Das Ehepaar Sandy und Alexander Lustig teilt sich seit Jahren einen Arbeitgeber. Dabei folgen sie einer langen Tradition, denn auch die Väter waren schon im Bergbau tätig.
Obwohl sie jeden Morgen ein und dasselbe Ziel ansteuern, trennt sich ihr Weg schon beim Frühstück: Während sich Alexander Lustig schon eine Stunde vorher aufmacht, folgt ihm Ehefrau Sandy um sieben Uhr in der Früh von Obergriesheim in die Salzgrundstraße zum Salzwerk in Heilbronn. Dort ist sie als Assistentin der Einkaufsleitung tätig. Meist verabschiedet sich ihr Mann von ihr mit einem Kuss auf die Wange und einem herzlichen „Glückauf!“ – dem Gruß, mit dem Bergleute neben dem Wunsch, dass sich das Erdreich auftue, damit sie Material finden, auch ihre Hoffnung ausdrücken, aus der Grube wieder unbeschadet ans Tageslicht zu kommen. Denn im Gegensatz zu ihr im Büro wird er seinen Arbeitstag in der auf etwa 700 Kilometer angewachsenen Untertagewelt des größten Steinsalzproduzenten Westeuropas verbringen. „Alexander ist als Industriemechaniker für die Instandhaltung der Schächte zuständig“, erklärt Sandy Lustig. Damit erstreckt sich sein Einsatzgebiet neben dem Standort in Heilbronn auf das Besucherbergwerk in Bad Friedrichshall. „Unsere Berührungspunkte bei der Arbeit beschränken sich eigentlich auf Betriebsversammlungen oder -feste“, erzählt die 47-Jährige. Auch die Arbeitspausen kann das Paar nicht zusammen verbringen: Für Alexander Lustig wäre die Ausfahrt von seinem Arbeitsplatz, der über 200 Meter tief im Berginneren liegt, dafür viel zu langwierig.
Trotzdem sei man im Unternehmen als „System Lustig“ bekannt: Denn sowohl Alexanders als auch Sandys Vater waren bereits bis zur Rente „im Salz“, wie es die Belegschaft nennt, beschäftigt – und Sandy war schon vor ihrem Vater bei der Südwestdeutsche Salzwerke AG, kurz SWS, so die korrekte Bezeichnung des Konzerns, angestellt. „Ich komme aus dem Erzgebirge. Dort gab es für die Männer nicht viel andere Berufschancen als den des Bergmanns. Daher sind meine Vorfahren Bergleute. Als wir in den 1980er Jahren nach Heilbronn gekommen sind, fand mein Vater nicht gleich Arbeit auf seinem Gebiet. Im Grunde habe ich ihn in die Firma gebracht“, stellt Sandy Lustig fest; die dreifache Mutter schloss im Jahr 1995 ihre Ausbildung bei SWS ab und ist dort seither tätig. Ein paar Jahre später holte sie ihren Vater hinzu, lernte ihren heutigen Ehemann dort kennen – dessen Vater, Hubert Lustig, damals schon in der Saline in Bad Friedrichshall im Einsatz war.
Den Arbeitgeber hat sich Sandy Lustig, wie sie sagt, ganz bewusst ausgesucht. „Ich wollte mich meiner langen Familientradition anschließen“, gesteht sie ein. Bereut habe sie diese Entscheidung nie. Auch wenn das für sie bedeutet, wie damals für ihre Mutter, Angst um ihren Mann zu haben. „Das Arbeiten unter Tage ist natürlich auch mit Risiken verbunden“, weiß Sandy Lustig. Doch auf Ehemann Alexander scheint sich die Anziehungskraft des Bergs auch nach fast dreißig Jahren Tätigkeit noch zu wirken.
Eigene Welt in der Tiefe
„Wer sich in den Tiefen des Salzwerks befindet, taucht in eine Art Parallelwelt ab“, beschreibt er seinen täglichen Antrieb, sich immer wieder aufs Neue in das abgeschottete Dunkel zu begeben. Unter Tage, wo es dauerhaft zwanzig Grad warm ist, sei ihm das Wetter draußen egal. Außerdem schätze er die Zeit ohne Handyempfang und das damit verbundene schnelle Leben.
Im Laufe des über 130-jährigen Steinsalzabbaus im Bergwerk Heilbronn hat sich unter der Erde ein kleines Industriegebiet entwickelt. Schier endlose Kilometer an Gängen und Querschlägen durchziehen den Untergrund. Selbst ein Straßennetz ist dort entstanden. „Im Berg gibt es auch Büros und sogar eine komplette Kfz-Werkstatt. Reparaturen an Autos, Transportern oder auch Großmaschinen werden an Ort und Stelle verrichtet“, versucht Daniela Pflug, SWS-Konzernsprecherin, das unterirdische Geschehen zu veranschaulichen. Selbst eine komplette Aufbereitungsanlage wurde dort errichtet.
