Nur wer gut sitzt, kann gut fliegen!

Vermutlich hat jeder von uns schon einmal in einem Platz genommen: in einem Flugzeugsitz von Recaro. Wie komplex sich ein solches Produkt zusammensetzt und welche immensen Anforderungen heute daran geknüpft sind, wird bei einer Werksführung durch den Unternehmenskomplex im Haller Westen deutlich.

Ganze 20.553 Mal hat sich der kleine Tisch, der an der Rückenlehne eines Modellsitzes angebracht ist, inzwischen schon öffnen und schließen lassen. Unentwegt wird er ein- und ausgeklappt. Seit einigen Tagen schon läuft dieser Prozess im Testlabor des Herstellers von Flugzeugsitzen Recaro Aircraft Seating im Westen von Schwäbisch Hall. Noch rund 4500 weitere Wiederholungen, dann hat das Tischchen diesen Test bestanden – einen von vielen. „Ein Sitz, der bei uns in Produktion gehen soll, durchläuft fünf verschiedene Testebenen. Wir prüfen sämtliches Material und Einzelkomponenten, führen mechanische und dynamische Tests durch und untersuchen auf Brennbarkeit“, schildert Denis Altmann, Leiter des Schwäbisch Haller Testlabors.

Die Liste der Anforderungen, die ein Flugzeugsitz erfüllen soll, ist lang. „Wir spielen alle möglichen Szenarien durch, die theoretisch in einem Flugzeug passieren könnten – vom Worst Case bis zum Best Case.“ Stoffe etwa dürfen nur schwer entflammbar sein; Metalle dürfen nicht spitz brechen; ein Sitz selbst muss Belastungen von 16 G vor- und 14 G abwärts standhalten. „Das wichtigste ist für uns das Thema Sicherheit. Kein Fluchtweg darf versperrt werden, eine potenzielle Verletzungsgefahr durch unsere Produkte muss ausgeschlossen sein“, erklärt Altmann.

Für einen Standardsitz in der Economy-Klasse werden da schnell mal an die 200 bis 300 Einzelkomponenten geprüft, bei einem komplexeren Modell zwischen 600 und 700. Hinzu kommen diverse mechanische und dynamische Tests. „Erst dann gibt es das Go von Behörden, Flugzeugbauern und Airlines. Und natürlich auch unser eigenes.“ Meist sei der eigene Anspruch an das Produkt höher als eigentlich gefordert, sagt Altmann lachend.

Nicht zuletzt deshalb gehört das Familienunternehmen mit rund 14 Prozent Marktanteil zu den erfolgreichsten in seiner Branche. 30.000 Flugzeugsitze – Tendenz steigend – werden jedes Jahr allein in Schwäbisch Hall pro Jahr produziert – und zwar in individueller Handarbeit. Fertigungsroboter sucht man in der Produktionshalle, die gegenüber dem Testlabor liegt, aber dennoch vergebens. Hier sind die Mitarbeiter gefragt. Diese wuseln wie fleißige Ameisen durch die Halle, stehen unter gezeichneten Konstruktionsplänen und setzen die Einzelteile an acht verschiedenen Produktionsbändern zusammen – bis aus den Einzelteilen schließlich ein vollständiger Sitz beziehungsweise eine Einheit geworden ist. Bis ein Sitz fertig zusammengesetzt ist, können gut und gerne zwölf Stunden verstreichen.

Doch warum Handarbeit in einer derart digitalisierten Welt wie heute? „In einem Flugzeug sind diverse Sitze verbaut, manchmal bis zu 30 in einer Maschine“, schildert Mirjam Bruhns, Leiterin der Produktion und Qualitätssicherung am Standort Schwäbisch Hall. Hinzu kommen die unterschiedlichsten Kundenwünsche. Ob Farbe, Material oder Höhe der Arm- und Kopfstütze – der Kunde entscheidet. „Unsere Modelle sind weitgehend kundenspezifisch. Kaum ein Sitz ist wie der andere“, so Bruhns. Eine automatisierte Fertigung ist da nahezu undenkbar. Schon bald soll jedoch etwas mehr Digitalisierung in die Halle einziehen. „Ende des Jahres wollen wir die Endmontage papierlos haben. Die einzelnen Schritte sollen dann digital angezeigt werden.“ Derzeit ist in der riesigen Halle, die sich in die Bereiche Eigenfertigung und Endmontage unterteilt, auch noch die Logistik untergebracht. Doch auch dies soll sich Ende des Jahres ändern. Dann nämlich soll der Neubau des Logistikzentrums fertiggestellt sein. „In den Neubau investieren wir 13,5 Millionen Euro und schaffen über 6.000 Quadratmeter neue Nutzfläche“, sagt Bruhns und ergänzt: „Ein klares Bekenntnis zum Standort hier in Schwäbisch Hall.“

Beeindruckend ist die Eigenleistung, mit der bei Recaro in Schwäbisch Hall gefertigt wird. Rund 20 Prozent dessen, was für einen Sitz gebraucht wird, entsteht hier. Alles andere wird von 350 Hauptlieferanten und einer Vielzahl kleinerer Partner geliefert. Bevor es aber soweit ist und ein Sitz in Prüfung und Produktion geht, ist das Team um Uwe Frank gefragt. Der Chef im Modellbau erklärt: „Wir prüfen, ob Ideen, neue Designs oder Veränderungen jeglicher Art auch umsetzbar sind.“

Um dies herauszufinden, arbeiten die zwölf Mitarbeiter auch eng mit der Entwicklungsabteilung zusammen, sind bei Produktentwicklungen und Ideenfindungen oft einbezogen. „Schließlich fertigen wir sogenannte Mockups, also Prototypen, um diese auf Herz und Nieren zu prüfen.“ Was taugt, geht ins Testlabor und schließlich in die Produktion. Und so schließt sich dann der Kreis.

Lydia-Kathrin Hilpert

Über Recaro Aircraft Seating
Die Recaro Aircraft Seating GmbH und Co. KG aus Schwäbisch Hall ist eine eigenständige Sparte des Stuttgarter Familienunternehmens Recaro Holding. Recaro Aircraft Seating ist ein weltweit tätiger Lieferant von Flugzeugsitzen mit etwa 2.000 Mitarbeitern, davon sind rund 1.000 in Deutschland beschäftigt. Im Jahr 2015 erwirtschaftete die Firma einen Umsatz von rund 409 Millionen Euro. Damit zählt das Unternehmen zu den drei größten Flugzeugsitzherstellern weltweit.