Ford will ab 2030 in Europa nur noch vollelektrische PKW produzieren. Deutschlandchef Gunnar Herrmann spricht im Interview über Kampfansagen an Tesla und dringend erforderliche Investitionen in Ladeinfrastruktur.
Sie sind Deutschlandchef des US-amerikanischen Autobauers Ford. Sind amerikanische Unternehmen den deutschen Unternehmen in Sachen Innovationskultur einen Schritt voraus?
Gunnar Herrmann: US-Unternehmen gelten als agiler und weniger hierarchie-gläubig, was sicherlich innovationsfördernd ist. Aber gerade in der
Automobilindustrie sind deutsche Hersteller – und dazu gehören natürlich auch die Ford-Werke – bei Patentanmeldungen immer noch führend. Unser Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich treibt die Entwicklung unserer Pkw-Flotte in Europa federführend voran. Und in Aachen befindet sich eines von nur zwei Forschungszentren von Ford außerhalb der USA, das mit der international renommierten Hochschule RWTH in Aachen kooperiert. Die Innovationskraft, die wir aus Deutschland ins Unternehmen einbringen, weiß man bei unserem US-Mutterkonzern sehr zu schätzen.
Gibt es Aspekte in der Management- und Unternehmenskultur, die in Deutschland besser funktionieren?
Herrmann: Eine Kombination aus beiden Kulturen – wie wir sie bei Ford praktizieren – finde ich am erfolgversprechendsten. Also der agile, flexible amerikanische Ansatz mit flachen Hierarchien gepaart mit der als typisch Deutsch geltenden Zuverlässigkeit und der sehr strukturierten und gut organisierten deutschen Herangehensweise. Zudem legen wir bei Ford großen Wert auf Diversität. Zusammen sorgt das bei uns für ein produktives und kreatives Betriebsklima und dient sicherlich auch als Innovationstreiber.
Was ist für Sie derzeit die größere Herausforderung: die aktuelle Corona-Krise zu bewältigen oder die Transformation zur Elektromobilität voranzutreiben?
Herrmann: Die Corona-Krise hat die gesamte Autoindustrie hart getroffen. Doch inzwischen verzeichnen wir einen eindeutigen Aufwärtstrend: Die Leute kaufen wieder Autos. Ausgerechnet in dieser Situation ist die Branche von globalen Lieferengpässen der Halbleiterindustrie betroffen, die bei den Autoherstellern zu Produktionsausfällen führen. Das ist sehr ärgerlich und kurzfristig sicherlich die größte Herausforderung. Langfristig betrachtet, sind die Transformation zur Elektromobilität und die fortschreitende Digitalisierung sicherlich die entscheidenden Faktoren.
Ford investiert eine Milliarde Dollar in die Modernisierung der Fahrzeugfertigung in Köln. Ein europäisches Electrification Center soll entstehen. Ist das eine Kampfansage an Tesla?
Herrmann: Nicht nur an Tesla (lacht). Mit der größten je am Standort Köln getätigten Investition bauen wir unsere Kölner Ford-Werke zum E-Mobilitätzentrum aus und treiben die Elektrifizierung unserer Flotte vehement voran. Ab 2030 werden wir in Europa nur noch vollelektrische Pkw-Modelle anbieten.
Bedeutet die Elektro-Offensive von Ford gleichzeitig die kurzfristige Abkehr vom Verbrennungsmotor?
Herrmann: Eher die langfristige: Kurzfristig setzen wir bei unserer Elektrifizierung auch auf eine große Bandbreite an Hybrid-Antrieben von Mild- und Voll- bis zu Plug-in-Hybriden. Und
dafür brauchen wir nach wie vor unsere höchst effizienten Verbrennungsmotoren. Doch ab 2030 werden wir in Europa nur noch vollelektrische Pkw- Modelle anbieten. Bei den leichten Nutzfahrzeugen kommen aber auch noch danach Verbrenner und
Hybride zum Einsatz.
In der Vergangenheit haben Sie sich skeptisch gegenüber der E-Mobilität geäußert. Ist E-Mobilität doch der einzige Weg für Autobauer?
Herrmann: Die EU-Kommission hat mit den weltweit strengsten CO2-Flottengrenzwerten klare politische Rahmenbedingungen geschaffen und damit die Elektrifizierung der Automobilindustrie beschleunigt. Diesen Weg unterstützen wir absolut. Auch bei unseren Kunden steigt das Umweltbewusstsein und damit das Interesse an E-Autos. Die Umweltprämie der Bundesregierung und der Hersteller haben die Nachfrage zusätzlich gefördert. Doch die Ladeinfrastruktur – und hierauf zielt meine Kritik – hält mit diesem Elektro-Boom nicht Schritt. Um die E-Mobilität wirklich zu etablieren, brauchen wir in Deutschland 2.000 neue Ladepunkte pro Woche und nicht wie derzeit 200. Hier ist die Politik gefragt.
Warum hinken wir in Deutschland hinterher und welche Lösungen wären erforderlich?
Herrmann: Die Automobilindustrie treibt den Ausbau der Ladeinfrastruktur – was eigentlich nicht ihrer Kernkompetenz entspricht – voran. Beispielsweise errichten wir im Konsortium IONITY zusammen mit anderen Herstellern Schnelllade-Säulen an 400 Standorten in 18 Ländern entlang europäischer Hauptverkehrsrouten. Doch die Automobilindustrie kann diese Mammut-Aufgabe nicht allein stemmen. Die Politik aber auch die Energiewirtschaft müssen sich hier stärker einbringen.
Alternative Antriebsformen wie die Brennstoffzellentechnologie sind im Gespräch. Auch für Ford eine Option?
Herrmann: Wir sind grundsätzlich technologieoffen. Und haben auch schon viel Erfahrung mit Brennstoffzellen gesammelt. Doch hier wirkt die mangelnde Infrastruktur als noch viel größerer Hemmschuh. Von einem Netz an Wasserstoff-Tankstellen kann man derzeit wirklich nicht sprechen. Langfristig könnte die Technologie aber durchaus eine Alternative sein, vor allem im Nutzfahrzeugbereich.
Zurück zur Managementkultur: Was tut Ford, um im Transformationsprozess Arbeitsplätze zu sichern? Gilt deutsche Konstanz oder amerikanisches Hire & Fire?
Herrmann: Ford ist bekannt für seine lange Tradition der Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmen und Belegschaft. Hire & Fire gibt es also bei uns grundsätzlich nicht. Um die Transformation erfolgreich umsetzen zu können, müssen wir uns so effizient wie möglich aufstellen und haben deshalb vor zwei Jahren einen Restrukturierungsprozess gestartet. Ein Teil unseres Plans sieht vor, Insourcing-Potenziale zu identifizieren. Damit wollen wir Ausgaben reduzieren und gleichzeitig Arbeitsplätze erhalten. Zudem bieten wir unseren Beschäftigten verstärkt Weiterbildungsmöglichkeiten, um sie auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten.
Interview: Dirk Täuber