Juli Zeh: „Wir müssen Besonnenheit zurückgewinnen“

Sie gehört zu den Meistgelesenen ihrer Branche: Bestseller-Autorin Juli Zeh. Beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ steht sie auf der Rednerbühne. Mit dem PROMAGAZIN hat sie vorab über das gesprochen, was in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft Not tut: die Fähigkeit zu Perspektivwechseln, respektvollen Debatten und unaufgeregtem Weitblick.

Juli Zah
„Momentan tun wir uns mit Zuversicht ein bisschen schwer“, diagnostiziert Bestseller-Autorin Juli Zeh. Foto: Luchterhand

Frau Zeh, als eine der meistgelesenen Autorinnen der Gegenwart haben ihre Worte Gewicht. Was ist ihre Motivation, beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ aufzutreten?

Juli Zeh: Ich glaube, dass gerade momentan ein guter, sachlicher Diskurs zu den Fragen der Gegenwart besonders wichtig ist. Ich freue mich, wenn ich bei einer so prominenten Veranstaltung dazu beitragen kann.

Unsere Region hat deutschlandweit die größte Dichte an Weltmarktführern – andererseits eine ländliche Struktur. Sind aus Ihrer Sicht die wirtschaftlichen Herausforderungen in Heilbronn-Franken eher die einer Metropole, oder eher die eines Dorfes in Brandenburg?

Zeh: Mit Brandenburg ist es vermutlich nicht vergleichbar, denn brandenburgische Dörfer sind eher strukturschwach und viele Menschen leben am Existenzminimum. Ich denke aber auch nicht, dass es eine typisch urbane Gegend ist, denn die Innenstädte der Metropolen sind häufig von Gentrifizierung geprägt, so dass Menschen dort innerhalb ihrer „Bubble“ bleiben und sich nicht sehr mischen. In Heilbronn-Franken begegnen sich ja gerade viele Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, und das ist aus meiner Sicht ein Vorteil.

Die Region hat jedenfalls den Aufstieg vom „Württembergisch Sibirien“ zum „Aushängeschild“ des Landes geschafft. Sie selbst leben in der brandenburgischen Provinz. Was müsste passieren, damit es dort genauso abläuft wie vor 40 Jahren zwischen Neckar und Tauber? Und würden sich die Menschen das überhaupt wünschen?

Zeh: Die Menschen würden es sicher wünschen, denn es liegt in der Natur der meisten Menschen, ihr Leben und ihre Umgebung verbessern zu wollen. Da ist hier bei uns aber noch ein weiter Weg zu gehen.

Juli Zeh
Brandenburg ist Juli Zehs Wahlheimat – und Schauplatz mehrerer ihrer Romane. Foto: Peter von Felbert

Was könnte sich unsere Region von Brandenburg abschauen?

Zeh: Was die Brandenburger vielleicht zum Vorbild machen kann, ist Gelassenheit auch in schwierigen Lagen und eine große Neigung zur Hilfsbereitschaft, die mir sehr gefällt.

Wo sind nach Ihrer Ansicht die Menschen zuversichtlicher – in Stadt oder Land?

Zeh: Momentan tun wir uns alle mit Zuversicht ein bisschen schwer. Meine Erfahrung ist, dass Menschen in Großstädten eher zu Hysterien neigen und düsterer in die Zukunft blicken, aber das kann man sicher nicht verallgemeinern.

„Deutschland braucht Zuversicht“ heißt darum auch das Motto beim Weltmarktführergipfel. Ihre Zuhörer sind erfolgreiche Vertreter ihrer jeweiligen Branche – womit werden Sie diese „Bubble“ optimistisch stimmen?

Zeh: Ich bin keine Politikerin und kann nicht versprechen, die Zukunft auf eine bestimmte Weise zu gestalten. Aber ich habe einen starken Glauben an die Demokratie und ebenso an die Innovationskraft unseres Landes – davon kann ich vielleicht ein bisschen abstrahlen.

Die Wirtschaftspolitik der Vergangenheit hat viele Unternehmer verunsichert. Woher kommt diese Unsicherheit und was könnte sie zumindest mindern?

Zeh: Die Unsicherheit kommt vom Fehlen einer klaren Strategie bei großen Themen wie der Energiewende. Wirtschaft braucht eine gewisse Langfristigkeit bei der Planung, und sie braucht das Gefühl, von Politik und Gesellschaft richtig gesehen und nicht als „die Bösen“ behandelt zu werden. Eine klare Agenda, auf welche Weise wir mit welchen Mitteln in die Zukunft wollen, würde die Unsicherheit gewiss mindern.

Auch in Ihren Büchern geht es oft darum, scheinbar unvereinbare Positionen zu beschreiben und zum Perspektivwechsel anzuregen. Wie gelingt Ihnen das?

Zeh: Das gelingt mir meist schon dadurch, dass ich mich sehr gut in Perspektiven einfühlen kann, die meiner eigenen fremd sind – es ist ja das, was ich als Autorin immer mache, wenn ich eine Geschichte schreibe. Auf diese Weise kann ich Menschen helfen, einander besser zu verstehen.

Juli Zeh und Simon Urban
2023 erschien der Roman „Zwischen Welten“ mit Co-Autor Simon Urban – auch dort geht es um Gegensätze. Foto: Peter von Felbert

Apropos andere Perspektiven zulassen: Ihr Roman „Zwischen Welten“, den Sie gemeinsam mit Co-Autor Simon Urban verfasst haben, kritisiert vor allem die Debattenkultur in Deutschland. Sie sehen in Social Media einen Hauptgrund dafür, dass Diskussionen inzwischen schnell in Anfeindungen enden. Warum sind die Fronten so verhärtet?

