Nachhaltig und profitabel – beides geht zusammen

Auf dem „Gipfeltreffen der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall stellt Renata Jungo Brüngger die Nachhaltigkeit in den Fokus. Als Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG gilt sie als eine der einflussreichsten Top-Managerinnen in Europa. Unter ihrer Verantwortung entwickelte der Automobilhersteller seine Nachhaltigkeitsstrategie konsequent weiter.

Renata Jungo Brüngger
Renata Jungo Brüngger, Vorstandsmitglied der Mercedes-Benz Group AG, verantwortet das Ressort Governance, Integrität und Nachhaltigkeit. Foto: Mercedes-Benz Group AG

Nachhaltigkeit erfährt nach einer Hochphase viel Gegenwind: Ihre Bedeutung rutscht aktuell auf der gesellschaftlichen und politischen Agenda oft nach unten. Wie bewerten Sie das?

Renata Jungo Brüngger: Trotz dieses Gegenwinds bleibt Nachhaltigkeit Grundvoraussetzung für dauerhaften Erfolg – davon bin ich überzeugt. Nachhaltigkeit und Profitabilität bleiben langfristig eng miteinander verknüpft, auch wenn wir derzeit in einigen Bereichen und einigen Regionen Entwicklungen sehen, die anderes vermuten lassen.  Der neue Global Risks Report des World Economic Forum lässt keinen Zweifel aufkommen: Nachhaltigkeitsrisiken, insbesondere im Bereich Klima und Umwelt, werden als die größte Gefahr für Sicherheit und Wohlstand in den kommenden Jahren eingestuft. An dieser fundamentalen Analyse hat sich trotz der angesprochenen Aufmerksamkeitskonjunkturen nichts geändert, weshalb das Thema bei Mercedes-Benz weiterhin mit Priorität behandelt wird.

Was bedeutet das konkret?

Jungo Brüngger: Das heißt, wir verstehen Nachhaltigkeit ganzheitlich: Ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte sind seit Jahren elementare Bestandteile unserer Unternehmensausrichtung. Für Mercedes-Benz bedeutet Nachhaltigkeit, wirkliche Verbesserungen zu erzielen und langfristig Wert zu schaffen, für so viele Menschen wie möglich. Wir konzentrieren uns dabei auf sechs strategische Themenfelder: Dekarbonisierung, Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft, Menschen, Digitales Vertrauen, Verkehrssicherheit und Menschenrechte.

Von einem Autohersteller erwartet man vor allem Klima- und Umweltschutz. Warum die Fokussierung auf sechs Felder?

Jungo Brüngger: Kurz gesagt: Diese sechs Fokusfelder sind für uns als Unternehmen und viele unserer Stakeholder relevant – und werden es auch in Zukunft sein. Dahinter liegt ein umfangreicher Analyseprozess. In diesen Feldern können wir echten Einfluss nehmen und eine möglichst große Wirkung erzielen. In unsere Aktivitäten fließen viele unterschiedliche Sichtweisen ein: beispielsweise die unserer Kundinnen und Kunden, des Kapitalmarktes, der Politik und gesellschaftlicher Gruppen. Der regelmäßige Austausch auf Augenhöhe mit relevanten Anspruchsgruppen ist für mich elementar, um wertvolle Impulse für unsere Arbeit zu erhalten. Die sechs Fokusfelder zeigen daher, dass unser ganzheitlicher Ansatz von Nachhaltigkeit mehr beinhaltet als klassische Umweltthemen. Der angesprochene Global Risks Report macht auch deutlich, dass Nachhaltigkeitsrisiken eben nicht nur Klima- und Umweltrisiken sind. Soziale Missstände, Menschenrechtsverletzungen oder von neuen Technologien wie KI ausgehende Risiken werden ebenfalls als Bedrohung von Sicherheit und Wohlstand identifiziert.

Welches sind aus Ihrer Sicht die aktuellen Herausforderungen für die Automobilindustrie in Sachen Nachhaltigkeit?

Jungo Brüngger: Die größte Aufgabe ist es, den vielen Herausforderungen gleichzeitig zu begegnen. Dazu gehört zum Beispiel die wirtschaftliche Situation in der Automobilbranche. Hier ist die richtige Balance entscheidend: Nachhaltigkeit gelingt für ein Unternehmen nicht ohne Profitabilität. Darüber hinaus befinden wir uns mitten in einer technologischen Transformation und Übergangsphase, die große Investitionen erfordert. Unsere Ambition 2039 ist ein ehrgeiziges Ziel: Wir streben eine bilanziell CO2-neutrale Neuwagenflotte an, die die gesamte Wertschöpfungskette umfasst – von der Entwicklung und Produktion bis hin zur Nutzung und dem Recycling unserer Fahrzeuge. Für die Übergangszeit sehen wir weiterhin – mit regionalen Unterschieden – Bedarf an Verbrennungsmotoren und investieren auch in diese Technologie. Auch hier ist die richtige Balance entscheidend, in diesem Fall zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen. Wir tragen also den Bedürfnissen unserer Kunden Rechnung, auch um die Transformation überhaupt finanzieren zu können und sie weiter voranzutreiben.

Und was ist aus Ihrer Sicht für 2025 entscheidend, um beim Thema Nachhaltigkeit voranzukommen?

Jungo Brüngger: Um an die Eingangsfrage anzuknüpfen: Angesichts des herrschenden Gegenwinds und des Trends, Nachhaltigkeit in Frage zu stellen, sage ich ganz klar: Wir dürfen nicht lockerlassen, damit wir die wichtigen Nachhaltigkeitsziele nicht aus den Augen verlieren. Und zwar gemeinsam – Politik, Gesellschaft und Unternehmen. Jedem ist dabei bewusst, dass große Veränderungen meist nicht von heute auf morgen passieren und dass Hindernisse überwunden werden müssen. Schritt für Schritt wollen wir jedoch Verbesserungen erzielen. Von der CO2-Reduktion über die steigende Verwendung von Rezyklaten in unseren Fahrzeugen bis hin zur Realisierung der Vision des unfallfreien Fahrens. Von der Förderung unserer Beschäftigten über die Achtung und Wahrung von Menschenrechten bis hin zur Stärkung des Vertrauens unserer Kunden in digitale Lösungen.                                                   


Zur Person

Renata Jungo Brüngger ist seit dem 1. Januar 2016 Vorstandsmitglied der Daimler AG – jetzt Mercedes-Benz Group AG – und der Mercedes-Benz AG. Sie verantwortet das Ressort Integrität, Governance und Nachhaltigkeit. Die Schweizerin aus Fribourg studierte Rechtswissenschaften und erlangte das Anwaltspatent. Berufsbegleitend schloss sie ein Zusatzstudium an der Universität Zürich mit dem Master of Laws (LL.M.) im internationalen Handelsrecht mit den Schwerpunkten Immaterialgüterrecht sowie Technologie- und Informationsrecht ab. 2011 trat Renata Jungo Brüngger als Leiterin des Bereichs Legal in die damalige Daimler AG ein.


red.