„Nicht hinten runter fallen“

Der Schwäbisch Haller Landrat Gerhard Bauer musste in den vergangenen zwei Jahren mit der Unwetterkatastrophe in seinem Landkreis und den roten Zahlen des Crailsheimer Klinikums schwere Schicksalsschläge im Job hinnehmen. Den Kopf in den Sand stecken möchte er deswegen aber nicht – ganz im Gegenteil.

Herr Landrat Bauer, zwei ereignisreiche Jahre liegen hinter Ihnen. Im August 2015 ereignete sich die Tragödie an der Jagst, im Mai 2016 dann die Unwetterkatastrophe in Braunsbach. Wie sehr haben diese Ereignisse an Ihrem Nervenkostüm gezerrt?

Bauer: Beide Ereignisse gehören zu den schlimmsten Erlebnissen in meinem Leben. Vor allem das menschliche Leid hat mich sehr mitgenommen. Ich erinnere mich an einen Mann in Braunsbach, der unter Tränen vor dem Haus stand, das er erst vier Wochen zuvor gekauft hatte. Es war durch die Wasser- und Geröllmassen sehr stark beschädigt worden. Obwohl wir solche Situationen regelmäßig üben, trifft es einen in solchen Momenten doch ganz unvermittelt. Wir mussten kurzfristige Entscheidungen treffen – in beiden Fällen. Im Falle der Jagst stand beispielsweise die Frage im Raum, ob wir das verunreinigte Wasser abpumpen und auf den Feldern ausbringen sollen. Es hätte eine Woche gedauert, um die Wasserproben auf Dioxine hin zu untersuchen. Diese Zeit hatten wir aber nicht, wir brauchten eine schnelle Lösung. Wir haben uns dafür entschieden, das Wasser zu entnehmen. Heute wissen wir, dass es die richtige Entscheidung war. Aber das sind natürlich nicht die einzigen Ereignisse, die mich geprägt haben. Auch die Schließung des Gaildorfer Krankenhauses im Sommer 2012 oder der Helikopterabsturz auf der Autobahn A6 im Jahr darauf waren emotionale Momente, die mich sehr bewegt haben.

Wie sieht die aktuelle Lage an der Jagst und in Braunsbach aus?

Bauer: Die Jagst erholt sich gut, das Aktionsprogramm läuft und trägt Früchte. Auch die Selbstheilungskräfte der Natur wirken kontinuierlich. Natürlich ist es ein langer Weg und die Erfolge sind nur in kleinen Schritten zu sehen. Aber es gibt sie. Unser Ziel ist es, dass sich der Fluss nicht nur erholt, sondern dass es der Jagst noch besser geht als vor dem Unglück. Hier sind wir auf einem guten Weg. In Braunsbach sind die Fortschritte greifbarer, weil sie sichtbarer sind. Es geht gut voran. Die Infrastruktur wird – sofern noch nicht vorhanden – komplett wieder aufgebaut. Der Marktplatz ist bereits hergestellt. Gerade werden die Straßen neu gestaltet. Auch in Braunsbach gilt: Man muss das Geschehene als Chance betrachten. Das war zu Beginn sicher nicht ganz einfach. Aber jetzt muss man das Beste aus der Situation machen. Braunsbach soll mit einer ausgebauten und verbesserten Infrastruktur noch schöner werden, als es vorher schon war.

Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung?

Bauer: Als Landrat ist man nie zu einhundert Prozent zufrieden (lacht). Auch wenn es gut läuft, wir dürfen uns nicht zurücklehnen, sondern müssen dauernd am Ball bleiben, damit wir das, was wir uns vorgenommen haben, auch erreichen.

Haben Sie Ihren Landkreis und die Menschen darin in dieser Zeit neu kennengelernt?

Bauer: Ich denke, ich habe den Charakter der hier lebenden Menschen schon vorher sehr gut gekannt. Ich wusste schon immer, dass die Menschen extrem hilfsbereit sind, dass sie sich gerne ehrenamtlich engagieren und anpacken, wenn Not am Mann ist. Wie groß die Solidarität aber überall im Landkreis war, davon bin ich auch heute noch absolut begeistert. In Summe waren 22 Ortschaften vom Hochwasser betroffen, überall war die Hilfe immens. Die Menschen, die hier leben, sind ein Pfund, mit dem man wuchern kann – gar keine Frage. Auch deshalb könnte ich mir keinen schöneren Beruf als meinen vorstellen.

Welche Themen beschäftigen Sie derzeit besonders?

