„Keine Eintagsfliege“

270 Experten aus über 80 Betrieben diskutierten auf der diesjährigen Engineering- und IT-Tagung in Köln über Chancen und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz (KI). Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, fordert eine frühzeitige Beteiligung der Beschäftigten bei Entwicklung und Einsatz von KI-Anwendungen.

Die Engineering- und IT-Tagung im September stand ganz im Zeichen von Künstlicher Intelligenz. Betriebliche Akteure, Gewerkschafter und Wissenschaftler diskutierten über deren Möglichkeiten und Auswirkungen. Zu welchem Schluss sind sie gekommen?

Benner: Ja, das sind hochspannende, intensive Diskussionen, die wir da gemeinsam führen. Uns allen ist klar: Künstliche Intelligenz ist keine Eintagsfliege, ganz im Gegenteil. Der Einsatz von KI-Systemen schreitet unaufhaltsam voran. Auch wenn dieser in unserem Organisationsbereich noch am Anfang steht, sehen wir schon jetzt, dass es in vielen Betrieben in fast allen Bereichen Überlegungen und erste Ansätze gibt, wie KI-Anwendungen die Arbeit unterstützen oder ganz übernehmen können. Die Einsatzgebiete von KI sind dabei vielfältig: Sie reichen von digitalen Assistenzsystemen im Büro über Chatbots bei der Kundenbetreuung bis hin zu Anwendungen beim assistierten Fahren. Das Thema ist also heiß. Und wir packen es an.

Auf welche Weise?

Benner: Wir wollen das Thema in den Betrieben gestalten, zusammen mit den Kollegen. Sie müssen von Anfang an an der Entwicklung und Einführung von KI-Systemen beteiligt werden, denn sie sind die Experten, wenn es um ihre Arbeitsplätze geht. Gemeinsam mit den Beschäftigten wollen und werden wir die Herausforderungen, die sich mit KI stellen, frühzeitig erkennen und offensiv unsere Forderungen auf die Agenda setzen. Das ist wichtig. Wir klinken uns in die Debatte ein. Wir sind in der Plattform „Lernende Systeme“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung dabei. Und wichtig ist auch: Wir haben präzise Forderungen an die Politik. Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Chancen, die aus der Verwendung von KI-Anwendungen entstehen, für die Beschäftigten nutzen und die Risiken minimieren.

Welche Chancen entstehen mit dem Einsatz von KI?

Benner: Eine ganze Reihe. KI-Systeme können Beschäftigte entlasten und Freiräume für höherwertige Tätigkeiten schaffen, zum Beispiel, wenn sie Routinearbeiten etwa von Sachbearbeitern in der Personalabteilung übernehmen, gewisse Tätigkeiten, die nahezu keinen Gestaltungsspielraum haben, Aufgaben, die monoton sind und anstrengend.

Gibt es bereits betriebliche Beispiele?

Benner: Ja, gibt es. Bei dem Technologieunternehmen Präzisionsoptik Gera etwa wird überlegt, die Auftragsbearbeitung durch eine KI zu unterstützen. Früher gab es Lieferschein und Rechnung, fertig. Heute braucht es viel mehr. Das Erfassen von individuellen Kundenwünschen bei der Verpackung ist nötig, Dokumente für die Zollabwicklung sowie Qualitätszertifikate müssen vorbereitet und übermittelt werden. Bei alledem kann KI behilflich sein. Was alles möglich ist, sieht man gut im ‚Data Lab‘ von VW. Experten beschäftigen sich hier mit maschinellem Lernen und Algorithmen, die sich selbst etwas beibringen. Lernende Systeme können Facharbeitern helfen, verzweigte Logistik- und Produktionsprozesse noch besser zu steuern. Sie können komplexe volkswirtschaftliche Entwicklungen analysieren, um umfassendere Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Roboter und Maschinen in der Werkshalle könnten lernen, eigene Wartungszyklen vorherzusagen und den Instandhalter zu informieren. Das sind riesige Möglichkeiten, die sich da auftun. Aber wichtig zu sehen ist: Die Chancen, die KI bietet, verwirklichen sich nicht von selbst. Das alles geschieht nicht von alleine. Es muss von uns gestaltet werden. Genauso wie die Digitalisierung.

Digitalisierung kann und muss also gestaltet werden?

Benner: Ja, absolut. Mich stört immer, wenn so getan wird, als sei Digitalisierung irgendetwas Außerirdisches, etwas, das wie eine Naturkatastrophe plötzlich auftaucht und sich vollständig unbeherrschbar vollzieht. Dem ist nicht so, ganz im Gegenteil: Wenn wir von Digitalisierung sprechen, dann sprechen wir von Prozessen, die geleitet, von Dynamiken, die kanalisiert, von technologischen Neuerungen, die in die eine oder in die andere Richtung gestaltet werden können. Unsere Aufgabe ist es, die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten zu gestalten.

Wie kann das gelingen?

Benner: Es braucht ein Bündel von Maßnahmen. Ich habe dazu einen Fünf-Punkte-Plan für innovative Mitbestimmung in der Industrie 4.0 vorgeschlagen und flächendeckend einen sogenannten Betriebsatlas über die Auswirkungen der Digitalisierung und die Einsatzmöglichkeiten von KI. Wir wollen in jedem Betrieb vermessen, in welchen Bereichen und Abteilungen digitale Technik eingeführt wird. So wissen Betriebsräte und Beschäftigte, was bei ihnen in Sachen Digitalisierung geschieht.

Interview: IG Metall

Zur Person
Christiane Benner ist Zweite Vorsitzende der IG Metall. Nach ihrer Ausbildung bei der Carl Schenk AG in Darmstadt studierte Benner Soziologie an der Philipps-Universität in Marburg sowie in den USA und an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 1997 ist die gebürtige Aachenerin bei der IG Metall tätig. 2008 wurde sie Bereichsleiterin beim Vorstand, 2011 Geschäftsführendes Vorstandsmitglied und seit Oktober 2015 ist das SPD-Mitglied Zweite Vorsitzende der IG Metall.