Seine Unternehmenskultur ist einzigartig, sein Lebenswerk beispiellos: Prof. Dr. h. c. mult. Reinhold Würth, Ehrenvorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats der Würth-Gruppe, hat in mehr als sieben Jahrzehnten aktiven Schaffens Maßstäbe auf vielen Feldern gesetzt.

Chef bleibt Chef. Es ist eines der vielen geflügelten Worte bei Würth – und eines, das ausnahmsweise nicht von Prof. Reinhold Würth selbst stammt. „Auch mit 90 Jahren ist er die Seele des Unternehmens“, sagt Robert Friedmann, Sprecher der Konzernführung der Würth-Gruppe. Prof. Reinhold Würth hat die Schraubenfirma, die er vor mehr als 70 Jahren nach dem frühen Tod seines Vaters übernommen hatte, einerseits zu einem Weltkonzern mit mehr als 400 Gesellschaften, 20 Milliarden Euro Umsatz und 88.000 Mitarbeitenden geformt. Andererseits zu einem Betrieb, der bis heute tief verwurzelt ist im ländlichen Hohenlohe und eine Kultur pflegt, die sich grundlegend unterscheidet von der ähnlich großer Dax-Konzerne. „Er ist der Spiritus Rector des Unternehmens“, sagt Robert Friedmann – um gleich nachzuschieben: „Er wird aber auch nicht müde zu betonen, dass er es ohne seine Mitarbeitenden nie geschafft hätte.“
Werte als Kompass
Dankbarkeit. Bescheidenheit. Ehrlichkeit. Solche Werte lassen sich nicht verordnen, man muss sie vorleben – und darüber reden. Beides tut Prof. Reinhold Würth auf seine eigene Art. Inzwischen spricht er leiser, weicher als früher. Doch wenn er das Wort ergreift, wird es still im Raum. Immer wieder geißelt er dann die Arroganz, die er vom Unternehmen fernhalten will. Ein zentrales Anliegen. Auch wenn es nach außen nicht immer so wirkt, setzt er im Innern auf Bodenständigkeit.
Die Anfangsjahre waren steinig. Als größtes Glück bezeichnet er den Umstand, dass sein Vater ihn früh aus der Schule geholt hatte, sodass er zumindest noch fünf Jahre eng mit ihm zusammenarbeiten konnte, bevor er allein weitermachen musste. Damals wurde der Grundstein gelegt für das, was Würth bis heute ausmacht. Werte als Kompass auch in unruhigen Zeiten. Schon als junger Mann entdeckte er sein Verkaufstalent, hatte Spaß daran, den Kunden die Regale vollzupacken. Später forderte er diesen Geschäftssinn energisch von seinen Verkäufern ein. Gewinnbringendes zweistelliges Wachstum ist und bleibt sein Ziel.
Prof. Reinhold Würth ist in vielerlei Hinsicht der Letzte seiner Art. Einer, der im Zweiten Weltkrieg als Kind hautnah einen Jagdbomberangriff im Kochertal erlebte und überlebte, mit 14 Jahren in die Firma einstieg und 1954 mit gerade einmal 19 Jahren die Verantwortung für den kleinen Schraubenhandel übernahm. Er war Teil der Wiederaufbaugeneration, nutzte die Jahrzehnte des Wirtschaftswunders für ein beeindruckendes Wachstum, expandierte früh ins Ausland und hält das Unternehmen mit seinem Innovationsgeist bis heute auf Kurs. Ein Unternehmer vom alten Schlag, der zugleich stets mit der Zeit ging und – wie er selbst sein Erfolgsrezept formuliert – „hintern Berg und ums Eck“ schaute. Was andere überrascht, hat Würth längst einkalkuliert.
Krisen begegnet er deshalb mit der für ihn typischen gelassenen Vorsicht: Hohe Liquiditätsreserven und eine solide Finanzstruktur sind für ihn keine lästigen Kennzahlen, sondern unternehmerische Grundprinzipien. Wenn andere nervös werden, strahlt er Ruhe aus. Dabei half übrigens häufig die Perspektive von oben. Aus unternehmerischer Sicht war das Flugzeug für ihn eine Zeitmaschine. Das Fliegen entwickelte sich aber auch zur großen Passion – fast 50 Jahre lang war er der Pilot seiner eigenen Maschinen.
Kunst verbindet
Seine zweite Leidenschaft: die Kunst. Ein Bild von Emil Nolde markierte 1972 den Beginn einer Sammlung, die später öffentlich und Teil des Unternehmens wurde. Auch hier vertraut Prof. Reinhold Würth auf seinen Instinkt. „Er will Kunstwerke zunächst unvoreingenommen betrachten und fragt erst dann nach dem Namen des Künstlers“, verrät C. Sylvia Weber, die nach vier Jahrzehnten die Verantwortung für die inzwischen weltweit berühmte Sammlung Würth an Maria Würth übergeben hat. Er förderte Talente vor ihrem Durchbruch und erwarb bei etablierten Größen wie Picasso oder Edvard Munch viele jener Werke, die später noch bedeutender wurden.
Die über 20.000 Kunstwerke umfassende Sammlung ist heute bei freiem Eintritt in mehreren Museen öffentlich zugänglich – ein verbindendes Element in der Würth Welt. Zu seinem kulturellen Erbe gehören inzwischen noch die Würth Philharmoniker. Viele seiner Entscheidungen erwiesen sich langfristig als richtig. „Geduld bringt Rosen, das ist einer seiner typischen Kommentare“, erzählt Rolf Bauer, der seit 1962 mit Würth und seinem Unternehmen verbunden ist, zunächst lange als Konzernführungsmitglied, dann als Mitglied im Beirat, wo er noch heute Ehrenmitglied ist. Über Jahrzehnte mag diese Geduld für vieles gegolten haben, aber sicher nicht für Prof. Reinhold Würths Nachsicht bei schlechter Leistung oder enttäuschenden Ergebnissen. In den letzten Jahren sei er jedoch auch da etwas geduldiger geworden.
Geduldiger geworden
Statt Sturheit also Altersmilde. Der Chef, der noch kürzlich erklärte: „Die Hauptversammlung bin ich“, hat den Staffelstab weitergereicht. Er schuf Raum für seine Enkel: Benjamin als direkter Nachfolger an der Spitze des Stiftungsaufsichtsrats, Sebastian als Beiratsvorsitzender und Maria als Kunstverantwortliche. Sie profitieren jetzt auf ihren Positionen vom Rat dieses geistig unverändert präsenten 90-Jährigen. Für die klare Kante steht er allerdings auch jetzt noch, etwa wenn er sich gegen die AfD positioniert. Und dann ist da noch das eigentliche Glück seines Lebens: Seine Frau Carmen, mit der er im 69. Jahr verheiratet ist und die ihn all die Jahrzehnte zu nehmen wusste – mit seinen Ecken und Kanten, seiner Rastlosigkeit und seinem Perfektionismus. Gemeinsam erlebten sie auch schwere Zeiten wie die geistige Behinderung infolge eines Impfschadens von Sohn Markus.
Daraus ist auf Initiative von Carmen Würth das Hotel-Restaurant Anne-Sophie entstanden, wo Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammenarbeiten. Heute genießt das Paar die gemeinsame Zeit und weiß, wie kostbar sie ist. Bei seiner Rede zum 75. Arbeitsjubiläum am 1. Oktober 2024 dankte er seiner lieben Frau: „Du bist heute der Zentralpunkt der Familie.“
Christian Gleichauf