Große Verantwortung

Mit 13 Millionen Beschäftigten sind Großunternehmen wie Volkswagen, Daimler, BASF oder Siemens eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft. Sie sind in der Regel auf internationalen Märkten vertreten und beeindruckend wirtschaftsstark. Tragen sie damit automatisch eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?

Laut dem Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Karl Homann lässt sich die Verantwortung von Unternehmen gegenüber der Gesellschaft in drei Bereiche unterteilen: die Handlungs-, Ordnungs- und Diskursverantwortung. Besonders im Rahmen der erweiterten Handlungsverantwortung übernehmen Unternehmen laut Homann nicht nur Verantwortung für ihr Kerngeschäft, sondern darüber hinaus auch für lokale und regionale Herausforderungen im Arbeitsmarkt oder in sozialen Brennpunkten.

Es gibt starke ordnungspolitische Gründe dafür, dass sich Unternehmen in die Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie die Gesundheitsvorsorge oder Ausbildung einbringen (Ordnungsverantwortung). In Deutschland zeigt die sinkende Akzeptanz für die soziale Marktwirtschaft und für – durch Skandale beschädigte – Konzerne, dass insbesondere Großunternehmen die Verständigung über die Wirtschaft in der Gesellschaft nicht allein Politikern und anderen Meinungsführern überlassen können, sondern sich aktiv an der öffentlichen Diskussion beteiligen müssen (Diskursverantwortung).

Der aktuelle Fall Siemens – mit der Ankündigung, rund 920 Mitarbeiter in den Werken Görlitz und Leipzig zu entlassen – unterstreicht die gegensätzlichen Vorstellungen von Großunternehmen bezüglich Verantwortung: Während auf der einen Seite die Verantwortung für die Mitarbeiter und die Region steht, müssen auf der anderen Seite strategische unternehmerische Entscheidungen auf Basis der Konkurrenzsituation und technologischer Entwicklungen am Weltmarkt getroffen werden. So begründet der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser den geplanten Abbau der Arbeitsplätze und die Schließung der beiden Werke mit dem Strukturwandel im Rahmen der Energiewende. Laut Kaeser ist es seine Verantwortung, den 98 Prozent der Siemens-Mitarbeiter, die nicht direkt von den Auswirkungen der Energiewende betroffen sind, die Stabilität des Gesamtkonzerns zu erhalten.

Mitarbeiter zu entlassen ist eine ureigene unternehmerische Entscheidung. Wie verhält es sich allerdings, wenn die Bürger vor Ort bei der Bundestagswahl im September dieses Jahres in den von den Entlassungen betroffenen Landkreisen Görlitz und Leipzig besonders radikale Parteien gewählt haben, die eben gerade diese ordnungspolitische soziale Marktwirtschaft mit der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit infrage stellen und bei Machtgewinn abschaffen wollen?

Moralisches Dilemma

Stefan Brangs, Staatssekretär im sächsischen Wirtschaftsministerium, reflektiert die politische Dimension dieser Entscheidung: „Man hat das Vertrauen verloren in Politik und auch in Eliten in diesem Land. Nicht umsonst sind ja genau diese Bundestagswahlkreise an die AfD gegangen.“ Um dieses moralische Dilemma zu lösen, appellierte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich an die Verantwortung des Unternehmens, nicht nur auf Entwicklungen zu reagieren, sondern Zukunft und Technologietrends mittels neuer Firmen und Investitionen aktiv zu gestalten und somit neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Die Menschen erwarten gerade von großen Unternehmen Wohlstand und Sinn. Weil die Konzerne verantwortlich für ihr Handeln und dessen Folgen sind, sollten sie die strategische Früherkennung nicht nur auf ihre Geschäftsfelder beschränken, sondern auch die politischen Auswirkungen ihrer Entscheidungen im Blick haben. Ein sächsisches Turbinenwerk muss nicht unbedingt ein Turbinenwerk bleiben. Aber die politisch gesicherte unternehmerische Freiheit basierend auf der deutschen Demokratie und sozialen Marktwirtschaft muss erhalten bleiben.

Franziska Struve und Christopher Stehr

Zu den Personen
Christopher Stehr ist Professor für Internationales Management an der German Graduate School of Management and Law (GGS) in Heilbronn. Franziska Struve arbeitet als wissenschaftliche Projektassistentin an der GGS. Beide sind Herausgeber des jüngst erschienenen Buchs „CSR und Marketing – Nachhaltigkeit und Verantwortung richtig kommunizieren“.