Die „Highlight Session“ beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ warf dank zweier Persönlichkeiten ein Schlaglicht auf das, was Deutschland braucht: weniger Aufregung, mehr Gelassenheit und ruhigere Töne. Darin waren sich Prof. Dr. h.c. mult. Reinhold Würth und Bestseller-Autorin Juli Zeh bei der Veranstaltung im Carmen Würth Forum in Künzelsau einig.

Die Akustik im holzvertäfelten Reinhold-Würth-Saal des Carmen Würth Forums ist bekanntermaßen exzellent. Wie sehr diese Akustik nicht nur Melodien, sondern auch emotionale Zwischentöne transportieren kann, war für jeden spürbar, der zur „Highlight Session“ des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“ nach Künzelsau gekommen war. Sie verstärkte die ehrfürchtige Stille der etwa 600 Zuhörer, als Reinhold Würth auf die Rednertribüne kam. Sie verwandelte den tosenden Applaus für den großen Unternehmer in ein Donnern. Sie intensivierte das perfekte Spiel der Würth Philharmoniker während ihres 30-minütigen Konzerts. Und wie ein Seismograf übertrug das Holz an Wänden und Decke die Zustimmung und Anerkennung des Publikums für die klaren und kritischen Worte von Gaststar Juli Zeh beim Gespräch mit Maja Brankovic, stellvertretende Chefredakteurin der Wirtschaftswoche.

Reinhold Würth: Nicht in Hysterie verfallen
Inhaltlich mahnten beide Auftritte – sowohl Reinhold Würths Begrüßungsworte als auch die Sätze von Juli Zeh – zu etwas, das in der Musik Decrescendo heißt: das Zurücknehmen der Lautstärke. Nicht in Hysterie zu verfallen, auch wenn die Zeit aktuell herausfordernd scheint, daran erinnerte Würth in seiner kurzen Reminiszenz der „guten alten Zeit“, wie er es augenzwinkernd nannte. In seinem 75-jährigen Berufsleben habe er so manche Krisen erlebt, in denen „das Volk durcheinander und schlecht gelaunt“ gewesen sei – aber die Stimmung habe sich nach einer einzigen positiven Meldung binnen zwei Wochen drehen können, Zuversicht und Optimismus haben wieder Fuß fassen können. Die Bürger seien seiner Meinung nach oft klüger, als die Politiker dächten. „Ich bin immer wieder zu dem Resultat gekommen: Das Volk weiß, was es will“, konstatierte die Unternehmerlegende.

Weniger Empörungslust und Aufgeregtheit
Mit seiner Einschätzung bereitete Reinhold Würth vermutlich unabsichtlich die Bühne für die nachfolgende Gesellschaftskritik von Juli Zeh. Zur Migrationsdebatte kurz vor der Bundestagswahl mahnte sie dazu, sich „nicht immer gleich mit einer Art Empörungslust und großer Aufgeregtheit hineinzustürzen“. Das sei gesellschaftlich ungesund und nach ihrem Gefühl auch nicht von der Mehrheit getragen. Im Gegenteil, es führe gerade in dörflichen Gegenden wie ihrer Heimat in Brandenburg, zu einer Entfremdung: Die Bevölkerung fände es „erstaunlich, was da veranstaltet wird, wo wir doch einen Haufen anderer Probleme haben“. Ob das nun schlecht ausgestattete Schulen oder schlechte Infrastruktur und mangelnde Mobilität seien, weil „tatsächlich nirgendwohin ein Bus fährt“, wie sie später aus eigener Anschauung berichtete.

Die Attitüde moralischer Überlegenheit helfe nicht. „Wir sollten weniger Spaß daran haben, auf der Seite der Guten und Gerechten zu stehen, sondern lieber Energie und Aufmerksamkeit in das riesige Potenzial stecken – das im Land immer noch vorhanden ist – für Probleme Lösungen zu finden.“ Fortschritt und Entwicklung seien immer möglich. Die Zukunft dürfe im Denken der Menschen nicht der Ort sein, „wo es immer nur schlimmer werden kann. Das ist schlechte Dramaturgie“, befand Zeh.
Juli Zeh: „Die Stimmung im Land ist nicht so schlecht“
Ob die Stimmung denn wirklich so schlecht sei, wie allenthalben zu hören und zu lesen sei, testete die Bestseller-Autorin prompt mit einer kleinen, provokant formulierten Umfrage – und siehe da: Die überwiegende Mehrheit der Weltmarktführergipfel-Zuhörer glaubt nicht an Weltuntergangsszenarien, sondern unzählige Hände schnellten für ihre Option in die Luft: „Wenn wir uns ein bisschen anstrengen, wird’s auch wieder.“ Zehs Fazit mit Blick auf das Auditorium: „Ich würde sagen, die Stimmung im Land ist nicht so schlecht.“

Die Ursache für die „Empörungslust“ verortete die Autorin und Juristin in den Mechanismen der Medien – und zwar nicht nur von Social Media, sondern auch im klassischen Journalismus. Das Selbstverständnis, dass die Leser „dumm“ seien und man ihnen erst einmal etwas erklären müsse, halte sie für problematisch – und erntete immer wieder tosenden Szenenapplaus für ihre sezierende Analyse der Medienlandschaft. Presse und Politik müsse den Menschen die Themen nicht „hinpädagogisieren“. Das Sendungsbewusstsein mancher angehender Journalisten und der Anspruch, „die Welt zu verändern“, sei ein Missverständnis – „wenn sie das wollen, dann müssen sie in die Wirtschaft oder Politik“.
Lautstärke zurückzunehmen und den Menschen zuzuhören – aus dem Mund zweier Persönlichkeiten wie Reinhold Würth und Juli Zeh klang dieser Appell bei der „Highlight-Session“ bei vielen Teilnehmern bis zum nächsten Tag nach. Und formulierte dennoch genau die hoffnungsvolle Stimmung, die das gesamte „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ trug.
Natalie Kotowski