B2B-Experte Rainer Schnauffer: „Marken sind Dickschiffe“

Wer keine unternehmerische Havarie erleiden will, sollte schnelle Manöver bei der Markenbildung vermeiden, rät B2B-Experte Rainer Schnauffer von der Hochschule Heilbronn. In anderen Bereichen des Marketing-Mix gilt hingegen: „Volle Kraft voraus!“

Markenbildung
Volle Kraft voraus? Markenbildung funktioniert eher im Tempo eines großen Dampfers. Foto: Adobe.Stock/Andrea Izzotti

Als hätte ein Riese das Kreuzfahrtschiff auf die Seite geworfen wie ein wütendes Kind sein Spielzeugboot: Die Bilder von der 2012 havarierten „Costa Concordia“, die vor der italienischen Insel Giglio auf Grund lief, sind immer noch für viele Menschen präsent. Ein unbedachtes Manöver des Kapitäns hatte das Schiff in die katastrophale Schieflage gebracht. Wenn es um Markenführung geht, unterlaufen auch Unternehmen unbedachte Manöver – dabei sind schnelle Kurswechsel gefährlich: „Marken sind Dickschiffe. Sie bewegen sich nur sehr langsam“, vergleicht Rainer Schnauffer, Professor für Marketing mit Schwerpunkt B2B an der Hochschule Heilbronn und Inhaber der Prof. Dr. Schnauffer Marketing, Vertriebs- und Unternehmensberatung.

Markenbildung braucht Zeit

Schnauffer warnt davor, zu heftig am Steuerrad zu drehen, um Wahrnehmung und Sichtbarkeit eigener Produkte und Markenlinien neu auszurichten. Eine Marke müsse man sanft und behutsam behandeln – eher im Tempo eines Stückgutfrachters. Ruckartige „Moves“ würden mehr schaden als nützen und könnten eine etablierte Marke sogar zerstören. „Das Schlimmste ist, wenn ein Jungproduktmanager denkt, jetzt revolutionieren wir mal kurz die Marke. Das versteht der Abnehmer nicht“, ist er überzeugt.

Dass Umsicht zum Ziel führt, dafür gibt es aus Schnauffers Sicht in Heilbronn-Franken durchaus Beispiele: „Das Unternehmen ebm-papst hat in den vergangenen 15 Jahren sehr konsequent an seiner Marke und an seiner Bekanntheit gearbeitet.“ Dort ist längst angekommen, dass Markenbildung Zeit braucht: „Der Aufbau einer starken Marke ist kein Sprint, sondern ein Marathon“, erklärt Celina Mächtle, Markenexpertin bei ebm-papst in Mulfingen. „Uns war von Anfang an klar, dass wir die Organisationen nicht mit den Veränderungen überfallen dürfen. Wer denkt, dass ein Change-Prozess und die Stärkung einer Marke ein Projekt mit einem klaren Abschluss ist, der täuscht sich“, sagt sie.

Nichtsdestotrotz müsse ein klares Ziel der Veränderung definiert sein, auf das alle Mitarbeitenden hinarbeiten, „denn eine starke Marke wächst von innen heraus“, formuliert es Mächtle. Am erfolgreichsten dann, wenn nicht ein einzelner Kapitän das Kommando hat, sondern eine starke Crew hinter ihm steht: „Wer glaubt, man kann eine Marke für ein globales Unternehmen nur durch eine Leitperson oder eine Abteilung am Brennen halten, merkt schnell, dass es nur ein Strohfeuer bleibt. Die Herausforderung war daher, das ‚Warum‘ für jeden der 15.000 Mitarbeitenden zu erklären. Zu verdeutlichen, warum und wofür wir etwas tun.“ Ihnen sei ein großer Anteil am Markenaufbau zu verdanken, schließlich seien sie es, die die Unternehmenswerte nach außen trügen, an Produkten und Lösungen arbeiteten.

Bei Umfirmierungen ist Schleichfahrt angesagt

Vor allem, wenn eine Marke übernommen wird oder ein neuer Name etabliert werden soll, ist aus Schnauffers Sicht Schleichfahrt angesagt. So eine Markenmigration beobachtete er vor etwa zehn Jahren bei Wittenstein SE in Igersheim-Harthausen: Der Getriebe-Hersteller aus dem Main-Tauber-Kreis sei damals mit dem Alpha-Getriebe, seinem Flaggschiff, bekannt geworden. Daher sei in vielen Ländern nicht Wittenstein als Firmenmarke, sondern der Name Alpha gängig gewesen. Es galt, Alpha in das Wittenstein-Gefüge einzugliedern.

Doch wo beim Thema Markenbildung langsame Manöver gefragt sind, sollte in anderen Bereichen stärker Gas gegeben werden, bei Promotion – dem „P“ im Marketing-Mix, das die Betriebswirtschaft als Kommunikation mit Elementen wie Werbung, Messe und neuerdings vor allem digitale Kommunikation bezeichnet. „Wer als B2B-ler immer noch glaubt, dass Social Media nur etwas für Konsumgüter sei, muss aufpassen, dass der Zug nicht ohne ihn abfährt“, warnt Schnauffer.

Aber es gebe Unternehmen, „die sehr wohl verstanden haben, wie jetzt Dinge funktionieren. Umso stärker, je höher der internationale Anteil beim Umsatz ist.“ Je schmaler die Nische sei, desto weniger seien Unternehmen auf Marketing über Social Media angewiesen, weil ohnehin ein enger Kundenkontakt bestehe. „Aber wenn die Abnehmerschaft breit ist, dann muss man diese Karte spielen“, sagt er. Die Konsumgüterbranche macht vor, wie es geht: So nutzt man bei der Teamsport-Marke Jako mit Sitz in Mulfingen-Hollenbach nach Angaben des Unternehmens bewusst „sehr viele verschiedene Kanäle und Tools. Vom Social Media Marketing, beispielsweise über Plattformen wie Instagram, TikTok oder LinkedIn, über Online-Marketing mit jako.com bis hin zu Sponsoring-Vereinen und Markenbotschaftern“, berichtet Selina Mühleck, Teamleitung Marketing bei der Jako AG. Eine tragende Säule des Marketings sei dort das Sponsoring im Profisport. „Damit können wir unsere Marke direkt einer sehr passenden Zielgruppe präsentieren“, begründet sie.

Markenbildung auch mit klassischen Strategien

In Abhängigkeit von der Zielgruppe kann Kommunikation im B2B-Bereich unter Umständen auch mit klassischen Strategien wie Anzeigen auf Kurs bleiben, ist Experte Schnauffer überzeugt: „Klassische Werbung funktioniert, wenn das Ziel ist, Mitarbeiter zu gewinnen, Bekanntheit zu erhöhen und in der Region präsent zu sein. Oder das Markenimage zu prägen, damit sich junge Leute für ein duales Studium bewerben oder Unternehmen als potenzielle Arbeitgeber gefunden werden.“

Um eine Marke zu etablieren, müssen aber auch die übrigen Parameter stimmen, befindet Schnauffer: „Das Produkt muss gut sein“, das „P“ für „Product“ sei der erfolgsentscheidende Faktor. Ein Spitzenartikel oder eine top Dienstleistung könnten Herausforderungen beim „P – Price“ abfedern: „Preislich sind Produkte aus Deutschland häufig teurer als die internationale Konkurrenz – deshalb müssen wir besser sein und dann im Preis-Leistungs-Verhältnis überzeugen“, merkt er an. Auch das „P“ für Placement – also Vertrieb, Distribution und Logistik – sei wichtig. Schnauffer prognostiziert regional allerdings bislang wenig Bewegung: „Wenn etwas beratungsintensiv ist, wie bei vielen Produkten aus der Region, ist E-Commerce nur teilweise eine Alternative.“

Anderseits tut sich offenbar auch in diesem Bereich viel: Würth beispielsweise ist mit seinen KI-Anwendungen im Vertrieb nach Ansicht des Experten herausragend. Denn in der Digitalisierung „lag wahrscheinlich in den gesamten vier „P“ des Marketingmix in den letzten zehn Jahren die größte Revolution“. Im B2B-Geschäft sei das besonders spürbar. Während die Suche nach Lieferanten früher in vielen Einzelschritten ablief, hätten Unternehmen heute umfangreich vorab recherchiert. „Beim Erstkontakt sind Sie als Lieferant nun schon vorselektiert. Es gibt einen dramatischen Umbruch im Informationsverhalten. Und das wird von manchen immer noch unterschätzt“, sagt Schnauffer.

CRM wird zum wichtigsten Wettbewerbsfaktor

Marketing und Vertrieb werden in Zukunft ihre Aktivitäten auf Analysen vorhandener Kundendaten aufbauen. Basis dafür ist ein aussagefähiges Customer Relationship Management, kurz CRM–System: „Aus der CRM-Datenbank mit Kundenprofilen lassen sich passende Aktionen ableiten, um Kunden im richtigen Moment die relevanten Informationen zu liefern.“ Aber: „50 Prozent haben das nicht im Griff – das ist fahrlässig liegengelassener Umsatz“, urteilt Schnauffer. Dabei werde Marketingautomatisierung mit CRM binnen zehn Jahren Wettbewerbsfaktor Nummer 1 sein. „Wer aktuell noch nicht einmal Daten gesammelt hat, für den sehe ich schwarz“ prognostiziert der B2B-Experte. Denn CRM-versierte Unternehmen könnten künftig aus diesen Daten KI-gestützte Aktionen ableiten. „Da kommt ein ganz großer Hebel“, ist sich Schnauffer sicher.

Unternehmer, die diesen Hebel auf „volle Kraft voraus“ legen, können ihre Marke vermutlich besser und langfristiger in den Köpfen der Abnehmer verankern.

Markenbildung Schnauffer

Zur Person

Prof. Dr. Rainer Schnauffer von der Hochschule Heilbronn ist Dozent, Unternehmensberater und B2B-Experte.


Von Natalie Kotowski