Die Digitalisierung ist in vollem Gange, doch vielen mittelständischen Betrieben der Region fehlt eine Strategie für die digitale Transformation.
Fast zwei Drittel der mittelständischen Unternehmen in der Region Heilbronn-Franken haben bislang keine Strategie für die digitale Transformation entwickelt. Mehr als die Hälfte von ihnen plant dies auch für die Zukunft nicht. Das zeigt eine große Umfrage von Forschenden des TUM Campus Heilbronn. Als größte Hürden nannten die Firmen eine mangelhafte digitale Infrastruktur, fehlende Fachkräfte und zu viel Bürokratie.
Der Mittelstand wird oft als Rückgrat der deutschen Wirtschaft eingestuft. Umso bedeutender ist die Frage, wie gut die Unternehmen den Wandel durch die Digitalisierung meistern. Dazu hat ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) rund 370 kleine und mittlere Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich, dem produzierenden Gewerbe sowie dem Einzel- und Großhandel in Heilbronn-Franken befragt. Im produzierenden Gewerbe waren unter anderem die Branchen Fahrzeug- und Maschinenbau, Metall, Chemie, Bau und Ernährung vertreten. Rund zwei Drittel der befragten Unternehmen befinden sich in Familienbesitz.
Die Region Heilbronn-Franken ist stark vom Mittelstand geprägt. Darunter sind viele „Hidden Champions“, die sich sowohl durch Innovationskraft und hohe Eigenkapital- und Exportquoten als auch durch eine lange Tradition auszeichnen. Deshalb kann die Region laut den Forschenden der TUM modellhaft für den deutschen Mittelstand stehen.
Mehrzahl sieht Digitalisierung als einmaliges Vorhaben
Der „Fortschrittsbarometer Digitale Transformation Mittelstand“ zeigt: Fast zwei Drittel (62 Prozent) der Unternehmen haben bislang keine Strategie für die digitale Transformation. Mehr als die Hälfte von ihnen plant auch nicht, sich dem Thema künftig strategisch zu widmen. Und selbst unter den strategisch aufgestellten Mittelständlern sieht gut die Hälfte die Digitalisierung nur als ein einmaliges Vorhaben an, nicht als dauerhaften Prozess.
Je größer die Unternehmen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ein Konzept erarbeitet haben. Aber auch unter den Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden fehlt bei fast einem Drittel eine Strategie.
Nur zwei Prozent nutzen KI
Die meisten Unternehmen, die strategisch an der Digitalisierung arbeiten, verfolgen laut der Umfrage damit das Ziel, Kosten zu senken, indem sie beispielsweise Prozesse automatisieren. Nur ein Viertel von ihnen versucht derzeit, mit digitalen Technologien Innovationen zu entwickeln oder neue Geschäftsmodelle und weitere Märkte zu erschließen. Allerdings will rund ein Drittel der strategisch denkenden Firmen in den kommenden Jahren solche Ziele angehen, die auf die Steigerung des Umsatzes ausgerichtet sind.
Entsprechend setzen die Mittelständler derzeit am häufigsten etablierte Technologien ein, die einen unmittelbaren Nutzen bieten, wie Cloud Computing und Connectivity. Nur ein Viertel der Befragten schätzt Künstliche Intelligenz (KI) als bedeutend für das eigene Unternehmen ein, lediglich 2 Prozent wenden KI an.
Mehr als eine neue Automatisierungswelle
„Der Pragmatismus vieler Mittelständler hat durchaus seine Berechtigung“, sagt Jens Förderer, Professor für Innovation und Digitalisierung am TUM Campus Heilbronn. „Digitalisierung bringt nicht immer und überall gleich große Vorteile. Ein Fehler ist es aber, die digitale Transformation als neue Automatisierungswelle einzustufen und sich auf ein paar kurzfristig wirksame Umstellungen zu konzentrieren. Es geht vielmehr um eine tiefgreifende Veränderung von Geschäftsmodellen und Märkten, die Unternehmen jeder Größe trifft. Ohne eine klare Zielvorstellung und gute Planung steht die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel.“
Externe Hindernisse größer als interne
Die Unternehmen ohne Strategie gaben laut den Forschenden konkrete Probleme an, die sie daran hindern, aktiv zu werden. Rund die Hälfte nannte eine mangelhafte digitale Infrastruktur, 40 Prozent fehlende Fachkräfte, rund ein Drittel zu viel Bürokratie und zu wenige Kompetenzen der Mitarbeitenden. Durchaus ähnlich ist das Bild bei den Firmen, die den digitalen Wandel bereits steuern: Mehr als die Hälfte nannten Fachkräftemangel, Bürokratie und schlechte Infrastruktur als wichtigste Hemmnisse.
„Alarmierend ist, dass solche Hindernisse, auf die die Unternehmen selbst keinen Einfluss haben, eine deutlich größere Rolle spielen als interne Hürden. Dadurch werden die Nachzügler noch weiter entmutigt, den digitalen Wandel aktiv anzugehen“, sagt Dr. Christoph Geier, Director Digital Transformation am TUM Campus Heilbronn. „Politik, Verwaltung und Verbände sollten Voraussetzungen schaffen, die auch kleinen Unternehmen eine erfolgreiche Transformation ermöglichen. Nur so kann es gelingen, Weltmarktführer und Hidden Champions in der Region zu halten.“
Transformation ist in 70 Prozent der Firmen Chefsache
Das Forschungsteam fragte die Mittelständler auch, wer für den digitalen Wandel innerhalb der Unternehmen zuständig ist und welche Partner sie sich suchen. In mehr als 70 Prozent der Firmen ist die operative Umsetzung unmittelbar der Geschäftsleitung zugeordnet. Wenige Mittelständler setzen auf die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen. Lediglich 13 Prozent nutzen Cloud-Plattformen, 10 Prozent strategische Vertriebspartner, 7 Prozent Online-Marktplätze. Nur rund ein Drittel der Firmen sieht es als wichtig an, externe Expertise einzuholen, etwa von Beratungen oder Hochschulen.
„Digitalisierung als Chefsache – das klingt grundsätzlich gut“, sagt Michaela Lindenmayr, Wissenschaftlerin an der Professur für Innovation und Digitalisierung. „Die Geschäftsleitung muss sicherstellen, dass die digitale Transformation strategisch ausgerichtet ist. Allerdings stellt sich im Einzelfall die Frage, ob an der Spitze ausreichend Zeit investiert werden kann und ob die Kompetenzen der Fachabteilungen ausreichend genutzt werden. Auch das spezialisierte Wissen und die Fähigkeiten möglicher Partner bergen ein enormes Potenzial, das nicht verschenkt werden sollte.“
red.