Die Würth-Gruppe kratzt 2022 trotz diverser Weltkrisen an den 20 Milliarden Euro Umsatz. Reinhold Würth, Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats, über Erfolg in schwierigen Zeiten – und warum nicht nur beim Fußball der Trainer der wichtigste Mann am Platz ist.
Es ist der Tag nach dem Ausscheiden Deutschlands bei der Fußball-WM. An diesem Freitag gibt es kaum ein anderes Thema. Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth ist als großer Kunstmäzen und Musikliebhaber bekannt. Aber mag er auch Fußball?
Herr Professor Würth, sind Sie Fußballfan?
Reinhold Würth: In Maßen. Ich war gestern im Konzert und es war noch Zeit, die zweite Halbzeit anzuschauen. Aber es berührt mich nicht groß. Es ist nur ein Fußballspiel.
Dann lassen Sie uns besser auf die Weltpolitik blicken und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft. Stichwort Ukrainekrieg. Würth zieht sich aus Russland zurück. Welche Auswirkungen hat das auf das Unternehmen?
Würth: Wir liefern nicht mehr nach Russland. Aktuell werden die Restbestände aus unseren Lagerhäusern in Moskau, St. Petersburg und Jekaterinburg verkauft. Die drei Gesellschaften haben wir zum Verkauf gestellt. Sie werden in der Jahresbilanz als zum Verkauf vorgesehen erscheinen. Aber wir können das wirtschaftlich verkraften. Schlimmer wäre es, wenn Herr Xi Taiwan kriegerisch einnehmen will. Die USA haben sich relativ stark verbal engagiert und können die Taiwanesen nicht allein lassen. Das gäbe einen Weltkrieg. Ich hoffe, dass man das verhindern kann. Die großen börsennotierten Unternehmen würden dann am meisten darunter leiden, aber natürlich auch wir. Wir haben auch eine Schraubenfabrik in China und eine chemische Fabrik.
Halten Sie das Szenario für wahrscheinlich?
Würth: Xi Jinping ist Pragmatiker und sieht die Vorteile, die die weltweiten Wirtschaftsverbindungen für China bringen. Insofern ist das mindestens die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre eher unwahrscheinlich.
Gibt es für Würth irgendwann ein Zurück nach Russland?
Würth: Ich halte es für möglich, das Russlandgeschäft wieder aufzunehmen, wenn Frieden zustande käme. Das heißt ja nicht, dass dann Putin noch an der Macht ist. Wir könnten auch jetzt noch den größten Teil unserer Produkte liefern. Sie stehen nicht auf der Sanktionsliste.
Sie haben aber eine besondere Beziehung zu Russland?
Würth: Wir kennen Russland sehr gut. Meine liebe Frau Carmen und ich sind sehr viel gereist in Russland, von Kamtschatka über Irkutsk bis nach Walaam an der finnischen Grenze, wir haben eine Schiffsreise gemacht von Moskau nach Sankt Petersburg. Es ist ein traumhaft schönes Land. Und die Menschen sind so freundlich und zuvorkommend. Ich finde es himmeltraurig, dass man so überkreuz ist. Ich habe großen Respekt vor der russischen Bevölkerung. Ich hatte eigentlich auch von Putin einen sehr guten Eindruck – vom neuen Russland, weg vom Kommunismus. Putin hat im Bundestag geredet, wurde beklatscht. Mein Gedanke war eigentlich, dass am Ende des Pakts die Mitgliedschaft in der europäischen Union gestanden hätte. Das wäre der Idealfall gewesen.
Hätte Deutschland denn in der Vergangenheit etwas anders machen sollen in der Russlandpolitik, wie viele Medien, viele Politiker behaupten?
Würth: Ich glaube nicht. Die Russlandpolitik von Frau Merkel war wirklich in Ordnung. Was Merkel falsch gemacht hat, ist die Bundeswehr so herunterzufahren. Das ist ein riesengroßes Versäumnis. Es gibt ja jetzt wieder Blöcke. Der Ostblock mit Russland und Weißrussland auf der einen Seite, die Nato auf der anderen. Die Nato ist natürlich enorm überlegen, aber nicht wegen Deutschland. Wenn von 16 Helikopter nur vier einsatzbereit sind, ist das eine Katastrophe.
Kritisiert wird in den Medien nicht nur die ehemalige Russlandpolitik, auch die der Koalition. Kritik gibt es auch zum Umgang mit der Energiekrise, mit Covid 19, mit der Inflation und allen anderen noch nie in dieser Ausprägung vorhandenen Ereignissen. Ist der Dauerbeschuss von allen Seiten angebracht?
Würth: Ach, was wollen die Medien auch machen. Sie sind ja im Konkurrenzkampf untereinander. Wer die schlimmsten Enthüllungen über die Fehlleistungen der Regierung abliefert, hat die größte Chance, dass sein Blatt gekauft wird. Ich hole 30 Prozent meiner Informationen aus dem Handy. Morgens im Bett schaue ich zuerst, was es Neues gibt auf „n-tv“, bevor ich eine Zeitung in die Hand nehme.
