Weniger bürokratische „Beweislast“ tragen zu müssen und sich auf die Entscheidungen der Regierenden verlassen zu können – das könnte Unternehmern das Wirtschaften erleichtern. Das „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall zeigte: Gäste und Speaker schwanken zwischen Zuversicht und Zweifel, ob der Spagat zwischen „schlank und stabil“ gelingen kann. Der Wunsch danach ist jedenfalls groß.

Gleichzeitig schlank und stabil – bezogen auf menschliche Körper scheinen sich diese Attribute auszuschließen. Für die deutsche Wirtschaft würde beides zusammen für Aufbruchstimmung und Zuversicht sorgen – bezogen auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und der EU. Denn wer sich bei Unternehmern unterschiedlichster Branchen auf dem „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall umhörte, vernahm immer wieder eines: „Die Bürokratie ist das größte Problem für uns.“ Nach den Aussagen vieler Gipfel-Gäste zu urteilen, haben etliche Unternehmen weder die zeitlichen noch personellen Ressourcen, der wachsenden Zahl von Auflagen zu genügen – der Aufwand dafür koste die Firmen viel Geld, Manpower und Nerven, war immer wieder zu vernehmen.
Bundesfinanzminister live zugeschaltet
Die individuellen Statements aus den Chefetagen deckten sich mit dem Ergebnis einer Blitzumfrage: 43 Prozent der Gipfel-Teilnehmer hatten angegeben, der größte Hemmschuh für sie sei das Dickicht aus Regularien, Berichtspflichten und Genehmigungsverfahren. Dementsprechend gespannt warteten die Zuhörer auf die Botschaften von Jörg Kukies. Schließlich hatte der amtierende sozialdemokratische Finanzminister gemeinsam mit seinen Ministerkollegen im Bund, Robert Habeck (Bündnis 90/ Die Grünen), Volker Wissing (fraktionslos) und Hubertus Heil (SPD), vor Weihnachten in einem Schreiben an die Europäische Kommission auf eine spürbare Lockerung der CSRD-Berichtspflichten gedrängt.

Beim Weltmarktführergipfel war Kukies live zugeschaltet, um im Gespräch mit Sonja Álvarez, stellvertretende Leiterin des Wirtschaftswoche-Hauptstadtbüros, unter anderem über diese Schlankheitskur zu diskutieren. „Der Worte sind genug gewechselt, ich will Taten sehen“, konstatierte der Minister mit Blick auf EU-Vorgaben und dem unter der Präsidentschaft von Donald Trump gewachsenen Druck auf Europa, wettbewerbsfähiger zu werden. Weg von Berichten hin zu Aktionen, sei die deutliche Botschaft nach Brüssel gewesen. Die Kommission habe aber angekündigt, ein umfangreiches Paket an Erleichterungen bei Berichtspflichten auf den Weg zu bringen, um die Unternehmen zu entlasten. Das geplante zweijährige CSRD-Moratorium solle dafür genutzt werden, schlankere und effizientere Regeln aufzustellen, berichtete Kukies.
Neue Strategien brauchen politische Verlässlichkeit
In gleichem Maß, wie der Umfang an Fragenkatalogen und Pflichtberichten nach dem Wunsch vieler Unternehmer abnehmen soll, muss eine andere Größe deutlich an Gewicht gewinnen: die Stabilität politischer Entscheidungen. Großer Wunsch vieler Unternehmer, die beim Weltmarktführer-Gipfel auf der Rednerbühne standen, war nicht nur das Bezwingen des Bürokratiemonsters, sondern auch politische Verlässlichkeit und Berechenbarkeit, um „neue Strategien danach auszurichten“, wie Dr. Mark Hiller, geschäftsführender Gesellschafter der Recaro Aircraft Seating GmbH und Co.KG, es formulierte. Der Recaro-Chef rechnet zwar für das eigene Unternehmen fest mit weiterem Wachstum – und auch Joachim Ley, CEO von Ziehl-Abegg SE, und Norman Goldberg, Vorstandschef von tesa SE, hatten in ihren Impulsvorträgen durchaus ambitioniert geklungen.

Doch in der Talkrunde mit Varinia Bernau, Wirtschaftswoche-Ressortleiterin Management & Karriere, machte das Trio deutlich, wie entscheidend ein stabiler Handlungsrahmen für künftiges Wachstum sei. Bei Ziehl-Abegg seien beispielsweise im Streit um das Heizungsgesetz „ganze Business Cases kollabiert“, Pläne für neue Produktionskapazitäten seien „innerhalb von drei Wochen“ vom Tisch gewesen, berichtete Ley. Goldberg ergänzte die Wunschliste an eine neue Regierung um zukunftsgerichtete und verlässliche Energiepolitik, denn auch das bedeute Stabilität.
Ob gleichzeitiges Ab- und Zunehmen künftig entgegen den Gesetzen der Physik möglich ist, wird sich zeigen. Wie groß bei den Weltmarktführern offenbar aktuell die Zweifel sind, ließ Goldberg – bezogen auf Energiekosten – durchblicken: „Ich habe wenig Vertrauen in die politischen Akteure, dass das alles so durchdacht ist.“
Natalie Kotowski