Auch wenn Deutschland die USA bei Investitionen in die neue Technologie kaum schlagen kann, „können wir immer noch Sieger bei der Implementierung werden“, sagt der Heilbronner Hochschulprofessor Dr. Rainer Schnauffer. Seine Metastudie und regionale Daten belegen: Der Wille, mehr KI in den Unternehmen in Heilbronn-Franken einzusetzen, ist da.

Wer eine Parallele ziehen wollte zwischen Zukunftstechnologien und dem menschlichen Körper, würde beim Thema Künstliche Intelligenz vermutlich zuerst an das Gehirn denken. Schließlich verarbeitet unser Denkorgan Daten im Sekundentakt, selektiert, vergleicht, optimiert und wertet aus. Es ist die Zentrale menschlicher Intelligenz.
Dabei läge eine andere Analogie in Bezug auf den KI-Einsatz viel näher. Künstliche Intelligenz könnte für deutsche Unternehmen das sein, was für den Menschen die Muskeln sind. Wer sie nutzt und trainiert, wird stärker, beweglicher und schneller. Und genau darauf bauen Nutzer, die ihre Geschäftsmodelle transformieren. „Geringere Kosten und mehr Umsatz – diese Effizienz ist, was sich Unternehmen erhoffen. KI hat nachgewiesene Effekte darauf“, sagt Dr. Rainer Schnauffer, Professor für Marketing mit Schwerpunkt B2B an der Hochschule Heilbronn und Inhaber der Prof. Schnauffer Marketing, Vertriebs- und Unternehmensberatung. Welche Kraft KI entwickeln kann, hat er wissenschaftlich untersucht. „Es ist tatsächlich eine Riesenchance für uns, KI schnell in Produkte und Prozesse zu implementieren – hier ist das Rennen noch offen“, sagt er.
KI als Chance für Unternehmen in Heilbronn-Franken
„Eine Chance für uns“ – das bedeutet für Schnauffer auch eine Chance für Unternehmen in Heilbronn-Franken. Dort seien die produzierenden Branchen vergleichsweise stark vertreten. Die Region mit ihrem Branchenmix und der hohen Dichte an Weltmarktführern und Hidden Champions sei dafür prädestiniert, die Umsetzung von Anwendungen anzugehen, gerade in der Produktentwicklung. „Andere sind noch nicht so weit“, stellt der Experte fest.
Schnauffer hat die KI-Fitness deutscher Unternehmen nun umfassend dokumentiert. Gemeinsam mit der studentischen „Projektgruppe Marketing“ aus dem Studiengang Betriebswirtschaft und Unternehmensführung in der Fakultät Wirtschaft hat der Heilbronner Hochschulprofessor vor wenigen Wochen eine groß angelegte Analyse zum Stand der KI-Implementierung in deutschen Unternehmen veröffentlicht. 160 Studien hat das Team dafür gesichtet und den aktuellen Forschungsstand zusammengefasst.

Der Einsatz von KI birgt erhebliches Potenzial
Das Ergebnis: Der Einsatz von KI „birgt in deutschen Unternehmen erhebliches Potenzial“. Aber: „Unklare rechtliche Rahmenbedingungen und strenge Regularien bremsen die Realisierung dieser Potenziale“, wie es in der Studie heißt. Das hemme nicht nur die breite Nutzung von KI, sondern auch die Innovationskraft der Unternehmen. Klingt in der Analogie fast so, als appelliere ein Fitness-Coach an einen Sportler: Packe es an und trainiere! Stärke und Entwicklungsmöglichkeiten sind da – nutze sie, statt von vorneherein aufzugeben.
Schnauffers Meta-Studie zeigt jedoch, dass in vielen deutschen Chefetagen, metaphorisch gesagt, bestenfalls gerade ein Trainingsplan erstellt wird: 27 Prozent – also ein gutes Viertel der mehr als 10.000 befragten Unternehmen – setzt bislang überhaupt keine KI ein. Immerhin 40 Prozent planen die Implementierung. Positiv: Jedes dritte Unternehmen hat KI eingeführt, befindet sich sozusagen schon mitten im Workout. Die deutschlandweiten Zahlen dürften im Großen und Ganzen auch auf Firmen in Heilbronn-Franken zutreffen, schätzt Schnauffer.
Studie zum Einsatz von KI in Unternehmen in Heilbronn-Franken
Diese Annahme stützt sich auf die Ergebnisse einer Studie aus dem vergangenen Jahr, für die das Fraunhofer IAO im Auftrag der IHK Heilbronn-Franken und der Pakt Zukunft GmbH mittels 160 Unternehmensbefragungen und elf Interviews einen Überblick über den KI-Einsatz in Unternehmen zwischen Neckar und Tauber gewonnen hatte.
