Eine aktuelle Studie zur dualen Ausbildung zeigt: mangelnde Berufsorientierung schafft zunehmend Verwirrung und führt zu unbesetzten Ausbildungsplätzen.
Ist der demographische Wandel der Grund für unbesetzte Ausbildungsplätze? Fast die Hälfte der Azubis und Ausbildungsverantwortlichen macht stattdessen die fehlende Berufsorientierung in Schulen als Ursache aus. Das ist ein Ergebnis der Studie „Azubi-Recruiting Trends 2023“, die von der U-form Testsysteme GmbH & Co. KG durchgeführt wurde.
Im Sommer 2022 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit nicht ganz die Hälfte aller Ausbildungsstellen noch unbesetzt. Der demographische Wandel spielt laut der Studie dabei aus der Sicht von Azubis und Ausbildungsbetrieben kaum eine Rolle. Er wird von nur 12,8 Prozent der Azubis und 25,0 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen als Ursache identifiziert.
Gen Z über Gen Z: zu anspruchsvoll
Weitaus häufiger genannt – nämlich von 49,6 Prozent der Azubis und 45,3 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen – wird die mangelnde Berufsorientierung. Überraschend ist laut den Studienverantwortlichen, dass ein großer Teil der Generation Azubi auch die „Anspruchshaltung der jungen Generation“ für unbesetzte Ausbildungsplätze mitverantwortlich macht. Während 40,6 Prozent der befragten Schüler und Azubis diesen Faktor als Ursache nennen, sind es bei den Ausbildungsverantwortlichen nur 35,3 Prozent. Die Gen Z selbst blickt also kritischer auf die eigene Generation als die Angehörigen älterer Jahrgänge.
Unüberschaubare Angebotsfülle
Ein Grund für die berufliche Desorientierung möglicher Azubi-Bewerbender ist die stetig steigende Zahl der Ausbildungsberufe. Aktuell sind es 324. Darunter befinden sich eher unbekannte Berufsbilder wie das des „Zerspanungsmechanikers“ oder relativ neue wie „Kaufmann/Kauffrau im E-Commerce“ oder „Gestalter/Gestalterin für immersive Medien“, der ab dem 1. August 2023 erstmals angeboten wird. „Das wird für immer mehr Jugendliche zum Orientierungsproblem,“ sagt Felicia Ullrich, die die Studie seit vielen Jahren für die U-form Testsysteme betreut: „Während der Coronapandemie hat die Berufsorientierung zusätzlich gelitten, weil entsprechende Präsenzangebote weggefallen sind.“
Ausbildung zum E-Sportler?
Zur Frage, welche Ausbildungsberufe tatsächlich angeboten werden und welche nicht, herrscht entsprechend Verwirrung. So sind 74,3 Prozent der Azubis davon überzeugt, dass eine duale Ausbildung zum „Persönlichen Gesundheitsassistenten“ angeboten wird, die die Auszubildenden befähigen soll, Privatpersonen zum Thema gesunder Lebenswandel zu beraten. 73,3 Prozent von ihnen glauben, dass es eine Ausbildung zum „E-Sportler“ gibt, die Fachleute hervorbringen soll, die sich auf professionellem Niveau Videospielen widmen. Beide Angebote existieren aktuell nicht – im Unterschied zum „3-D-Druckexperten“ etwa. Hier schätzen 55,5 Prozent der Azubis die Lage richtig ein, dass ein solcher Ausbildungsberuf existiert.
Du oder Sie?
Die Studie widmete sich auch Themen des Azubi-Marketings und -Recruitings. Wie möchten Azubi-Bewerbende auf Karriereseiten und in Stellenanzeigen angesprochen werden? 55,7 Prozent bevorzugen laut den Umfrageergebnissen aktuell das „Du“, 10,2 Prozent das „Sie“. 34,1 Prozent ist die Form der Ansprache egal. 68,7 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen nutzen das „Du“ in der Ansprache von Azubi-Bewerbenden, 19,3 Prozent das „Sie“. 61,6 Prozent der Azubis würden lieber in einem Unternehmen arbeiten, das Mitarbeitende duzt. Nur 4,3 Prozent würden das „Sie“ bevorzugen. 34,1 Prozent ist es egal. Nach Auskunft der befragten Ausbildungsverantwortlichen arbeiten 50,8 Prozent von ihnen in einem Unternehmen, in dem die Frage nach „Du“ oder „Sie“ nicht einheitlich geregelt ist.
Social Media wird überschätzt
Vielen gelten TiKTok und Co. als das Mittel der Wahl im Azubi-Recruiting. Jedoch nutzen nur 10,9 Prozent der Azubi-Bewerbenden Social Media gezielt für die Suche nach einem Ausbildungsplatz, weitere 39,6 Prozent sind im Hinblick auf Social Media Passivsucher: Erhalten sie ein entsprechendes Angebot, schauen sie es sich an, sie suchen jedoch nicht aktiv. Für rund die Hälfte der Azubi-Bewerbenden (49,5 Prozent) jedoch spielt Social Media bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz keine Rolle. Von denjenigen Azubi-Bewerbenden, die Social Media gezielt nutzen, informieren sich 51,7 Prozent „häufig“ oder „sehr häufig“ auf Instagram. TikTok kommt auf 28,4 Prozent.
Recruiting im Blindflug
Während Social Media von den Ausbildungsbetrieben recht umfangreich bespielt wird, allein 88,3 Prozent nutzen eigenen Angaben zufolge Instagram, wird die Luft bei den Kennzahlen zur Steuerung von Azubi-Recruitingprozessen dünn. 66,6 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen nutzen nach eigenen Angaben keine Kennzahlen im Azubi-Recruiting. Von den wenigen Betrieben, die Kennzahlen verwenden, kann nicht einmal die Hälfte (48,2 Prozent) die Frage beantworten, welcher Recruitingkanal zu welchen Kosten qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber liefert.
Azubi-Auswahlverfahren optimierungsfähig
Bei den Ausbildungsverantwortlichen wird mit 54,1 Prozent nur ein weiterer Grund häufiger für unbesetzte Ausbildungsplätze genannt als die mangelnde Berufsorientierung: die fehlende Eignung der Jugendlichen. „Eignungsdiagnostisch gesehen sind die aktuellen Azubi-Auswahlverfahren allerdings optimierungsfähig,“ sagt die zertifizierte Eignungsdiagnostikerin Felicia Ullrich. So hält nur eine Minderheit der Ausbildungsbetriebe eignungsdiagnostische Standards bei den Auswahlgesprächen ein – wie ein einheitliches Fragenset (44,5 Prozent), eine schriftlich fixierte Struktur (48,8 Prozent), ein schriftlich definiertes Anforderungsprofil als Grundlage (38,6 Prozent) oder einen Auswertungsbogen (47,9 Prozent).
An der von U-form Testsysteme GmbH & Co. KG durchgeführten Online-Umfrage zum Azubi-Marketing und -Recruiting haben 4.284 Schüler und Azubis sowie 1.639 Ausbildungsverantwortliche teilgenommen.