Klimschutzziele erfüllen: Zur Eindämmung des Klimawandels, führt ein klimaneutraler Gebäudebetrieb kein Weg vorbei.
Wie wichtig sehen Sie den klimaneutralen Gebäudebetrieb mit Blick auf den Klimaschutz?
Christine Lemaitre: Nimmt man den Auftrag zur Eindämmung des Klimawandels ernst, führt am klimaneutralen Gebäudebetrieb kein Weg vorbei. Denn das heißt ja, dass ein Gebäude mehr erneuerbare Energie erzeugt, als es für den eigenen Bedarf benötigt. Überschüssige Energie wird ans Stromnetz übergeben. Damit leistet ein Gebäude einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz, indem es selbst zum Kraftwerk wird und fossile Energieträger im Stromnetz verdrängt.
Deutschland hat klare Klimaziele, Europa will bis spätestens 2050 klimaneutral sein und der letzte Weltklimabericht macht mehr als deutlich, dass wir jetzt sofort radikal CO2-Emissionen reduzieren müssen, wenn wir das Leben auf dieser Erde erträglich halten wollen. Wir alle leben und arbeiten in Immobilien, besitzen sie vielleicht sogar oder sind für den Betrieb zuständig – damit geht eine Verantwortung einher. Positiv formuliert haben wir gerade im Baubereich enormes Potenzial zur CO2-Reduktion.
Und welche Vorteile bietet der klimaneutrale Gebäudebetrieb bei Gewerbegebäuden?
Lemaitre: Ökologisch würde ich nicht vom Vorteil, sondern der absoluten Notwendigkeit sprechen. Durch die zunehmenden Regulierungen von Seiten der EU in Richtung Klimaneutralität, liegt auch der ökonomische Vorteil auf der Hand. Schon jetzt entscheiden sich viele Investoren nur noch für Immobilien, die im Einklang mit Klimaschutzzielen und damit zukunftssicher sind – oder in anderen Worten nachweislich konform mit der sogenannten EU-Taxonomie sind. Aber auch für die Eigennutzung lohnt sich die Investition in die Umstellung auf einen klimaneutralen Betrieb ökonomisch, wenn man den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigt.
Welche Materialien können mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus hierbei verwendet werden?
Lemaitre: Bisher habe ich vom klimaneutralen Betrieb gesprochen. Tatsächlich fallen aber auch bei der Herstellung der Baumaterialien, dem Transport, der Errichtung, Instandsetzung und beim Rückbau große Mengen an CO2-Emissionen an, die ebenfalls zum CO2-Fußabdruck des Gebäudes gehören. Lange Zeit wurden diese sogenannten grauen Emissionen vernachlässigt. In der Bundesförderung für effiziente Gebäude und auch in der EU-Taxonomie werden sie jetzt mit abgefragt und das ist auch richtig so, denn bei Gebäuden mit hohem energetischem Standard machen die CO2-Emissionen der Baumaterialien mehr als die Hälfte aus! Das heißt für die Planung von Neubauten und auch bei Sanierungen, dass auch der CO2-Fußabdruck der Materialien eine Rolle spielt. Es liegt nahe, Materialien mit geringem CO2-Fußabdruck zu wählen, also Pflanzen, die im Wachstum Kohlenstoff binden. Zu nennen sind Holz, Hanf- und Flachsfasern, Bambus, Stroh und weitere. Allerdings stehen diese auch nicht unendlich zur Verfügung und sollten nur aus lokalem, nachhaltigem Anbau stammen. Nicht zu vergessen ist, dass ein viel größerer Hebel zur Reduktion von CO2-Emissionen darin liegt, die grundsätzlichen Suffizienz-Fragen zu stellen. Ist ein Abriss und Neubau wirklich nötig? Kann Bestand erhalten werden? Brauche ich so viele Materialschichten? Benötige ich wirklich so viel Technik? Die Technik macht oft einen großen Anteil an den grauen Emissionen aus. Argumentiert wird oft damit, dass sie für eine smarte Energiesteuerung sorgt. Hier muss man allerdings genau hinschauen. Wenn Nutzenden die Technik nicht richtig nutzen und diese nach wenigen Jahren ausgetauscht werden muss, ist der CO2-Vorteil ganz schnell dahin. Deshalb plädiere ich dafür, wo möglich, einfach zu bauen und Technik nicht um der Technik willen einzusetzen.
Gibt es weitere Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck zu senken?
Lemaitre: Nicht zu vergessen ist, die grundsätzlichen Suffizienz-Fragen zu stellen: Kann Bestand erhalten werden? Brauche ich so viele Materialschichten? Benötige ich wirklich so viel Technik? Die Technik macht oft einen großen Anteil an den grauen Emissionen aus. Argumentiert wird damit, dass sie für eine smarte Energiesteuerung sorgt. Hier muss man allerdings genau hinschauen. Wenn Nutzenden die Technik nicht richtig nutzen und diese nach wenigen Jahren ausgetauscht werden muss, ist der CO2-Vorteil ganz schnell dahin. Deshalb plädiere ich dafür, wo möglich, einfach zu bauen und Technik nicht um der Technik willen einzusetzen.
Welche Rolle spielen Erneuerbare Energien für den klimaneutralen Gebäudebetrieb?