14 Prozent der online befragten Führungskräfte, Manager und Fachkräfte im IHK-Einzugsgebiet sahen sich vor einem Jahr als „KI-Vorreiter“, die die neue Technologie bereits anwenden. Zwei Drittel rangierten im Mittelfeld und waren damals gerade dabei, erste Erfahrungen mit dem Thema zu sammeln. Knapp jeder Fünfte fiel in die Kategorie „Beginner“ und hatte noch keine Berührungspunkte mit KI, wobei die Ergebnisse je nach Firmengröße stark variierten: Von den Global Playern mit mehr als 2000 Mitarbeitern waren Anfang 2024 mehr als die Hälfte bereits technologische „Bodybuilder“, beim Mittelstand ab 500 Mitarbeitern bezeichnete sich immerhin jeder Vierte als „Vorreiter“ – bei kleinen Unternehmen bis 50 Mitarbeiter waren es jedoch nur zwei Prozent.
Dass die Zahlen auch ein Jahr später noch gelten, bestätigt Nino Mirza: „Die Region zeigt sich zunehmend offen für KI-Technologien, doch es gibt noch viel Potenzial für weitere Anwendungen und Schulungen“, sagt er. Mirza ist sozusagen der Personal Trainer für Unternehmen in der Region – er ist Projektkoordinator für das KI Transfer Office, kurz KITO, das die IHK und Pakt Zukunft in den Räumen des Heilbronner IPAI betreiben. Dort beraten Experten regionale Unternehmen individuell zur strategischen Integration von KI in ihre jeweiligen Geschäftsmodelle, helfen dabei, sich mit Vorreitern und Experten zu vernetzen und erarbeiten Use Cases in Workshops.

Stellenwert von KI wächst kontinuierlich
Die Nachfrage steigt: Im März waren es laut Mirza 50 Interessierte, die das KITO nutzten. „Der Stellenwert von KI wächst kontinuierlich, doch viele Unternehmen stehen noch am Anfang der praktischen Umsetzung.“ Mittelständische Unternehmen seien oft noch zurückhaltend, beobachtet er. Es fehle aber „weniger am Interesse, sondern am konkreten Wissen über die Einsatzmöglichkeiten.“ Das hatte auch die Fraunhofer-Untersuchung bereits ergeben: Gerade die „untrainierten Beginner“ wünschen sich laut der Studie versierte Partner, um Herausforderungen wie Sicherheitsfragen, Finanzierungsmöglichkeiten und das Sammeln und Verwenden eigener Daten zu meistern. „Viele Unternehmen sind unsicher, welche KI-Lösungen für sie geeignet sind und wie sie den konkreten Nutzen messen können“, sagt Mirza.
Die KI-Beginner in Heilbronn-Franken sind mit ihrem Wunsch nach Beratung nicht allein. Auch laut Prof. Schnauffers Metastudie befindet sich deutschlandweit ein signifikanter Anteil der Unternehmen in der Planungs- und Übergangsphase. Für diese Gruppe solle der Fokus deshalb auf Unterstützung und Förderung liegen, raten die Autoren.
Das KI-Ökosystem in Heilbronn-Franken
Das KI-Ökosystem der Region ist dafür gerüstet: Ob KITO und die Fraunhofer Institute in Heilbronn, die dank der Unterstützung der Dieter Schwarz Stiftung dort gerade ihre Aktivitäten ausbauen, ob das IPAI als europaweit größtes Zentrum für Artificial Intelligence, die Programmierschule 42, der neue Studiengang „Angewandte Künstliche Intelligenz“ an der Hochschule Heilbronn, Hf.con oder auch regionale Kooperationen zwischen Vorreitern wie dem IT-Systemhaus Bechtle und dem Ventilatorenhersteller ebm-papst – sie alle sind „Fitnessstudios“ für Unternehmen, die ihren KI-Muskel stärken wollen. Die regionalen Vorreiter, die bei KI bereits stark sind, könnten dabei mögliche Netzwerk-Sparringspartner aus der Praxis sein.
