Knapp bei Kasse

Auch in der wirtschaftsstarken Region Heilbronn-Franken gibt es Menschen, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen, weil sie sich am Rande des Existenzminimums bewegen. Ein zunehmendes Armutsrisiko beobachten gemeinnützige Organisationen wie die Aufbaugilde Heilbronn oder der Sozialverband VdK – Kreisverband Heilbronn vor allem bei Rentnern.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband wie auch die Bundesregierung oder das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellen der Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen ihre Armutsberichte vor. Aus den Statistiken geht hervor, dass jemand in Deutschland als armutsgefährdet gilt, wenn er weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erhält.

Das Armutsrisiko steigt beispielsweise bei Singles, die weniger als 917 Euro netto im Monat verdienen. Als armutsgefährdet gilt auch eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind unter sechs Jahren bei einem monatlichen Einkommen von knapp 1200 Euro. Statistiker stufen eine vierköpfige Familie mit einem Nettoverdienst zwischen 1978 und 2355 Euro ebenfalls als einkommensarm ein.

2017 liegt die Armutsquote in Deutschland bei 15,7 Prozent. Baden-Württemberg liegt mit 11,8 Prozent zwar unter dem bundesweiten Schnitt. Andererseits steigt die Armutsquote auch im „Ländle“ seit 2007 jedes Jahr kontinuierlich an. Trotz der guten wirtschaftlichen Entwicklung lässt sich auch in Heilbronn-Franken mit seinen zahlreichen Weltmarktführern bei mehreren Personengruppen ein potenzielles Armutsrisiko nicht leugnen.

In seiner Funktion als Geschäftsführer im Kreisverband Heilbronn des bundesweit agierenden Sozialverbands VdK beraten Frank Stroh und sein Team täglich Menschen, die im „reichen“ Deutschland in finanziellen Nöten stecken. Seiner Meinung nach sind es speziell Rentner, die in Heilbronn-Franken am stärksten in die Armutsfalle tappen. „Vor allem Frauen mit einer schlechten Erwerbsbiographie erleben im Seniorenalter oft finanzielle Not“, weiß er. „Sie haben wenig oder gar nicht gearbeitet, weil sie die Kinder großgezogen haben und daher ist in meinen Augen die Mütterrente nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, ergänzt er.

Schamgefühl

Nadine Erdmann pflichtet ihm bei. „Frauen sind von der Altersarmut auch deshalb bedroht, weil sie bei gleicher Arbeit oft weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen und wegen der Kindererziehung häufig nur Teilzeitjobs ausüben“, erklärt sie. Erdmann arbeitet bei der Crailsheimer Tafel – einem gemeinnützigen Projekt der Aufbaugilde Heilbronn.

Sowohl Nadine Erdmann als auch Frank Stroh gehen davon aus, dass die Themen „Altersarmut“ und „Altersabsicherung“ zukünftig noch mehr politische Brisanz erfahren. „Die jetzige Generation findet sich immer mehr in prekären Arbeitsverhältnissen wieder. Manchmal braucht es heute zwei oder drei Jobs, um über die Runden zu kommen“, konstatiert Frank Stroh. „Geringverdiener können kaum in ihre Altersvorsorge einzahlen“, wirft Nadine Erdmann ein.

Frank Stroh findet es jedenfalls für ein so reiches Land – wie Deutschland es ist – blamabel, wenn ältere Menschen aus finanzieller Not in Abfallkörben nach Pfandflaschen stöbern müssen, um ihre mickrige Rente aufzubessern. „Ältere Menschen schämen sich meist sehr, Leistungen anzunehmen, die ihnen zustehen. Das Schamgefühl ist auf dem Land, wo jeder jeden kennt, noch stärker ausgeprägt als in der Stadt“, bekräftigt der Sozialexperte. Er sieht die Politik nach der Bundestagswahl in der Pflicht, mehr gegen die Altersarmut zu tun. „Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass die Politik das Problem vor sich her schiebt, bis es nicht mehr anders geht“, kritisiert Stroh. Das Totschweigen der Altersarmut als gesellschaftliches Problem sei auch ein Grund für die Wahlerfolge am rechten Rand.

Andreas Scholz