Zeh: Mein Eindruck ist, dass die Menschen zurzeit große Unsicherheit spüren und deshalb dazu neigen, sich in Lagern zusammenzuschließen, um dort gefühlte Sicherheit zu bekommen. Vermeintlich klare Positionen und starke Meinungen sind sehr gefragt, obwohl die oft unterkomplex sind und an der Sache vorbeigehen. Wir brauchen Zuversicht, damit wir auch wieder in der Lage sind, Ambivalenzen und Komplexität auszuhalten.

Glauben Sie, von einer anderen – zurückhaltenderen – öffentlichen Debattenkultur würde auch der Wirtschaftsstandort Deutschland profitieren?

Zeh: Zurückhaltender muss die Debatte nicht sein, aber sachlicher und weniger moralisch. Ich glaube schon, dass auch die Ökonomie davon abhängt, denn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind ja viel stärker verzahnt, als viele Leute meinen.

Um scheinbar verhärtete Fronten geht es Ihnen oft auch literarisch. Wie wichtig ist Toleranz gegenüber anderen Meinungen – sei es politisch, gegenüber Geschäftspartnern oder Mitarbeitern – für unternehmerischen Erfolg?

Zeh: Das ist in jeder Hinsicht wichtig. Wenn der Respekt zwischen Menschen fehlt, dann lähmt das auf Dauer das Vertrauen, die Kreativität und die Motivation. Und all das braucht man, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein.

Carmen Würth Forum
Juli Zeh wird bei der abendlichen „Highlight Session“ im Carmen Würth Forum Stargast sein. Foto: Würth/Andi Schmid

Sie machen keinen Hehl daraus, dass Sie seit 2017 Mitglied der SPD sind. Sie nannten den Kanzler vor zwei Jahren in einem Gespräch mit dem Spiegel „besonnen“ im Sinne von zurückhaltend. Ist diese Eigenschaft das, was den Menschen im Land abhanden gekommen ist?

Zeh: Besonnenheit und Zurückhaltung sind für mich nicht ganz dasselbe. Man kann forsch voranschreiten und dabei trotzdem besonnen sein. Besonnenheit als Gegenteil von Hysterie oder apokalyptischem Denken finde ich sehr wichtig und ich glaube, dass wir davon alle etwas zurückgewinnen müssen.

Besonnenheit kann auch im strategischen, unternehmerischen Weitblick liegen – also in dem, was beispielsweise über Generationen geführte Familienunternehmen, wie es hier viele gibt, ausmacht. Sind kluge Unternehmer besonnene Menschen?

Zeh: Das denke ich schon, denn leichtfertige Kurzschlussentscheidungen können ja meist der Lage nicht gerecht werden. Aber Besonnenheit darf nicht in Zaudern umschlagen, denn es ist ja auch wichtig, im richtigen Moment Tatkraft zu entfalten.

Lag das Scheitern der Ampelkoalition denn aus Ihrer Sicht an „zu viel Besonnenheit“ – sprich Zögern – oder eher an der oben beschriebenen, mangelnden Debattenkultur und einem „Zu wenig aufeinander zugehen“ bei scheinbar unvereinbaren Positionen ?

Zeh: Es lag aus meiner Sicht daran, dass drei Parteien miteinander regieren mussten, die zu verschieden sind, um gut zusammenzuarbeiten. Und dass oft mehr die Klientelpolitik im Mittelpunkt stand, also der Wunsch, sich bei den eigenen Wählern zu profilieren, als gemeinsam wirklich pragmatische Lösungen zu suchen.

Was möchten Sie beim „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ mit Ihren Worten im besten Fall bewirken?

Zeh: Ich möchte trotz allem, was es zu kritisieren gibt, auch Optimismus verbreiten und Dankbarkeit, dass wir noch immer in einem der erfolgreichsten Länder der Welt leben. Wir dürfen den Glauben an unser Potenzial nicht verlieren, denn dieser Glaube und ein gesundes Selbstvertrauen sind immer die Voraussetzung von Erfolg.


Zur Person

Juli Zeh, mit bürgerlichem Namen Julia Barbara Finck, ist unter ihrem Mädchennamen zu einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwartsliteratur avanciert. Juli Zeh, Jahrgang 1974, studierte als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes Rechtswissenschaften mit Studienschwerpunkt Völkerrecht an der Universität Passau, der Jagiellonen-Universität in Krakau, der New York University und der Universität Leipzig. 1998 legte sie in Sachsen das erste Staatsexamen als Jahrgangsbeste ab, das zweite Staatsexamen folgte 2003. Sieben Jahre später folgte die Promotion an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. 2018 wurde Juli Zeh vom Brandenburgischen Landtag auf Vorschlag der SPD-Fraktion zur ehrenamtlichen Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg gewählt.

Ihr schriftstellerisches Debüt lieferte Juli Zeh 2001 mit dem Roman „Adler und Engel“. Schon das Debüt wurde in 35 Sprachen übersetzt. Es folgten zahlreiche Bestseller – einer der bekanntesten ist „Unterleuten“, das in der brandenburgischen Provinz spielt. In ihren Werken geht es oft um gegensätzliche Standpunkte, unterschiedliche Biografien der Protagonisten und scheinbar unvereinbare Wertvorstellungen. So konzipierte sie ihr neuestes Werk „Zwischen Welten“, das 2023 bei Luchterhand erschien, gemeinsam mit Co-Autor Simon Urban als Schlagabtausch per WhatsApp. Juli Zeh lebt mit ihrem Mann David Finck in Brandenburg.


Interview von Natalie Kotowski