immer besonders wichtig“, sagt Annemarie Sturm über ihren Mann. Er begegnet jedem Menschen mit der gleichen Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Diese Haltung prägte auch seinen Führungsstil: „Er hatte immer eine offene Tür, jeder durfte zu ihm.“
„Er hatte immer eine offene Tür, jeder durfte zu ihm.“
Annemarie Sturm
So war aus dem Bauernsohn ein erfolgreicher und doch immer bescheidener Unternehmer geworden. Er war sich bewusst, dass Können allein nie reicht, man immer auch Glück und Gottvertrauen braucht. Doch Vision und strategische Weitsicht waren ebenfalls enorm. Konsequent trieb er etwa die Internationalisierung voran, expandierte früh nach Osteuropa und nach China. Allerdings verlagerte er nicht unüberlegt: „Wir wollen uns doch nicht selbst vernichten“, lautete seine klare Absage, als es darum ging, ob in China auch für den europäischen Markt produziert werden sollte.
„Wir wollen uns doch nicht selbst vernichten.“
Gerhard Sturm
Seiner Heimat blieb Gerhard Sturm dabei treu – nicht nur als Familienmensch, sondern auch als engagierter Bürger. Mehr als 35 Jahre war er Mitglied im Mulfinger Gemeinderat, 25 Jahre im Kreistag – ein Hinweis darauf, welches Ansehen er auch bei den Mitbürgern genießt. Aus gutem Grund. Beim katholischen Bischof von Rottenburg setzte er sich etwa für den Erhalt der Schule in Mulfingen ein. „Wir brauchen keinen Dank“, sagte er dem Kirchenoberhaupt damals, „wir brauchen Leute.“ Eine Schule sei wichtig, wenn man Familien dazu bewegen möchte, ins Jagsttal zu ziehen.
Gemeinsam mit Reinhold Würth machte er sich in Künzelsau für die Außenstelle der Hochschule stark, in Heilbronn saß er mit Dieter Schwarz im Beirat der Fachhochschule. „Die Unternehmer waren schon gut verzahnt“, sagt er dazu lapidar. Es sei allen ein Anliegen gewesen, die nächste Generation Akademiker – in Sturms Fall vor allem Ingenieure – in der Region für die Region auszubilden.
„Es erfüllt mich mit Freude zu wissen, dass die Firma in guten Händen ist.“
Gerhard Sturm
Das ist inzwischen schon einige Jahre her. 2007 zog sich Gerhard Sturm aus dem operativen Geschäft zurück, zehn Jahre später auch aus dem Beirat des Unternehmens. „Es erfüllt mich mit Freude zu wissen, dass die Firma in guten Händen ist“, sagt er mit Blick auf das heutige Unternehmen. Sein Sohn Ralf vertritt die Familie Sturm inzwischen in den Aufsichtsgremien.
Und auch die Enkelgeneration zeigt bereits Interesse. Wünsche hat der Jubilar nur noch wenige. Die Unsicherheit in der Welt macht ihm Sorgen. Vieles habe sich verändert. „Was sich nicht geändert hat, ist die Notwendigkeit, Chancen zu ergreifen, auch wenn andere skeptisch sind“, sagt der Mann, der diese Chancen selbst immer zielsicher ergriff. Der Geburtstag wird mit einigen Freunden im kleinen Kreis gefeiert. Der Wunsch seiner Frau Annemarie: „Dass wir noch lange zusammen sein können.“
Christian Gleichauf