Sicherheit spiele unter Tage daher eine große Rolle. „Die Mitarbeiter müssen die Gefahren kennen und den richtigen Arbeitsschutz“, sagt Pflug. Im hiesigen Steinsalzbergwerk herrschten daher strenge Vorkehrungen. Neben dem Selbstretter, einem Gerät das Bergmänner immer bei sich tragen müssen, da es bei Grubenbrand oder einer Explosion giftiges Kohlenmonoxid in unschädliches Kohlendioxid verwandelt, ist das Seilfahrmarkenbrett, wie es im Fachjargon heißt, ein wichtiges Instrument: Rot steht für „unter Tage“, blau für „über Tage“. Bevor sich die Kumpel per Förderkorb, einer Art Aufzug, in die Grube begeben, müssen sie ihre Marke richtig herum stecken, so dass sich im Unglücksfall nachvollziehen lässt, wer zum Zeitpunkt im Inneren ist.
Gerade aufgrund der Risiken sei der Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft besonders stark. Harry Böttcher, Sandy Lustigs Vater, sei alleine aus diesem Grund nie von seiner Berufung abgekommen. Auch den inzwischen verstorbenen Hubert Lustig, Alexander Lustigs Vater, habe es deshalb im Montanwesen gehalten. „Das bedingungslose Aufeinanderangewiesensein bei der Arbeit unter Tage, das gibt es so nur im Bergbau“, schwärmt Böttcher. „Man muss immer zu zweit sein auf Schicht“, erzählt der 69-Jährige. Noch immer schwingt in seinem Ton die Leidenschaft für den Beruf mit. „Dabei muss sich der eine auf den anderen verlassen. Man sich gegenseitig vertrauen. Das fördert die Gemeinschaft im Team genauso wie innerhalb der Familien“, meint Böttcher. Denn Bergleute übertragen ihre Werte in den Alltag, ist er sicher. Als herb, rau, herzlich, direkt und zupackend beschreibt er diese. Seit sieben Jahren genießt der Rentner seinen Ruhestand. Noch im Beruf war er für das Verladen der Salzsteine auf das Förderband verantwortlich.
STOLZ spielt große Rolle
Die Firmenfeierlichkeiten lässt sich Böttcher gemeinsam mit der Familie bis heute nicht entgehen: Auf die größte Veranstaltung des Jahres, den Barbaratag, musste „das System Lustig“ in diesem Jahr Corona-bedingt jedoch verzichten. „Normalerweise begehen wir das Fest für die heilige Schutzpatronin der Bergleute traditionell mit einem Marsch durch die Heilbronner Innenstadt, der in Begleitung der Bergmannskapelle zur Kirche führt“, berichtet Vater Böttcher mit funkelnden Augen. „Danach sitzen alle gemütlich beisammen, mit Kind und Kegel“, ergänzt Tochter Sandy. Das stärke die Gemeinschaft der Bergmannsfamilien, finden beide. Ausgerichtet wird die Feier vom Verein „Glückauf“, dem das gesamte Familiengeflecht Lustig angehört. „Da schwingt auch jede Menge Stolz mit“, merkt Sandy Lustig an. „Wie die Brüste der Männer anschwellen, wenn sie in ihre Uniform schlüpfen. Das ist fast, als ob sie ihr Leben anziehen“, sagt sie. Die Bergmannstracht ist schwarz mit goldenen Knöpfen und rot-schwarzen Federbuschen auf den Schachthüten. Das symbolisiere das gemeinsame Band von Glaube und Brauchtum, erklärt Harry Böttcher. Dabei wirkt er kurz, als wollte er jeden Moment aufspringen und sich aufmachen in die andere Welt, seine Welt unter Tage. Dort, wo nun sein Schwiegersohn seinen Arbeitsalltag bewältigt. „Als die Kinder noch jünger waren, hat mein Vater sie regelmäßig ins Besucherbergwerk in Bad Friedrichshall gebracht, damit sie das Feeling unter Tage erleben“, erinnert sich Sandy Lustig.
Dennoch wünscht sie sich für sie eine andere Zukunft. „Mir wäre es lieber, wenn meine Jungs nicht in die Fußstapfen ihrer Opas und ihres Vaters treten. Auch damit man sich nicht von einem Unternehmen abhängig macht“, gibt Sandy Lustig zu. Ob dieser Wunsch sich erfüllt? Einer der Söhne lernt derzeit Industriemechaniker, genau wie der Vater.
Melanie Boujenoui