Die Botschaften des Unternehmens dürfen nicht nur extern kommuniziert, sondern sollen auch intern gelebt werden und Thema sein. Wie Unternehmen noch auf den Fachkräftemangel reagieren können, erklärt Prof. Dr. Saskia-Nicole Reinfuss von der Hochschule Heilbronn im Interview.
Was sind die wichtigsten Trends und Entwicklungen im Bereich Personalmanagement?
Saskia-Nicole Reinfuss: Die beiden größten Trends im Bereich des Personalmanagements sind nach meinem Verständnis der Fachkräftemangel und die Digitalisierung. Davon hängen sehr vielen Fragestellungen auf der Ebene der Instrumente und Konzepte ab, zum Beispiel Recruiting-Prozesse, Hybride Arbeitsmodelle, Mitarbeiterbindung, Weiterbildung und Skill Management sowie moderne Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle.
Stichwort Fachkräfte: Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie die richtigen Mitarbeiter mit den passenden Fähigkeiten einstellen?
Reinfuss: Ein Unternehmen kann das durch eine ausreichende Auftragsklärung zwischen der Personalabteilung und dem Fachbereich unterstützen. Dies kann zu einer erfolgreichen Kombination aus einem durchdachten Rekrutierungs- Prozess und einer gelungenen Personalentwicklung führen. Das bedeutet, dass ich mich als Unternehmen im Vorfeld des Rekrutierungs-Prozesses fragen muss, was brauche ich wirklich und was bin ich auch bereit an Ausbildung zu investieren? Auch die Personaler müssen im „Heute“ leben. Das bedeutet, wenn ich als Personaler beispielsweise einen Bewerber mit einem Tattoo wegen dem Tattoo ablehne, entgeht mir vielleicht ein wirkliches Talent.
Und wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter langfristig binden?
Reinfuss: Die aktuellen Ergebnisse der Gallup Studie, die im März 2023 veröffentlich wurden, sprechen davon, dass 69% der Mitarbeitenden „Dienst nach Vorschrift“ machen. Aus meiner Sicht geht es bei Mitarbeiterbindung nicht ausschließlich um die Bleibe- sondern auch um die Leistungsbereitschaft.
Das bedeutet?
Reinfuss: Dort gibt es viele Ansätze. Es beginnt z.B. im Rekrutierung-Prozess. Einem Bewerber „das Blaue vom Himmel“ zu erzählen fördert in vielen Fällen die Frühfluktuation. Auf der anderen Seite kann im Rahmen des Offboardings zum Beispiel ein Regain Management etabliert werden. Das bedeutet, dass mit Mitarbeitenden, die sich beruflich verändern, gezielt Kontakt gehalten wird, um sie zu einem späteren Zeitpunkt für vakante Positionen wieder zu gewinnen.
Wie wichtig ist denn allgemein die gezielte Ansprache von passiven Bewerbern?
Reinfuss: Für viele Unternehmen ist dies aktuell eine sehr wichtige Quelle für qualifizierte Bewerbungen. Nach der aktuellen Gallup Studie sind aktuell rund 40% offen für eine neue Aufgabe, bewerben sich aber noch nicht aktiv.
Noch einmal zurück zur Mitarbeiterbindung: Wie können Unternehmen Mitarbeiter langfristig halten?
Reinfuss: Mitarbeiterbindung und positive Erfahrungen werden am ehesten durch die emotionale Bindung geschaffen. Das bedeutet salopp formuliert: Durch eine gute Stimmung im Team, in der Abteilung zwischen den Kollegen und zu den Führungskräften. Die Personalabteilung kann an dieser Stelle mit einem Instrument zur Durchführung des Mitarbeitergesprächs, mit Maßnahmen zur Kulturförderung, wie Teamentwicklung Events oder im Rahmen der Auswahl von Führungskräften ansetzen.
Stichwort Unternehmenskultur: Welche Rolle spielt die Arbeitgebermarke bei der Gewinnung von Fachkräften?
Reinfuss: Die Arbeitgebermarke und die Arbeitgeberattraktivität spielen eine große Rolle bei der Gewinnung von Fachkräften, sofern es sich dabei nicht nur um eine „Hochglanzbroschüre“ handelt. Sprich: Die Botschaften des Unternehmens dürfen nicht nur extern kommuniziert, sondern sollen auch intern gelebt werden und Thema sein.
Dafür müssen Arbeitnehmer erst einmal auf das Unternehmen aufmerksam werden. Welche Möglichkeiten gibt es hier?
Reinfuss: Die klassischen Instrumente sind immer noch eine Möglichkeit: Stellenbörsen, die eigene Homepage, Messen, teilweise überregionale Printmedien. Nicht vergessen aus meiner Sicht sollte man Netzwerke, sowohl die beruflichen als auch die persönlichen. Dazu zählt auch, dass Mitarbeitende motiviert werden, Stellen im eigenen Kreis zu kommunizieren und zu bewerben.
Zurück zum Trend Digitalisierung: Welche Rolle spielt sie bei der Gewinnung und Bindung von Fachkräften?
Reinfuss: Es kommt darauf an, inwieweit der Prozess der Digitalisierung fortgeschritten ist. Aus meiner Sicht ist das digitale Einreichen und Bearbeiten von Bewerbungsunterlagen aus Sicht der Bewerbenden in der Regel kein Problem. Nur die wenigsten Bewerber würden wahrscheinlich auf eine Papierbewerbung bestehen. Allerdings wird die Möglichkeit zum direkten Kontakt zum Unternehmen aus meiner Sicht nach wie vor geschätzt. Das bedeutet, dass ein Chatbot oder Avatar, der das erste Interview führt, aus meiner Sicht noch nicht die volle Akzeptanz auf dem Bewerbermarkt findet.
Inwiefern verändert sich auch die Rolle der Personalabteilungen in der digitalen Arbeitswelt?
Reinfuss: Für die Personaler von morgen wird die gekonnte Anwendung von Change- und Veränderungswerkzeugen bedeutsamer sein als heute. Zusätzlich wird es wichtiger sein, Data Management im Personal sinnvoll einzusetzen. Dazu gehören beispielsweise Konzepte zu den Themen People oder Talent Analytics. Bedeutsam werden auch soziale Kompetenzen, wie Empathie und Kommunikations- oder Netzwerkfähigkeiten, da diese Eigenschaften „Schmierstoffe“ für funktionierende Unternehmensprozesse sind.
Und wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie langfristig in der Lage sind, auf neue Anforderungen im Bereich Personalmanagement zu reagieren?
Reinfuss: Personalmanagement als Aufgabe betrifft nicht nur die HR-Abteilung, sondern in meinem Verständnis auch alle Führungskräfte. Daher ist die Auswahl für Führungskräften ein wichtiges Thema. Alle Beteiligten brauchen Offenheit für Neues, Veränderungsbereitschaft, autodidaktische Fähigkeiten, Spaß und Mut am „Neues Denken“ und eine Portion Neugierde.
Interview: Teresa Zwirner
Zur Person
Prof. Dr. Saskia-Nicole Reinfuss ist Professorin für Personalmanagement an der Hochschule Heilbronn und lehrt am Standort Schwäbisch Hall an der Fakultät Management und Vertrieb.