Bauer: Es gibt ganz unterschiedliche Inhalte, die wir auf der Agenda haben. Ein Landrat hat nicht eine klassische Aufgabe. Man ist praktisch Bundeskanzler, Bundespräsident und Bundestagspräsident in einer Person (lacht). Die Vielfalt ist außerordentlich groß: Eine Aufgabe ist die medizinische Versorgung auf dem Land – und zwar in allen Facetten. Ob Krankenhaus, Arzt, Hebamme, Pflegekraft: Es ist sehr viel Arbeit, in ländlichen Gebieten ein gutes Angebot zu gewährleisten. Ein anderer Punkt ist beispielsweise der Breitbandausbau. Unsere Städte sind hier schon gut abgedeckt, dennoch gibt es im Landkreis noch Lücken, die wir unbedingt schließen müssen. Wir arbeiten an einer gemeinsamen Lösung und möchten dafür alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten abwägen. Außerdem beschäftigt uns der Bau der künftigen Außenstelle des Landratsamtes auf dem Karl-Kurz-Areal in Hessental. Dort soll rund ein Drittel der Mitarbeiter untergebracht werden. Aber das ist nur ein kleiner Teil vieler Aufgaben.

Im vergangenen Jahr haben Sie voller Vorfreude der Einweihung des neuen Kreisklinikums in Crailsheim entgegengefiebert. Jetzt, rund eineinhalb Jahre später, schreibt das Klinikum rote Zahlen. Können Sie diese Situation erklären?

Bauer: An sich ist das Krankenhaus in Crailsheim sehr gut aufgestellt: In den vergangenen fünf Jahren haben die Patientenzahlen hier in Summe um 40 Prozent zugenommen. Die Klinik ist ausgelastet, die angebotenen Leistungen steigen kontinuierlich an. Das Haus ist am Anschlag, mehr geht einfach nicht mehr. Auch heute noch sind zwei Abteilungen im Altbau untergebracht, weil die Kapazität im Neubau nicht ausreicht. Von daher bin ich mit der positiven Entwicklung des Crailsheimer Krankenhauses sehr zufrieden. Das Problem bei der Sache ist jedoch das komplexe Finanzierungssystem von Krankenhäusern. Kleine Häuser werden für ihr Wachstum bestraft. Für Mehrleistungen werden Abschläge fällig. Fallpauschalen werden teilweise viel zu gering kalkuliert. Das heißt: Wer über das Budget hinaus Patienten annimmt und behandelt, zahlt an die Krankenkasse zurück. Oder im Umkehrschluss: Wenn das Budget erschöpft ist, müssten wir theoretisch Patienten heimschicken, was wir natürlich nicht tun. Dieses Finanzierungssystem zielt auf Zentrenbildung ab; darauf, kleinere Krankenhäuser zu schließen.

Wie soll es in dieser Hinsicht weitergehen?

Bauer: Wir brauchen das Klinikum in Crailsheim im Landkreis Schwäbisch Hall. Deshalb müssen wir Druck ausüben – in alle Richtungen. Das Finanzierungssystem muss angepasst werden. Bisher ist aber der große Wurf in dieser Hinsicht nicht gelungen. Es ist ein dickes Brett, das man sehr lange bohren muss, um hier zum Erfolg zu kommen. Wir dürfen nicht hinten runterfallen. Diesen Einsatz muss uns unsere Gesundheit wert sein. Denn sie ist das höchste Gut, das wir im Leben haben.

Die Infrastruktur ist im Landkreis ein häufig beklagtes Thema – die Murrbahn oder die Autobahn A6 stehen hierfür stellvertretend. Was würden Sie sich infrastrukturell für den Landkreis wünschen?

Bauer: Die Forderung nach einem zweigleisigen Ausbau der Murrbahn ist alt. Schon mein Vorgänger Ulrich Stückle sammelte in den 90er Jahren Unterschriften dafür. Ähnlich sieht es beim sechsspurigen Ausbau der Autobahn A6 aus. In beiden Fällen geht es schleppend voran. Wir müssen also weiter Druck machen. Auch die Landesstraßen im Landkreis sind teilweise in keinem guten Zustand. Der Landkreis ist der flächenmäßig viertgrößte Kreis im Land und der Kreis mit dem zweitlängsten Landesstraßennetz in Baden-Württemberg. Entsprechend gibt es hier immer viel zu tun. Derzeit weisen sehr viele Landesstraßen einen schlechten Zustand auf. Infrastruktur bedeutet aber nicht nur, das Straßen- und Schienennetz auszubauen, es geht auch um Breitbandversorgung oder Bildung sowie um soziale Angebote. Beispielsweise könnte ich mir auch einen Campus in Crailsheim gut vorstellen. Wir möchten innovative und niederschwellige Möglichkeiten in diesen Bereichen schaffen, damit im Landkreis die Lebensqualität nicht nur erhalten bleibt, sondern sogar noch verbessert wird. Dafür braucht es bedarfsgerecht zugeschnittene Angebote für die Menschen bei uns.

Interview: Lydia-Kathrin Hilpert