Bietet die Koalition aus Ihrer Sichtgenügend Angriffspunkte?
Würth: In dieser Koalition haben sich Feuer und Wasser zusammengefunden. Den Bundeskanzler halte ich für einen ganz gewitzten Juristen. Er denkt über den Tag hinaus, auf die nächsten 20 Jahre. Ich mag den.
Trotz Krisen und Rückzug aus Russland läuft es für Würth aber gut?
Würth: Generalistisch gesagt, läuft es überall sehr gut. Wir werden in diesem Jahr im Konzern 19,8 oder 19,9 Milliarden Euro konsolidierten Umsatz machen. Vielleicht kriegen wir die 20 Milliarden Euro noch voll.
Es heißt, dass Sie jeden Morgen die Unternehmenszahlen an Ihrem großen Bildschirm im Büro hier in der Ecke checken?
Würth: Ach ja, das stimmt nicht, dass ich zuerst da hingehe. Aber ich kann dort sehen, wieviel Aufträge übers Internet bei jeder Gesellschaft eingehen und verschiedene andere Kennzahlen. Ich weiß von Neuseeland bis Alaska, was läuft. Das ist toll.
Die Belegschaft am Stammsitz Künzelsau und Umgebung muss sich also keine Sorgen machen?
Würth: Bestimmt nicht. Wir sind gerade dabei, nochmal für rund 97 Millionen Euro die Lagerkapazität zu erweitern. Das dokumentiert, dass wir weiter auf Wachstum setzen und dass der Standort hier sicher ist.
Liegt es an einer bestimmten Art von Unternehmertum, die Sie ausstrahlen, dass es bei Würth überall „sehr gut“ läuft?
Würth: Ich glaube nicht, dass das eine besondere Begabung ist. In erster Linie geht es um zwei Dinge. Das eine ist: Sie müssen sich einsetzen, und zwar nicht sieben oder acht Stunden pro Werktag, sondern 24/7 jeden Tag. Zum anderen geht es darum, eine Unternehmenskultur aufzubauen, die den Mitarbeitern nicht nur das Gefühl gibt, in einem sicheren Unternehmen zu arbeiten, sondern in einem Betrieb, wo ihre Leistung respektiert und gesehen wird, wo man ein Dankeschön bekommt für das, was man leistet. Ganz wichtig war für mich immer, die Arroganz zu bekämpfen. Einer der wichtigsten Grundsätze ist, dass wir uns bescheiden verhalten. Hierarchisch als auch horizontal innerhalb der Fachbereiche. Dass die Leute kollegial miteinander umgehen.
Immer wieder ist zu lesen, wie wichtig es Reinhold Würth ist, bescheiden und nicht arrogant aufzutreten und dass er dies auch von seinen Führungskräften erwartet. Zur Erläuterung kommt er doch noch einmal auf die Fußball-WM zurück.
Warum ist diese Haltung so wichtig, Herr Professor Würth?
Würth: Das ist gar nicht so viel anders als bei unserer Weltmeisterschaft. In jeder Mannschaft sind die besten Kicker aus einem Land versammelt, doch nur das beste Team gewinnt. Woran liegt das? Gar nicht so sehr daran, dass der eine einen besseren Kopfball hinbekommt als der andere, sondern an der Qualifikation des Trainers. Er muss die Mannschaft mobilisieren und zu einer Einheit formen, die das eine Ziel hat: Wir wollen Meister werden.
Angenommen, Sie wären der Bundestrainer. Wie würden Sie Ihre Führungsspieler motivieren?
Würth: Da ist in erster Linie das Vorbild gefragt. Ich kann behaupten, dass ich nie was von einem Mitarbeiter verlangt habe, was ich nicht selbst bereit gewesen wäre zu tun. Ich gebe schon ein gutes Vorbild ab, wenn ich mit 87 noch mindestens 90 Prozent Arbeitsleistung oder mehr bringe.
Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede zur Lage der Nation Verzicht gefordert. Was bedeutet Verzicht für Sie?
Würth: Also wahrscheinlich kann ich das mehr nachvollziehen als Sie. Ich habe das Ende des Zweiten Weltkriegs miterlebt und die Zeit danach. Als ich nach dem Tod des Vater 1954 den Betrieb weiterführen musste, bin ich viele Jahre fast ausschließlich im Außendienst tätig gewesen und habe dann für die ersten drei Tage immer ein Vesperbrot mitgenommen, damit ich mir das Mittagessen sparen konnte. Wenn es den Berg runterging, habe ich den Motor von meinem alten Opel Olympia ausgeschaltet, um Benzin zu sparen. Das würde heute gar nicht mehr gehen mit den Lenkradschlössern. Deswegen: Mir kann im Sparen niemand was vormachen.
Die Geschichte mit dem Motor hat Reinhold Würth schon oft erzählt. Er mag sie, weil sie so viel aussagt. Noch heute schaltet er automatisch das Licht aus, wenn er den Raum verlässt.
Herr Professor Würth, warum ist Sparen für Sie heute noch ein Thema?
