Lars P. Feld: „Die Wirtschaft steht in 
den Startlöchern“

Die Schuldenquote des Staates steigt, um die Wirtschaft zu stützen. Lars P. Feld betrachtet das derzeit als sinnvoll. Foto: Adobe Stock/bluedesign

Wie groß ist der Einfluss der Pandemie auf die deutsche Wirtschaft? Lars P. Feld, ehemaliger Wirtschaftsweiser und Berater der Regierung, rechnet mit einem baldigen Aufschwung – nennt aber auch die 
großen Herausforderungen der kommenden Jahre.

Wo steht die deutsche Wirtschaft nach über einem Jahr Pandemie?

Lars P. Feld: Rückblickend war der schwerste Einbruch in der Wirtschaftsentwicklung im zweiten Quartal 2020, während es im dritten Quartal wieder steil nach oben ging. Auch das vierte Quartal war besser als erwartet. Im ersten Quartal 2021 gab es dann eine negative Entwicklung durch den verschärften Lockdown. Zudem konnte die Industrie aufgrund von Störungen der Lieferketten nicht so viel produzieren, obwohl der Auftragsbestand hoch war. Insgesamt sind wir bisher glimpflicher durch die Krise gekommen, als das jeweils zu Beginn eines Quartals erwartet wurde.

Sind im Verarbeitenden Gewerbe die Lieferengpässe eine größere Gefahr als die Pandemie?

Feld: Für das Verarbeitende Gewerbe trifft das absolut zu. Aufgrund der Grenzschließungen und der großen Vorsicht, weil man die Pandemie noch nicht einschätzen konnte, hatten viele Unternehmen im zweiten Quartal des vergangenen Jahres zwar geschlossen, aber gerade der Mittelstand, der immer etwas agiler ist als die großen Unternehmen, hat sich mit Hygienekonzepten bestens auf die Pandemie eingestellt. Das ist eine Stärke der 
mittelständisch geprägten Privatwirtschaft. Hier zeigt sich die hohe Flexibilität der Unternehmen, die weiterproduzieren können, wenn eine weitere Corona-Welle kommt.

Sie rechnen also nicht mit einer 
drohenden Pleitewelle?

Feld: Insgesamt betrachtet ist die Resilienz der deutschen Volkswirtschaft relativ hoch, denn die Unternehmen haben in den zehn Jahren zuvor viel Eigenkapital gebildet – gerade auch die kleinen und mittleren Unternehmen sind stärker als vor der Finanzkrise. Das bedeutet, dass die Absorptionsfähigkeit der Unternehmen gesteigert ist. Etwas Ähnliches gilt für die Banken. Das sind die Gründe, warum ich keine Insolvenzwelle im engeren Sinne erwarte. Die Insolvenzen werden zunehmen, zudem wird man Geschäftsschließungen ohne Insolvenzantrag in diesem Jahr häufiger sehen. Leerstände in Innenstädten werden den Bürgern sicherlich das Gefühl geben, dass viele Unternehmen schließen mussten. Aber das wird sich in den Zahlen insgesamt nicht zeigen. Branchen wie Tourismus, Hotellerie, Gastgewerbe und der stationäre Einzelhandel wurden relativ stark und hart durch die Krise getroffen. Das Verarbeitende Gewerbe und die Bauwirtschaft hingegen kommen relativ gut durch die Krise.

Wie sieht die weitere Entwicklung aus?

Feld: Angesichts der Fortschritte der Impfkampagne und der angedachten Öffnungsschritte gehe ich davon aus, dass es bald eine deutliche Entwicklung nach oben geben wird, sodass wir im Laufe des Jahres zwischen 3 und 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum realisieren können. Der Aufschwung wird kommen. Mit anderen Worten: Die Wirtschaft steht in den Startlöchern.

Glauben Sie, dass ab 2022 alles wieder normal läuft?

Feld: Normal noch nicht. Es werden noch Aufholprozesse zu beobachten sein. Das kann im Jahr 2022 ein kräftiges Wirtschaftswachstum bedeuten. Anfang des Jahres könnten wir bereits auf dem Vorkrisenniveau von 2019 sein. Eine Rückkehr auf den alten Wachstumspfad würde ich für 2023 erwarten, wenn die Entwicklung weiterhin so dynamisch bleibt. Wir haben eine kräftige Auslandsnachfrage, wir haben zurückgestauten privaten Konsum, wir haben weiterhin eine sehr expansive Geld- und Fiskalpolitik. Alles das wirkt letztlich darauf hin, dass die konjunkturelle Dynamik hoch sein wird.

Und wie ist ihr Ausblick auf die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach der Krise?

Feld: Ich kann mir vorstellen, dass wir im Unterschied zur Entwicklung nach der Finanzkrise etwas mehr Sorgen beim Thema Inflation und beim Thema Zinsen haben werden. Einfach weil der Staat mit seiner Finanzpolitik sehr expansiv unterwegs ist – weltweit, nicht zuletzt in den USA. Da gibt es bereits Veränderungen in den Inflationserwartungen und bei den Zinssätzen. Ich denke, das wird zu uns herüberschwappen und nicht Halt machen vor der Europäischen Währungsunion.

Stichwort Staatsfinanzen: Die Schuldenbremse ist derzeit ausgesetzt. Wie lange können wir uns das noch leisten?

