Nach der Muswiese ist vor der Muswiese

Für die rund 300 Einwohner des Weilers Musdorf bei Rot am See gilt sie als fünfte Jahreszeit. Wenn die Muswiese vor der Tür steht, gibt es viel zu tun. Das weiß einer ganz genau: Christoph Pressler, der das Gasthaus „Zum Pressler“ bewirtschaftet.

Christoph Pressler sieht nicht aus wie ein Landwirt, auch nicht wie ein Gastwirt. Und doch ist er beides – nebenberuflich. Während er tagsüber Reisen für Gruppen im Agrarbereich in einem Büro bei Schrozberg organisiert, arbeitet er nach Feierabend in der Landwirtschaft auf dem elterlichen Hof, wo er mit seiner Frau und dem Töchterchen lebt – in Musdorf. An dem Ort, wo auch die Muswiese zu Hause ist.

Es ist still in Musdorf. Ein irgendwie zerrupfter Ort, die Bauernhöfe sind aus dem Dorf gewichen, ihre Gebäude abgerissen. Jetzt besteht er nur noch aus einer breiten Straße – zu breit für so ein kleines Fleckchen –, rund vier Wohnhäusern und ebenso vielen mehr oder weniger aktiven Landwirtschaftsbetrieben. Straßennamen gibt es nicht. „Haus Nummer zwei“ heißt die Adresse von Christoph Pressler. Haus Nummer zwei ist eine Gastwirtschaft und ein Bauernhof. Ein kleiner nur, mit ein wenig Mutterkuhhaltung, ein paar Schweinen, etwas Ackerbau und Grünland, alles reduziert.

Die drei Söhne von Klaus Pressler, dem Senior auf dem Hof, arbeiten etwas anderes. Nun ist die Zeit gekommen, in der es ruhiger wird auf dem Feld. Die Kartoffeln sind geerntet, der Mais gehäckselt. Der Zeitpunkt passt, er ist nicht zufällig gewählt für das älteste Fest der Region, das „Freiluftkaufhaus Süddeutschlands“, die „fünfte Jahreszeit“: Die Muswiese beginnt. Und für Christoph Pressler beginnt eine Zeit, die er wie im Rausch wahrnimmt.

Morgens, gegen zehn Uhr, wenn die Stände aufmachen, läuft die Küche schon auf Hochtouren. Seit 1966 ist die Bauernwirtschaft „Zum Pressler“ mit dabei. Der 30-Jährige ist inmitten des Muswiesenwahnsinns groß geworden. Als er klein war, hat die Oma sich während der Zeit, als die Eltern eingespannt waren, um ihn gekümmert. Sobald er alt genug war, um zu helfen, war er mit von der Partie. Das waren nicht nur schöne Erinnerungen. Vielleicht wäre er auch gerne mit den Freunden Boxauto gefahren oder hätte mit seinen Eltern eine Runde über den Markt gedreht.

Heute hat Pressler selbst eine knapp zweijährige Tochter. Auch sie muss fünf Tage im Jahr auf ihre Eltern verzichten. Die Mama steht dann in der Küche, der Papa macht den Service. Das Untergeschoss des Wohnhauses ist eine Gaststätte. Ein ganzes Jahr lang ruht sie jedoch, setzt Staub an, der vor der Muswiese abgewaschen wird.

„Sobald das erste Essen rausgeht, läuft es“, sagt Pressler, „dann ist die Anspannung weg“. Und dann machen sie weiter wie eine Kugel, die angestoßen wird und läuft und läuft und erst Tage später wieder anhält. Nachts um ein oder zwei Uhr machen sich die letzten Gäste auf den Heimweg. Dann geht er mit seinen zwei Brüdern, die ebenfalls die Familientradition wahren, eine Runde durch den Ort – Luftschnappen und Runterkommen.

Die Muswiesenwirte freuen sich auf diese verrückte Zeit. „Weil man Bekannte trifft, die man das ganze Jahr über nicht gesehen hat“, erklärt Pressler. Manche Fans würden ihrem Event mit einem Muswiesen-Countdown entgegenfiebern, andere feierten ein Bergfest bei der kalendarischen Mitte zweier Muswiesen und wenn es soweit sei, würden sie T-Shirts mit Muswiesen-Aufdruck tragen.

Und was ist, wenn diese intensive Zeit vorbei ist? Die Nachbereitung, das Aufräumen, der Papierkram – all das beschäftigt den jungen Mann noch Monate. „Nach der Muswiese ist vor der Muswiese“, sagt der Teilzeitgastwirt.

Sonja Alexa Schmitz