Würth: Hier unten an der Baustelle habe ich über mehrere Tage beobachtet, dass abends immer das Licht brannte. Ich habe mich erkundigt und gesagt, dass sie es ausmachen sollen. Nicht wegen der paar Cent, sondern um Ressourcen zu sparen. Ich schaue darauf, dass im Betrieb keine Energie verschwendet wird.
Energie ist ein gutes Stichwort. Kennen Sie den Weg aus der Energiekrise, jetzt, wo mit Gas aus Russland nicht mehr zu rechnen ist?
Würth: Man hätte sich auf jeden Fall vorher mehr Optionen sichern müssen, das machen wir im Unter-nehmen ja auch so. Das war einer unserer großen Vorteile während der Pandemie. Im Gegensatz zu manchen Wettbewerbern konnten wir immer liefern. Zum einen hatten wir vorher schon die Lagerbestände enorm aufgestockt um mehr als eine Milliarde Euro. Zum anderen sorgen wir grundsätzlich für zwei, drei Lieferquellen für das gleiche Produkt. Wenn eine ausfällt, ist immer noch Ersatz da. Das hätte man übrigens in der Bundeswehr ähnlich machen müssen.
Die Würth-Gruppe ist ein Familienunternehmen. Vorsitzender im Stiftungsaufsichtsrat ist Reinhold Würth, Enkel Benjamin Würth soll einmal die Nachfolge übernehmen, sein Bruder Sebastian soll Nachfolger der Beiratsvorsitzenden Bettina Würth werden, wiederum Tochter des Patriarchen. Weitere Familienmitglieder sind eng mit dem Unternehmen verbunden.
Herr Professor Würth, ist das Geschäftsmodell „Familienunternehmen“, wofür Würth steht, immer noch ein Garant für Zukunftsfähigkeit?
Würth: Wenn börsennotierte Unternehmen die Pro-Kopf-Umsätze in Familienunternehmen ansehen, dann haben sie immer noch eine Richtschnur, einen Maßstab dafür, was machbar ist. Familienunternehmen haben weiterhin eine Vorbildfunktion. Ich gehe übrigens davon aus, dass wir im Jahr 2050 eine 4-Tage-Woche haben werden oder gar eine 3-Tage-Woche. Die KI wird sich so rasend schnell weiterentwickeln und weiterentwickeln müssen – weil wir zu wenig Fachkräfte haben und es immer weniger werden. Ich bin ein großer Verfechter davon, die Informatik voranzutreiben. Für uns hat es allerhöchste Priorität, so viel wie möglich zu roboterisieren. Deswegen machen wir auch den Anbau am Lager für ein Kommissionierlager, wo 75 Prozent der Vorgänge von Maschinen erledigt werden. Das sind spezielle Entwicklungen für uns, die teilweise mit Patenten abgesichert werden.
Es gibt also ein geheimes Würth-Labor für Künstliche Intelligenz?
Würth: Wir haben kürzlich das neue Innovationszentrum Curio in Betrieb genommen. Es ist natürlich nicht öffentlich, was dort entwickelt wird. Es soll dazu dienen, dass unsere Produkte noch besser werden und dass wir sie noch schneller auf den Markt bringen und damit zu unseren Kunden.
Haben es Familienunternehmen nicht immer noch leichter, Fachkräfte zu gewinnen?
Würth: Das hat nichts mit der Frage Kapitalgesellschaft oder Familienunternehmen zu tun, sondern mit der Unternehmenskultur an sich. Und dass sich die Unternehmenskultur in einem familiengeführten Unternehmen eher nahe familiärer Strukturen entwickelt als in einem börsennotierten Unternehmen, ist wohl logisch. Bei uns wäre es nicht denkbar, einfach mal 10.000 Leute zu entlassen.
Eine Frage zum Schluss: Wie wird die Würth-Gruppe in ein paar Jahrzehnten oder sagen wir in 20 Jahren aussehen?
Würth: Wir werden weiter in unseren heimischen Märkten arbeiten, mit dem Befestigungsteilegeschäft, was unser Ursprung ist. Mit der Elektronik und Elektrik und mit der Chemie. Das sind die Gebiete, wo wir anbauen werden und können. Wir werden immer weiter Firmen zukaufen, hier sind wir hochspezialisiert.
Und wie ist dann der Umsatz?
Würth: Das weiß ich auch nicht. Mindestens eine Verdoppelung auf 40 Milliarden Euro würde ich aber schon schätzen.
Interview: Beate Semmler
Zur Person:
Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth übernimmt 1954, nach dem Tod des Vaters Adolf Würth, die väterliche Schraubengroßhandlung. Damals ist er erst 19. Aus dem Zweimannbetrieb entwickelt der Unternehmer einen weltweit tätigen Konzern für Befestigungs- und Montagetechnik mit mehr als 85.000 Mitarbeitern. Heute ist Reinhold Würth Stiftungsaufsichts-ratsvorsitzender der Würth-Gruppe und lenkt weiterhin die Geschicke des Schraubenimperiums. 2022 will Würth das Umsatzziel von 20 Milliarden Euro knacken, was einem Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspräche.