Ohne Brummi geht es nicht

Speditionen und Logistikunternehmen sind aus der heimischen und internationalen Wirtschaft nicht wegzudenken. Das hat seinen Grund. Sie halten diese am Laufen, sichern Jobs und machen Deutschland zum Exportweltmeister.

Henriette B. wirft einen Blick in den Kühlschrank. Gähnende Leere, die Lebensmittel sind nahezu aufgebraucht. Lediglich ein Glas saurer Gurken und eine angefangene Butter kauern in der hinteren Ecke. Wie selbstverständlich greift sie nach ihrer Jacke, fischt Autoschlüssel und Geldbeutel aus der Handtasche und macht sich auf den Weg zum nächsten Supermarkt. Sie holt einen Einkaufswagen und steuert zielgerichtet auf den Eingang zu. Die Türen öffnen sich, wie sie es gewohnt ist – doch im Inneren zeigt sich ein Bild, das Henriette B. nicht kennt. Fast alle Regale sind leer – die Produkte weitgehend ausverkauft. Auf manchen Brettern zeichnet sich bereits eine feine Staubschicht ab. „Was ist passiert?“, fragt sie sichtlich irritiert.

Ein solches Szenarium bringen viele von uns lediglich mit einer Katastrophe in Verbindung. Einer, die unreal zu sein scheint. Einer, die man sonst nur aus Hollywood-Blockbustern kennt. Doch so unwirklich ist diese Szene nicht – im Prinzip würde es bereits ausreichen, wenn Spediteure und Logistiker ihre Arbeit niederlegen – weil sie streiken oder weil der Nachwuchs fehlt. Dann nämlich stünden wir vor einem Problem, das wir uns im täglichen Leben so gar nicht vor Augen führen. Viele Abläufe, die heute für uns selbstverständlich sind, wären dann nicht mehr gegeben.

Fakt ist, Spediteure und Logistiker bilden das Rückgrat unserer Wirtschaft. Ohne sie wäre globales Wirtschaftswachstum nicht denkbar – denn weder Produktion noch Handel könnten ohne sie erfolgreich agieren. Sie stellen sicher, dass Güter und Waren so schnell, kostensparend, sauber und leise wie möglich an ihren Bestimmungsort gelangen – und damit für den Kunden verfügbar sind. Kein Wunder, dass die Branche die drittgrößte in der Bundesrepublik darstellt – nach dem Handel und der Automobilbranche. Im vergangenen Jahr wurde laut Angaben des Deutschen Speditions- und Logistikerverbands insgesamt ein Umsatz von 94,8 Milliarden Euro erwirtschaftet. Seit dem Jahr 2003 hat sich diese Summe somit nahezu verdoppelt. Rund 53 2000 Menschen waren 2014 in der Branche beschäftigt – so viele wie nie zuvor. Sie bietet damit mehr als einer halben Million Menschen Arbeit. Man sollte meinen, schon deswegen sei sie beliebt. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil sie uns die vielen Dinge, die wir mögen, an den Ort bringen, den wir wünschen. Doch mit dieser Liebe ist es weit her. Beim Thema „Spedition und Logistik“ assoziieren die meisten von uns Begriffe wie „Stau“, „Dreck“, „Lärm“ oder „Abgase“. Die Branche wird als störendes Feindbild wahrgenommen. Und Feindbilder sind bekanntlich ein Dorn im Auge.

Sich selbst reflektieren

Konsumenten machen sich zu selten bewusst, dass sie selbst für diesen unliebsamen Zustand mit verantwortlich sind. Denn nicht der Spediteur entscheidet, wo Güter nachgefragt und gebraucht werden, sondern letztlich der Konsument. Ein Beispiel: Beim Autokauf entscheidet der Kunde, welche Marke es sein soll und wählt ein Modell. Schier unzählige Angebote mit Extras und möglichen Sonderausstattungen folgen. Diese Fülle an angebotenen Möglichkeiten hat ihren Preis, schließlich müssen diese auch verfügbar sein. Und hier kommt die Branche ins Spiel. Die vom Endverbraucher gewünschte Individualisierung setzt eine Kette von Prozessen in Gang, die eine extreme Komplexität mit sich bringt – und die ohne eine durchdachte Logistik undenkbar wäre. Obwohl Akzeptanz und Anerkennung in den vergangenen Jahren gestiegen sind, so zählt die Speditions- und Logistikbranche noch immer zu den wohl meist unterschätzten Zweigen der Wirtschaft. Das sollte sich ändern, wenn wir nicht irgendwann – wie Henriette B. – auf die gewohnten Vorzüge unseres Lebens verzichten wollen.

Lydia-Kathrin Hilpert