Otto Reinhardt kennt die Tätigkeit bei einem der großen Arbeitgeber der Region nur zu gut. Er kann auf 51 Jahre im Industrieunternehmen Ziehl-Abegg zurückblicken. Der Schlosser gibt einen Einblick in sein spannendes Berufsleben.
Zunächst war Reinhardt als Schlosser bei Ziehl-Abegg tätig, dann als Arbeitnehmervertreter und später als freigestellter Betriebsrat und Aufsichtsratsmitglied. „Mir tut es weh, gehen zu müssen“, gibt er offen zu. „Denn alles, was ich gemacht habe, bin ich mit Herzblut angegangen.“ Dabei war der Start bei Ziehl-Abegg eher Zufall. Bei einem Cousin hatte der 14-Jährige 1964 sonntags in dessen Berichtsheft geblättert – und war total begeistert von den vielen schönen Zeichnungen. „Verstanden hatte ich davon natürlich nichts“, schmunzelt Reinhardt. Aber die Initialzündung war gesetzt.
Der Berufsanfang bei Ziehl-Abegg sei schon immer anders gewesen als in anderen Kochertäler Unternehmen, so Reinhardt. Denn Firmenchef Heinz Ziehl hatte die „Stifte“ in die Kantine zu einer Butterbrezel und einer Flasche Cola eingeladen. „Das war etwas Besonderes“, erinnert er sich.
Reinhardt war schon immer ein Mann der Tat und nicht des beschriebenen Papiers. Deshalb stand er auch mit seinem eigenen Berichtsheft etwas auf Kriegsfuß. „Der Meister riss nichts aus dem Heft, sondern fuhr mit einem roten Stift quer über die ganze Seite“, erklärt Reinhardt. Und wem dies widerfuhr, der musste samstags zum Berichtheftschreiben antanzen. „Mir ist das glücklicherweise nur einmal passiert, manchen sehr oft“, erinnert sich Reinhardt heute an diese Zeit.
Die Lehre zum Schlosser führte den jungen Dörrenzimmerer auch in die Dreherei, die Montage und die Gießerei sowie in den Werkzeugbau. Bei seinem Gesellen Siegfried Walter fühlte er sich wohl: „Dort habe ich besonders viel ‚mit den Augen‘ gestohlen“, sagt er. Die Aufgaben als Schlosser ermöglichte ihm Einblick in viele Bereiche: Stapler reparieren, Kräne installieren oder – ganz simpel – verstopfte Toiletten frei machen.
Nach der Ausbildung landete der „junge Otto“ für kurze Zeit in der Schlosserei. Denn am 1. Januar 1970 trat er seinen Grundwehrdienst in Wildflecken in der Rhön an. Nicht nur aus finanziellen Gründen hat er noch im Januar desselben Jahres seine Frau Johanna geheiratet.
Zurück bei Ziehl-Abegg erlebte Otto Reinhardt die extreme Wachstumsphase des Unternehmens: Neue Gebäude beziehen, Absaugungen einbauen, Luft wie Wasser installieren und natürlich überall dort reparieren, wo es gerade klemmt. „Ich war ein Hans Dampf in allen Gassen“, erinnert er sich. „Sein“ Geselle Siegfried Walter hat Reinhardt schließlich zur Kandidatur für den Betriebsrat überredet. Da er als Schlosser in allen Unternehmensbereichen unterwegs war, hat er 1981 auf Anhieb ein hohes Wahlergebnis erzielt.
Recht spät, nämlich 1986, drückte er erneut die Schulbank. Er ging zur Meisterschule. „Als Alter unter lauter Jungen war das damals nicht einfach“, räumt er ein. Mit dem fertigen Meisterbrief in der Tasche meldete er schließlich auch ein nebenberufliches Gewerbe, Bedachung und Sanitär, an. 1996 nahmen die privaten Aufträge so zu – mittlerweile hatte Reinhardt zwei Beschäftigte –, dass ihn seine Frau vor die Wahl stellte: Ziehl-Abegg oder die eigene Firma. Otto Reinhardt entschied sich für die Sicherheit im Industrieunternehmen. „Ich wollte nicht noch im Alter auf den Dächern herumklettern.“ Etwa zeitgleich, Mitte der 90er, ist er bei Ziehl-Abegg zum stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden aufgerückt. „Weil ich eine große Gosch gehabt habe“, erklärt er die Entwicklung. Als der Vorsitzende in Ruhestand ging, übernahm „der Otto“ die Geschäfte kommissarisch für geplante eineinhalb Monate. Aus den eineinhalb Monaten sind es schließlich bis zur Neuwahl zwölf Monate geworden. 1997 wurde er offiziell Betriebsratsvorsitzender von Künzelsau und Gesamtbetriebsratsvorsitzender von Ziehl-Abegg. Damit einher ging die komplette Freistellung.
Zwischen den Stühlen
Als die Firma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, wählten ihn die Mitarbeiter in den Aufsichtsrat. „Es war eine tolle Erfahrung, von dieser Position aus die Geschicke der Firma mit gestalten zu können“, sagt er. Allerdings macht Reinhardt keinen Hehl daraus, dass er immer wieder zwischen den Stühlen saß: „Es ist nicht jeden Tag Friede, Freude, Eierkuchen.“ Oft war er Mittler zwischen den Wünschen der Belegschaft und den Forderungen der Geschäftsleitung. Ziehl-Abegg habe einen „super Vorstand“, sagt er und fügt hinzu „auch wenn ich nicht immer deren Meinung bin“.
Da er stets mit Herzblut bei der Sache gewesen sei, als Schlosser wie als Betriebsrat, „tut es mir weh, gehen zu müssen“. Fehlen wird ihm auch das Betriebsratsgremium. „Wir haben manchmal gestritten bis aufs Messer – aber sind zusammen gestanden, wenn es galt.“
Eigentlich hätte Otto Reinhardt schon mit 63 Jahren in Rente gehen können: Sein 63. Geburtstag war am 4. Mai 2013. Doch er sah sich im Wort der Belegschaft gegenüber, die Wahlperiode im Aufsichtsrat von Ziehl-Abegg turnusgemäß zu beenden. Das geschah am 9. März 2016. Daher steht „der Hans in allen Gassen“ seit April nicht mehr in der Mitarbeiterliste von Ziehl-Abegg – das erste Mal seit 51 Jahren.