150 Jahre hat der schweizer Lebensmittelgigant Nestlé auf dem Buckel. Als altwehrwürdiger Betrieb blickt der Betrieb auf eine lange Geschichte zurück. Den Vergleich mit jungen Start-ups braucht das Traditionsunternehmen in Sachen Digitalisierung allerdings nicht zu scheuen.
Frau Guillaume-Grabisch, auch als Traditionsunternehmen, wie Nestlé es ist, muss man auf den Digitalisierungszug aufspringen. Wie sieht Ihre Strategie dafür aus?
Guillaume-Grabisch: Nestlé hat schon sehr früh die Weichen gestellt und Digitalisierung als Chance begriffen, direkt mit unseren Kunden in Kontakt zu kommen. Dazu gehören etwa passgenaue Inhalte auf digitalen Kanälen, personalisierte Verbrauchererfahrungen und eine klare E-Commerce-Strategie. Bei unserer Tochtergesellschaft Purina generieren wir bereits 15 Prozent des Umsatzes online. Primär geht es darum, im gesamten Haus den Mindset zu wandeln: von einem Hersteller von Lebensmitteln hin zu einer digitalen, agilen Unternehmung. Daran arbeiten wir jeden Tag und lernen noch immer dazu.
Sie haben mal in einem Interview gesagt: „In der digitalisierten Welt reicht es nicht mehr, einfach nur Produkte anzubieten. Diese müssen in digitale und stationäre Dienstleistungen eingebunden und miteinander vernetzt werden.“ Wie realisieren Sie das?
Guillaume-Grabisch: Nehmen Sie das Beispiel Maggi: Neben den neuen Gewürzpasten, Würzmixen und Bio-Bouillons mit natürlichen Zutaten wie vom Markt unter dem Label „Maggi Wochenmarkt“ haben wir den interaktiven Chatbot KIM gestartet. Mit diesem intelligenten Kochhelfer können Sie über Facebook rund um die Uhr in Kontakt treten, um Rezepte und Kochtipps zu erfragen oder direkt eine Bestellung aufzugeben. Mitte 2017 haben wir zudem den Maggi-Kochstudio-Store in der Frankfurter Innenstadt als ersten begehbaren Foodblog eröffnet, der online wie offline beim Kochen unterstützt.
Die Art, wie Menschen kochen, essen und einkaufen, verändert sich. Welche Rolle spielt Nestlé bei diesem Transformationsprozess?
Guillaume-Grabisch: Indem wir sie mit unseren Marken und Services in einem oft herausfordernderen Alltag unterstützen und uns auf unterschiedliche Bedürfnisse einstellen. Ob nun mit einer Bio-Pizza von Wagner, glutenfreien Cerealien oder etwa unseren vegetarischen Produkten unter der Marke Garden-Gourmet. Zudem optimieren wir kontinuierlich das Nährwertprofil unserer Produkte, indem wir – wo immer möglich und sinnvoll – Salz, Zucker und Fette reduzieren. Unser Ziel ist es, die Lebensqualität der Verbraucher durch unsere Angebote zu steigern – heute und in Zukunft.
Sie verfügen ja über ein sogenanntes Competence-Center, in dem unter anderem eine smarte Küche ausgestellt ist. Wie funktioniert diese?
Guillaume-Grabisch: In unserer Küche der Zukunft steht etwa ein mit dem Internet vernetzter Kühlschrank, der vorhandene Lebensmittel erfasst und verbrauchte oder abgelaufene Produkte automatisch nachbestellt. Über einen großen Touchscreen am Kochfeld können die Nutzer nicht nur Gerichte und Zubereitungsmethoden recherchieren, sondern sich auch interaktiv über soziale Medien austauschen. Über Sprachfunktionen kommunizieren auch die Küchengeräte mit den Verbrauchern und teilen mit, wann das Nudelwasser kocht oder die Pizza im Ofen fertig ist. Alle Funktionen dienen dabei einem Ziel: Den Menschen das Kochen zu erleichtern.
Denken Sie wirklich, dass so die Küche der Zukunft aussieht? Eine solche Technik wird sich doch längst nicht jeder leisten können.
Guillaume-Grabisch: Auch wenn die Küche der Zukunft bisher nur ein Prototyp ist – der Trend geht bereits heute hin zu einer zunehmenden Vernetzung im Haushalt. Insofern halten wir eine smarte Küche durchaus für eine Option, die besonders für die junge Generation der Jahrtausendwende attraktiv ist. Indem wir uns frühzeitig mit diesen Entwicklungen auseinandersetzen, können wir im Dialog mit unseren Gästen bereits heute testen, wie das Einkaufen und Zubereiten von Lebensmitteln erleichtert werden kann und wie dies wiederum zur Steigerung der Lebensqualität beiträgt.
Neben Ihrem Competence-Center haben Sie auch noch ein Digital-Acceleration-Team bei sich im Hause. Was genau sind dessen Aufgaben?
Guillaume-Grabisch: Das Digital-Acceleration-Team ist der interne Beschleuniger unserer digitalen Transformation. Experten und wechselnde Talente aus dem Unternehmen treiben die Umsetzung digitaler Projekte voran. Zu ihren Aufgaben zählen die Beratung für unsere Marken und Funktionsbereiche, Trainings zum Aufbau digitaler Kompetenzen bei den Mitarbeitern, Networking und Arrangieren strategischer digitaler Partnerschaften sowie das Aufspüren von Trends. Ähnlich wie ein Start-up arbeitet das Team auch an neuartigen Geschäftsideen für unsere und mit unseren Marken.
Digitalisierung und soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Instagram und Co. sind untrennbar miteinander verbunden. Wie haben Sie diese Kanäle erobert und sich zunutze gemacht?
Guillaume-Grabisch: Online und Social-Media sind fester Bestandteil unserer Kommunikation. Jede Marke hat individuelle Zielsetzungen und führt entsprechende Aktivitäten und Kampagnen auf den passenden Kanälen durch. Hier sind die Teams sehr kreativ und probieren viel Neues aus. Wichtig ist uns vor allem der offene Austausch mit den Menschen, um ihre Bedürfnisse besser zu verstehen und auch in den Dialog zu treten.
Glauben Sie, für ein Unternehmen, das seit 150 Jahren am Markt ist, ist es schwieriger, mit der Digitalisierung Schritt zu halten als für ein neu gegründetes Start-up?
Guillaume-Grabisch: Start-ups und Unternehmen wie Nestlé können zweifelsohne viel voneinander lernen und profitieren. Das erleben wir in der täglichen Praxis. Indem wir Silos aufbrechen und vernetztes Arbeiten fördern, können wir schneller, wendiger und näher am Alltag der Menschen agieren. Und wir sehen große Chancen für mehr Effizienz, eine noch persönlichere und interaktivere Kundenansprache sowie für neue Partnerschaften. Die Bereitschaft zum permanenten Wandel ist tief in der DNA von Nestlé verwurzelt – und das seit 150 Jahren.
Interview: Olga Lechmann
Zur Person
Béatrice Guillaume-Grabisch ist Vorstandsvorsitzende der Nestlé Deutschland AG. Vom Manager Magazin wurde sie als eine der einflussreichsten Geschäftsfrauen in Deutschland sowie bei Spiegel Online als eine der bedeutendsten Managerinnen hierzulande ausgezeichnet. Die gebürtige Pariserin war früher bereits bei Colgate, Beiersdorf, Johnson & Johnson sowie L’Oréal Paris tätig.