Ein Vorreiter in der KI-Technologie ist zum Beispiel Schunk. Timo Gessmann, CTO beim Lauffener Spezialisten für Spanntechnik, Greiftechnik und Automatisierungstechnik, ist überzeugt: „Langfristig werden Unternehmen nur dann innovativ und wettbewerbsfähig bleiben, wenn sie KI nutzen.“ Schon heute setze man generative KI in fast allen Bereichen ein, vom Marketing über den Vertrieb bis zur Entwicklung neuer Produkte. „Es ist wichtig, die Technologie zu verstehen und zu beherrschen, um sie sinnvoll und verantwortungsbewusst einsetzen zu können“, findet Gessmann. Deshalb erschließe Schunk schon jetzt im IPAI-Netzwerk gemeinsam mit Partnern neue Anwendungsmöglichkeiten.
Auch Audi in Neckarsulm ist bereits erfolgreich in den Ring der KI-Vorreiter gestiegen: „In Produktion und Logistik gibt es bei Audi schon heute zahlreiche KI-Anwendungsfälle in verschiedenen Reifegraden – vom Ideenstatus über die Erprobung bis zum operativen Betrieb“, berichtet Dr. Andreas Kühne, Programm-Manager Künstliche Intelligenz beim Autobauer in Neckarsulm. Derzeit fokussiere man sich auf KI-gestützte Überwachung von Fertigungsprozessen und Anlagensteuerung, auf Qualitätsüberwachung, Projekte mit Generativer KI sowie KI-gestützte Prozesse für Logistikketten.

Das Ziel, auch bei Audi: weniger Ressourcen und dennoch höherer Output. „Die Digitalisierung der Produktion ermöglicht es uns, Daten durchgängig zu erfassen, einfache und repetitive Arbeiten zu automatisieren und unsere Prozesse ganzheitlich zu optimieren“, sagt Kühne.
Anwendung von KI in Bereichen menschlicher Kommunikation
Dieser Nutzen bei Produktivität und Effizienz ist unter deutschen Unternehmern laut Schnauffers Metastudie unumstritten: 70 Prozent der Befragten sind demnach überzeugt, dass KI Bearbeitungszeiten verkürzt. Mehr als zwei Drittel glauben zudem, sie könne Kreativität beflügeln. 63 Prozent sehen die Chance, dank KI Qualität zu steigern und Prozesse zu automatisieren. Interessanterweise setzen aber selbst unter den Vorreitern weniger als ein Drittel der Unternehmen KI für Optimierungen in Produktion, Logistik oder IT ein, so wie Audi und Schunk es schon tun. Die Metastudie ergibt stattdessen, dass in Deutschland KI bislang stärker in Aufgabenbereichen zum Einsatz kommt, wo menschliche Kommunikation im Vordergrund steht: Bei jedem zweiten Unternehmen übernimmt ein digitaler Ansprechpartner den Kundenservice, ähnliche Zahlen ergeben sich für Marketing und Vertrieb.
In Heilbronn-Franken liegen diese Werte laut der Fraunhofer-Auswertung prozentual sogar noch höher, wenngleich dort Produktion sowie Forschung und Entwicklung auf den Plätzen Zwei und Drei der Top-Anwendungen liegen. Das könnte auf den Innovationsdruck unter den Weltmarkführern und Hidden Champions der regionalen Industrie- und Zulieferbranche zurückzuführen sein.
Bislang wenig genutzt wird KI übergreifend bei der Personalplanung, dort kommt sie nur in zehn bis 15 Prozent der Unternehmen zum Einsatz. Für Schnauffer liegt der Grund dafür auf der Hand: Generative KI für Texte und Bildbearbeitung – sie gehört für die KI-Nutzer in Heilbronn-Franken nach Fraunhofer-Studienlage genau wie Mustererkennung zu den häufigsten praktischen Anwendungen – sei für Unternehmen schlicht „am einfachsten zu integrieren“. Ein untrainierter Sportler startet schließlich auch nicht mit einem Marathon.
Bedenken beim Datenschutz besonders ausgeprägt
Doch für viele Unternehmen – vor allem, wenn sie beim KI-Einsatz am Anfang stehen – gleicht die Transformation einem Hürdenlauf, das zeigt die Metastudie der Hochschule Heilbronn: Für jeden zweiten deutschen Unternehmer sind die rechtlichen Rahmenbedingungen unklar, 40 Prozent der befragten Unternehmenslenker fühlen sich durch den Datenschutz ausgebremst. Der Marketing-Experte Schnauffer hält dieses Argument in manchen Fällen aber für vorgeschoben: „Datenschutz ist nach meiner Meinung oft eine profane Begründung für Inaktivität. Das habe weniger mit Sicherheitsbedenken zu tun als mit der Scham, im Bereich KI noch am Anfang zu stehen“, sagt er. Solche Bedenken seinen mitunter ein Deckmantel für das eigene fehlende Know-How. Gleichzeitig räumt er ein: „Aber es stimmt schon: Datenschutzbedenken sind in Deutschland ausgeprägter. Davon müssen wir uns stärker lösen.“
Auch im internationalen Vergleich zeigt sich in der Metastudie seiner Studenten, dass hierzulande Unternehmen in Datenschutz und IT-Sicherheit weit größere Risiken sehen als im Rest der Welt. International dominieren demzufolge eher Herausforderungen bei der technischen Integration und der Datenqualität.