Lemaitre: Eine essenzielle Rolle. Die Eigenproduktion erneuerbarer Energie am Standort ist sogar Voraussetzung, dass ein Gebäude nach Definition der DGNB im Betrieb klimaneutral werden kann. Die DGNB hat in ihrem Rahmenwerk für klimaneutrale Gebäude und Standorte genau definiert, wann ein Gebäude klimaneutral im Betrieb ist und wo die Grenzen liegen. Beispielsweise werden keine CO2-Zertifikate akzeptiert und der Nutzerstrom wird neben Heizen, Kühlen und Lüftung auch mit einbezogen. Klimaneutral im Betrieb ist ein Gebäude, wenn die CO2-Bilanz zwischen Produktion von erneuerbarer Energie am eigenen Standort sowie dem Verbrauch sowie Abgabe von überschüssiger erneuerbarer Energie ins Stromnetz Null oder kleiner Null ist. Die DGNB hat bereits Projekte ausgezeichnet, die dieses Ziel erreicht haben, sie erhalten die Auszeichnung „Klimapositiv“, denn sie leisten einen positiven Beitrag zum Klimaschutz.
Wie können Unternehmen dabei den Energieverbrauch ihrer Gewerbegebäude überwachen?
Lemaitre: Die Überwachung des Energieverbrauchs ist eine Voraussetzung für das Erreichen eines klimaneutralen Gebäudebetriebs und vor allem auch für die jährliche Überprüfung und Nachjustierung (falls nötig). Entscheidet sich ein Unternehmen, die eigenen Immobilien klimaneutral zu machen, empfiehlt die DGNB für eine dauerhaft effektive Strategie die Anwendung von Klimaschutzfahrplänen. Darin wird die Bausubstanz erfasst und ein Zielwert der Klimaneutralität festgesetzt. Die möglichen Handlungsschritte werden in eine zeitliche Reihenfolge gebracht, sodass der ökonomischste Weg beschritten werden kann.
Die DGNB hat einen Wegweiser erarbeitet, damit die Transformation zu einem klimaneutralen Gebäudebestand gelingen kann. Wie kann der Wegweiser gerade Unternehmen dabei helfen, ihre Gebäude energetisch aufzurüsten?
Lemaitre: Der Wegweiser lässt sich in drei Teile gliedern. Im ersten Teil wird eine gemeinsame Wissensgrundlage geschaffen, indem die regulatorischen Rahmenbedingungen auf Bundes- und EU-Ebene aufgezeigt werden. Die verantwortlichen Personen in Unternehmen erfahren zum Beispiel, wo der Gebäudebereich in Deutschland in Sachen CO2-Ausstoß derzeit steht. Es folgt eine Heranführung ans konkrete Tun durch Aufzeigen vier strategischer Ziele. Diesen lassen sich Handlungsfelder zuordnen. Innerhalb dieser Handlungsfelder finden die verschiedenen Akteursgruppen ganz konkrete Maßnahmepakete, vom Planenden über den Bestandshalter und Eigentümer (also auch Unternehmen, die Immobilien besitzen oder betreiben) bis hin zu Bauprodukthersteller. Im zweiten Teil des Wegweisers werden alle Maßnahmen aufgeführt und detailliert beschrieben. Zusammen mit Vertretern der Branche hat die DGNB zudem einen dritten Teil „Mein Beitrag“ veröffentlicht, der komplette Maßnahmenprogramme für drei Akteursgruppen beinhaltet. Darunter befindet sich auch die Gruppe der Eigentümer und Bestandshalter. Der Wegweiser kann also gerne wörtlich genommen werden, denn er bricht die großen Ziele bis zu ganz konkreten Maßnahmen herunter, die es möglich machen, jetzt sofort mit den eigenen Immobilien anzufangen.
Wie wird sichergestellt, dass die Kosten für die Umstellung auf einen klimaneutralen Gebäudebetrieb bei Gewerbegebäuden für Unternehmen tragbar bleiben?
Lemaitre: Ein wesentlicher Aspekt der DGNB-Zertifizierung ist die Lebenszyklusbetrachtung, die auch die Lebenszykluskostenberechnung mit einschließt. Diese zeigt transparent auf, welche Kosten heute und in zukünftigen Instandsetzungs- und Unterhaltskosten auf Unternehmen zukommen. Das DGNB-System für Gebäude im Betrieb ist ein Kriterienkatalog, der speziell dafür geschrieben wurde, Bestandsgebäude oder auch fertiggestellte Gebäude, im Betrieb im Sinne der Nachhaltigkeit zu optimieren, also auf ökonomischer, ökologischer und soziokultureller Ebene. Das System ist als Planungstool zu verstehen, dass Unternehmen dabei hilft, eine langfristige Unternehmensstrategie für die „Pflege“ ihrer Immobilien aufzustellen und den dauerhaften klimaneutralen Betrieb sicherzustellen. Auf dieser ganzheitlichen Basis können Investitionsentscheidungen mit Amortisationszeiten und ohne Zukunftsrisiko getroffen werden. Wesentlich ist, dass die Zertifizierung mit einer unabhängigen Prüfung einhergeht und im Zertifikat belegt, dass ein Gebäude wirklich nachhaltig ist. Dieses Zertifikat dient auch als Nachweis für die BEG-Förderung und Forderungen der EU, wie die EU-Taxonomie.
Interview: Teresa Zwirner
Zur Person
Dr. Christine Lemaitre ist seit 2010 Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.