In der Luft stehen wie Superman

Nicht nur Kinder blicken gebannt gen Himmel, wenn dort Hubschrauber ihre Kreise ziehen. Auch Erwachsene bleiben in solchen Momenten stehen, um das faszinierende Flugobjekt zu beobachten. Doch nichts ist aufregender, als selbst der Pilot zu sein.

Ein Montagmorgen Mitte Februar, kurz vor neun Uhr. Die digitale Temperaturanzeige im Auto meldet minus ein Grad Celsius in Niederstetten im Main-Tauber-Kreis. Auf Bäumen, Gebäuden und Grünflächen, die auf der Fahrt vorbeirauschen, liegt noch der Schnee der Vorwoche. Das Auto nähert sich einer Schranke, nahe der ein Mann in Camouflage-Uniform steht. Die Fahrerin drosselt das Tempo, während der Soldat sich in Richtung Fahrerseite bewegt. Die Fensterscheibe wird heruntergelassen. „Hallo, ich bin Hauptmann Rauhut“, stellt sich der Uniformierte vor. Das GPS hat seinen Job also ordentlich gemacht: Ankunft an der Hermann-Köhl-Kaserne am Standort des Transporthubschrauberregiments 30 der deutschen Bundeswehr um „null neunhundert“.

Hauptmann Steffen Rauhut ist ein Typ, der Spaß versteht und zu Scherzen aufgelegt ist. Den Eindruck vermittelt er schon innerhalb von wenigen Minuten. Er ist 35, seit Mitte 2014 beim Transporthubschrauberregiment 30 in Niederstetten als Pilot im Dienst, verheiratet und hat zwei kleine Kinder. Auf die Frage, warum er sich für diesen Job entschieden hat, meint Rauhut: „Weil ich schon immer gerne Hubschrauber fliegen wollte. Die sind cool, weil sie in der Luft stehen können. Das können sonst nur Superman und Ironman – und ich“, antwortet der Pilot mit breitem Lächeln. Ob er nicht manchmal auch Angst beim Fliegen habe? „Nein“, kommt es wie aus der Pistole geschossen.

Das Transporthubschrauberregiment 30, ursprünglich leichtes Heeresfliegerregiment 30, wurde 1980 vom nordhessischen Fritzlar nach Niederstetten verlegt. Die Garnison besteht allerdings bereits seit 1961 in der fränkischen Stadt. Ein wichtiger Grund, warum ausgerechnet Niederstetten Standort wurde, ist, dass dort ein großes Areal zur Verfügung stand. Für einen Flugplatz ist das schließlich notwendig. Ein weiteres Kriterium ist die Tatsache, dass dieser nicht im Tal liegt. Doch was ist mit den Anwohnern? „Es gibt wenige, die sich beschweren, aber andererseits ist es bekannt, dass hier Flugbetrieb und damit gelegentlich Lärm herrscht“, erklärt Personalstabsoffizier Oberstleutnant Lars Meinzer. Es sei allerdings auch nicht so, dass jede Minute ein Hubschrauber abhebe. Außerdem sei der Standort ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Region. Er habe viele Arbeitsplätze geschaffen und beispielsweise Baufirmen profitierten von den regelmäßigen Erweiterungsmaßnahmen.

Flüge im süddeutschen Raum

Zu den Aufgaben des Regiments gehören Flugaufträge mit Personen- und Materialtransport, Einzeltraining, Training in verschiedenen Formationen, Truppenübungen sowie der Dauereinsatz „Search and Rescue“ (SAR), zu Deutsch: suchen und retten. Primär ist dies das Auffinden von verunglückten Flugfahrzeugen. „Außerdem helfen wir bei zivilen Unfällen aus, wenn Not am Mann ist oder in der Nacht, indem wir etwa Verletzte zu Unikliniken transportieren. Denn normale Hubschrauber haben nachts keine Sicht, unsere schon“, sagt Meinzer. Das Transporthubschrauberregiment 30 ist zuständig für den gesamten süddeutschen Raum. Zudem ist es aktuell in die Friedensmission der Vereinten Nationen im afrikanischen Mali in Sachen Bodentruppenunterstützung, Konvoibegleitung, Aufklärung sowie Rettung und Bergung von Verwundeten involviert.

Heute arbeiten 1100 Frauen und Männer, darunter neben Soldaten auch zivile Beamte und Arbeitnehmer, beim Transporthubschrauberregiment 30. Von den 1100 Beschäftigten sind 88 Piloten des Militärhubschraubers mit der Bezeichnung NH90 und 50 sind Rettungsflieger. Es gibt auch zwei Pilotinnen. „Insgesamt ist der Frauenanteil bei uns allerdings gering mit lediglich sechs Prozent“, informiert der Oberstleutnant. Einzig im Personal- oder Sanitätsbereich liege die Quote höher. Das Regiment hat zurzeit 15 Rotorflugzeuge vom Typ NH90. „Bis 2022 sollen es aber mehr als 30 werden“, weiß der 38-Jährige, der seit 2016 in Niederstetten ist. Darüber hinaus gibt es noch den leichten Mehrzweckhubschrauber Bell UH-1D für den SAR-Flugbetrieb. Dieser soll noch mindestens bis Mitte 2019 genutzt werden. „Dann kommt ein anderes Modell. Wann und welches, ist aber noch nicht klar“, räumt Meinzer ein.

Dass man bei der Bundeswehr zu Gast ist, merkt man in Niederstetten nur an den uniformierten Frauen und Männern, die einem in den Gängen der diversen Gebäude auf dem Gelände oder auch draußen über den Weg laufen. Der Umgang scheint recht locker, die Kollegen grüßen sich mit einem kurzen „Hey“ oder freundschaftlichem Handschlag. Vom rigiden und militärischen Klima ist kaum etwas zu spüren. Auch Hauptmann Rauhut bleibt im Laufe der Führung durch den Standort immer wieder kurz stehen, plaudert hier, lacht da und winkt dort. An vielen Wänden hängen Fotos, über einer Tür ist ein Bild von Homer Simpson angebracht. Auch Soldaten dürfen Humor haben. Das beweist aufs Neue Rauhut: Es ist kurz nach elf. Im Pausenraum, der mit einer Küche, schwarzen Sofas, Tischen und Stühlen ausgestattet ist, hat die Putzfrau gerade den Boden nass gewischt. Da bemerkt der zweifache Vater schmutzige Fußspuren und wendet sich an einen Kameraden. „Du hast hier alles dreckig gemacht“, witzelt er. „Die Mutti hat sich solche Mühe gegeben.“

Olga Lechmann