Das Problem der fehlenden Daten
Mangelnde interne Daten sind allerdings auch in Deutschland ein Problem: Laut der Hochschulstudie geben 42 Prozent der Befragten zu, dass eine geringe Datenqualität respektive -verfügbarkeit sie davon abhält, sich für KI stärker zu öffnen. Auch in Heilbronn-Franken sind mangelnde Daten, nach fehlenden zeitlichen und personellen Ressourcen, die meistgenannte Herausforderung. Das aber kann nach Schnauffers Ansicht mittelfristig tatsächlich die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen torpedieren: „Wer in den vergangenen 15 Jahren keine internen Daten gesammelt hat, wird in den kommenden zehn Jahren Probleme bekommen“, befürchtet er. „Der kann dann nur noch hoffen, dass andere es auch nicht besser gemacht haben.“
KI-Kompetenz sei tendenziell eher in größeren Unternehmen vorzufinden. Mittelständler, deren Produkte und Dienstleistungen mit großen Anbietern im Wettbewerb stünden, hätten aus der Sicht des Heilbronner Hochschulprofessors und Studienleiters dann „echte Nachteile“ zu erwarten. Unternehmen, die bei Künstlicher Intelligenz in Know-how, Prozessen oder Datenlage noch am Anfang stehen, tun nach Aussage der Metastudie gut daran, in Weiterbildung sowohl der Entscheider als auch der Mitarbeiter zu investieren, und KI für datengetriebene Entscheidungsprozesse und innovative Anwendungsbereiche im Budget zu berücksichtigen, so wie es etwa Schunk und Audi schon vormachen.
Die Nutzung von KI in der Produktion
Beide – der Automobilhersteller wie der Automatisierungs-Spezialist – setzen auch das um, worin für Schnauffer die größte Chance für Deutschland und die Region liegt: Sie nutzen KI in der Produktion. „Ein aktuelles Beispiel dafür ist unser 2D-Grasping-Kit“, führt Schunk-CTO Gessmann an. In der Automatisierungslösung ist nach seinen Worten bereits KI integriert, die dabei hilft, verschiedene unsortierte Objekte zu erkennen und optimal zu handhaben.

Dank intelligenter Produkte einen Mehrwert für Kunden zu schaffen, ist nach Schnauffers Ansicht ein vielversprechender Weg für deutsche Unternehmen, um auch im internationalen Vergleich gut abzuschneiden. Allein angesichts der Investitionssummen, die Weltmächte wie etwa die USA in KI-Forschung steckten, sei es aus seiner Sicht zwar schwer, in der Methodik Weltspitze zu werden. „Aber weil wir immer noch viel Industrieproduktion in Deutschland haben, ist es vielleicht möglich, KI in größerem Maße in Produkte zu integrieren, als das zum Beispiel in den USA möglich ist. „KI in Prozessen – da haben wir die gleichen Chancen wie andere Länder auch. KI im Produkt – da stecken unsere Chancen, gerade für unsere Region“, fasst Schnauffer es zusammen. Dem gefühlten Kampf „David gegen Goliath“ sieht er vor dem Hintergrund der Studienergebnisse und dem darin ersichtlichen Willen zum konsequenten KI-Muskel-Aufbau gelassen: „Es steht uns immer noch offen, Anwendungssieger zu werden“, ist er überzeugt.
Natalie Kotowski
Zur Person
Prof. Dr. Rainer Schnauffer lehrt Marketing mit Schwerpunkt B2B an der Hochschule Heilbronn und ist Inhaber der Prof. Dr. Schnauffer Marketing, Vertriebs- und Unternehmensberatung. Er leitete die Metastudie von Dimitrios Giannopoulos, Joel Jakubowski, Valentino Prys, Nathalie Kliem, Rafael Zdunek und Valbona Zekirowski. Die Autoren studieren an der Hochschule Heilbronn Betriebswirtschaft und Unternehmensführung in der Fakultät Wirtschaft und sind dort Mitglieder der Projektgruppe Marketing.

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