Feld: Deutschland ist, was die Verschuldung betrifft, noch in einer relativ komfortablen Position. Wir haben eine sehr solide Finanzpolitik in den vergangenen zehn Jahren betrieben und sind von einer Schuldenquote in Höhe von 82,7 Prozent im Jahr 2010 runter auf 59 Prozent im Jahr 2019. Das ist immerhin eine Konsolidierung von über 20 Prozentpunkten des Bruttoinlandsprodukts. Das stützt die Erwartung aller Finanzmarktteilnehmer, dass Deutschland weiterhin einer der solidesten Schuldner auf den internationalen Märkten bleibt. Im Jahr 2020 sind wir mit der Schuldenquote zwar kräftig nach oben gegangen, von 59 auf 70 Prozent. Darin stecken aber auch Garantien, Bürgschaften und Kredite des Staates, die in einem gewissen Umfang in die Schuldenquote eingerechnet werden müssen.

Wann wird die Schuldenquote wieder im gesetzlichen Rahmen sein?

Feld: Wir werden vermutlich dieses Jahr, und wenn die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse noch 2022 gezogen wird, noch nächstes Jahr eine weitere zusätzliche Verschuldung haben, sodass wir bei knapp 75 Prozent Schuldenquote landen könnten. Ich sage dies sehr vorsichtig, weil viel davon abhängt, was von den Mitteln, die ins Schaufenster gestellt werden, tatsächlich abfließt. Ich empfehle insgesamt eine Finanzpolitik der ruhigen Hand – in alle Richtungen: in Richtung derjenigen, die jetzt sparen wollen, und derjenigen, die Steuererhöhungen fordern. Ich würde seitens der Finanzminister abwarten, was in diesem Jahr passiert und mich dann darauf einstellen, in den kommenden zehn Jahren wieder zu konsolidieren.

Das heißt konkret?

Feld: Ich denke, ab 2023 wird man zur Regelgrenze der Schuldenbremse zurückkehren. Dann sind meines Erachtens nennenswerte Puffer in den öffentlichen Haushalten vorhanden, insbesondere beim Bund, sodass die Regelgrenze ohne massive Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen erreichbar ist. Dann werden wir trotzdem in den folgenden zehn bis 15 Jahren aufpassen müssen, dass die Ausgaben nicht aus dem Ruder laufen. Das liegt daran, dass die finanzpolitischen Herausforderungen in dieser längeren Frist größer sind als in den vergangenen zehn Jahren, wenn man beispielsweise an die Demografie denkt.

Welche Herausforderungen warten in diesen zehn bis 15 Jahren?

Feld: Neben der Demografie und der Digitalisierung steht der Klimawandel ganz oben auf der Agenda. Als vierter Megatrend gehört noch alles dazu, was im Bereich internationale Wirtschaft angesiedelt ist. Es ist notwendig, bei diesen vier Megatrends genau hinzuschauen: Was ist die Herausforderung? Was davon muss staatliche Maßnahmen auslösen? Und sind dies Maßnahmen, die Mehrausgaben darstellen? Ich finde, dass an manchen Stellen zu pauschal diskutiert wird. Die Vorstellung, wir brauchen einen 500-Milliarden-Euro-Fonds für öffentliche Investitionen, ist meines Erachtens nur eine Umgehung der Schuldenbremse. Ich stelle fest, dass wir Jahr für Jahr seitens des Bundes höhere Investitionen ins Schaufenster stellen und die Mittel nicht oder unzureichend abfließen.

Woran liegt das?

Feld: Wir haben eine ganze Reihe von regulatorischen und bürokratischen Hemmnissen bei öffentlichen und privaten Investitionen. Deshalb rate ich dazu, das sehr differenziert zu betrachten. Beispiel Klimaschutz: Das wichtigste Element des Klimaschutzes ist der CO2-Preis. Damit nimmt man Geld ein. Diese Mehreinnahmen können dafür verwendet werden, Menschen mit niedrigen Einkommen zu unterstützen, um keine Gelbwesten-Problematik auszulösen und dadurch die Akzeptanz der Klimaschutzpolitik zu beeinträchtigen.

Wo sehen Sie den Staat bei Investitionen in der Pflicht?

Feld: Um das Beispiel Klimaschutz fortzuführen: Was die notwendigen Investitionen anbetrifft, ist der Staat sicher gefordert beim Thema Infrastruktur, aber nicht bei der Umstellung der Industrie auf neue Technologien. Das ist die Aufgabe der Privatunternehmen. Damit machen sie später auch ihren Gewinn. Stahlunternehmen die Anfangsinvestitionen für die Umstellung auf die Wasserstofftechnologie seitens des Staates mit Subventionen zu finanzieren – Herr Altmaier ist mit fünf Milliarden Euro unterwegs –, das halte ich für falsch. Ich muss ganz klar sagen: Wir dürfen nicht in die Subventionspolitik der 1970er, 1980er Jahren zurückfallen, nur weil Interessengruppen laut schreien. Das gilt auch für die Digitalisierung und andere Bereiche. Was ganz klar die Ausgabenkontrolle erschweren wird, das ist die Demografie. Ausgaben in der Renten- und Pflegeversicherung werden sich in den kommenden Jahren aufgrund des demografischen Wandels erhöhen.

Interview: Dirk Täuber

 

Zur Person: Lars Peter Feld ist Professor für Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Leiter des dortigen Walter Eucken Instituts. 
Von 2011 bis 2021 war er Mitglied 
des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen 
Entwicklung und war zuletzt von 
März 2020 bis Februar 2021 dessen Vorsitzender.