Wie wollen wir in Zukunft leben? In Künzelsau hat man sich diese Frage gestellt und von langer Hand eine Vision 2030 entwickelt. Nun füllt sich diese allmählich mit Leben. Ein Beispiel, wie Stadtplanung transparent funktioniert.
Sie steht: die „Strategie 2030“ für Künzelsau. Diese ist natürlich keine Errungenschaft, die ein Projektteam in einer Woche oder gar über Nacht einfach so aus dem Boden gestampft hätte. Sie ist das Ergebnis eines fast acht Jahre langen Prozesses: Was im Jahr 2013 aus der „Strategie 2025“ (und damit dem „Managementverfahren familienfreundliche, bürgeraktive und demografiesensible Kommune“) entwachsen ist, hat sich inzwischen zu einem langfristigen Konzept entwickelt. Darauf ist Bürgermeister Stefan Neumann stolz. Besonders glücklich ist das Künzelsauer Stadtoberhaupt, weil es ihm gelungen ist, die Einwohner im Rahmen von Zukunfts- und Generationenwerkstätten sowie Einwohnerversammlungen von Beginn an aktiv in die Planung einzubeziehen.
„Wir haben uns damals grundsätzlich die Frage gestellt, wie wir in Künzelsau zukünftig leben wollen und welche Maßnahmen dafür ergriffen werden müssen“, sagt Neumann. „Der Gemeinderat schreibt diesen Prozess kontinuierlich fort und hat mit der ‚Strategie 2030‘ gemeinsame Ziel für die nächsten Jahre festgelegt.“
Das Ergebnis sind die fünf Schwerpunkte Gesundheit, Klima, Infrastruktur, Wohnen sowie Digitalisierung und Mobilität. In jedem Jahr stellt die Stadt ein Thema in den Fokus – 2020 war es „Zukunft Gesundheit“; in diesem Jahr steht „Zukunft Wohnen“ an. Dazu gibt es das Begleitprogramm, das den Teilnehmern Themen wie Neubau oder Sanierung, Künzelsauer Baugebiete oder die biologische Vielfalt in Vorträgen, bei Spaziergängen oder Baubegehungen näherbringen soll – zum Beispiel sind Aktionen wie „Natur nah dran“ – Fläche in den Wertwiesen, „Biologische Vielfalt in Künzelsau“, Tag des Denkmalschutzes, Bauwoche Künzelsau oder Apfelsammeln geplant. Was im kommenden Jahr im Mittelpunkt der Arbeit stehen wird, will Neumann gemeinsam mit dem Gemeinderat in der Klausurtagung in der zweiten Jahreshälfte entscheiden.
Online-Beteiligungsplattform für Bürger
Beim Erarbeiten, was für das Erreichen der gemeinsam gesteckten Ziele erforderlich ist, muss zwangsläufig eine ehrliche Ist-Analyse stehen, erklärt Elke Sturm von der Stadtverwaltung Künzelsau. Auf diese Weise würden besonders gute Dinge ebenso sichtbar wie Schwachstellen, sagt sie. Sich die eigene Position bewusst zu machen, ermögliche einen objektiveren Blick über den Tellerrand hinaus. Dazu gehöre auch, Input von außen einzuholen. Dabei sei es wichtig, die Schwerpunktthemen in die grundsätzliche Kommunikation einfließen zu lassen. So sollen die städtischen Social-Media-Kanäle, die Homepage und eine Künzelsauer Seite in der Hohenloher Zeitung nicht nur dabei helfen, die Bevölkerung zu informieren, sondern auch einladen, sich an einzelnen Projekten zu beteiligen, sich einzubringen „oder einfach nur mal in einen digitalen Vortrag reinzuklicken“, wie es der Bürgermeister ausdrückt. Weil es Neumann „enorm wichtig ist, die Strategiearbeit transparent zu gestalten“, entwickelt die Stadtverwaltung den Prozess ständig weiter: Ganz aktuell wird erstmals die neue Online-Bürgerbeteiligungsplattform „Civocracy“ getestet, auf die Gruppen und Vereine Projekte einstellen und eine Förderung im Rahmen des Bürgerbudgets beantragen können; die Künzelsauer wiederum können auf der Plattform abstimmen, welche Projekte mit städtischen Mitteln gefördert werden sollen.
Der Journalist und Publizist Dr. Winfried Kösters ist Moderator und Begleiter der Stadtverwaltung. Er sieht das Vorgehen der Stadt Künzelsau bei den Zukunftsfragen als Beleg dafür, dass die Politik durchaus fähig ist, über Legislaturgrenzen hinaus zu denken. Als besonders löblich empfindet Kösters, dass die Stadt Künzelsau nicht nur einzelne Ziele Schritt für Schritt umsetze, sondern auch Bilanz ziehe und neue Perspektiven auf der Grundlage bestehender Strategien entwickle. So ist ein großes Ziel, das sich die Kocher-Kommune vorgenommen hat, bis 2030 klimaneutral und so bald wie möglich energieautark zu werden.
Die Stadt Künzelsau nimmt seit 2020 teil am „European Energy Award“, einem internationalen Qualitätsmanagement- und Zertifizierungsinstrument für kommunalen Klimaschutz, das zahlreiche Kommunen in Deutschland und Europa auf dem Weg zu mehr Energieeffizienz unterstützt. Die Ludwigsburger Energieagentur (LEA) unterstützt die Stadtverwaltung bei dem Prozess.
Zu Beginn des Jahres wurde dafür der Klimabeirat gegründet: Das Gremium soll Akteure aus den Bereichen Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Kirche und Zivilgesellschaft an einen Tisch holen und Ideen entwickeln, wie der städtische Klimaschutz vorangebracht werden kann. Joachim Schröder hat den Vorsitz übernommen, weil er, wie er sagt, sieht, dass er genau an dieser Stelle zusammen mit den anderen Mitgliedern des Klimabeirates etwas erreichen kann. Ganz aktuell werden die Klimaextreme in Künzelsau wieder sehr deutlich: Entlang des Kochers werden Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt, eine Schutzmauer wird gebaut, während der Fluss daneben mit einem für die Jahreszeit zu niedrigen Wasserstand in seinem Bett fließt. Die Frage, wie der Weg in die Klimaneutralität gelingen kann, müsse immer wieder neu definiert werden, meint Schröder. Das gelte übrigens auch für alle anderen Themen, denn die „Strategie 2030“ sei zwar der ungefähre Fahrplan, der jedoch stets aufs Neue an den Rahmen angepasst werden muss.
Melanie Boujenoui