So läuft es mit der Energiewende

Die Energiewende wird als Thema in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Dr. Gerd Rosenkranz von „Agora Energiewende“ erklärt die Entwicklung der letzten Jahre.

Begann alles 1975, mit dem gemeinsamen Protest von linken Studenten und konservativen Winzerinnen gegen das bei Wyhl am Kaiserstuhl geplante Atomkraftwerk? Oder im Jahr 2000 mit dem zwischen der rot-grünen Bundesregierung und den Kernkraftwerksbetreibern vereinbarten ersten Atomausstieg und der Verabschiedung des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) im Deutschen Bundestag? Oder doch erst 2011, als Angela Merkel unter dem Eindruck der Dreifach-Kernschmelze von Fukushima nach gerade erste erfolgter Laufzeitverlängerung erklärte, sie habe ihre Einstellung zur Kernenergie verändert?

Fest steht: Seit dem Sommer 2011 sind die Ziele der Energiewende in Deutschland politisch kaum mehr umstritten. Wohl aber der Weg hin zu 80 bis 95 Prozent Einsparung von Treibhausgasen gegenüber 1990, die zur Mitte des Jahrhunderts erreicht sein sollen. Die Energiewende ist Realität – der Atomausstieg wird in wenigen Jahren vollzogen sein, ein Zurück zum fossil-nuklearen Energiesystem wünscht sich nicht einmal mehr die traditionelle Energiewirtschaft. Im Jahr 2015 stammte etwa ein Drittel des deutschen Stromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien, gegenüber nicht einmal sieben Prozent im Jahr 2000. Einen solch rasanten Ausbau, nur fünf Jahre nach der politischen Spitzkehre der damaligen CDU/FDP-Regierung, hatte kaum ein Experte für möglich gehalten. Bei der installierten Leistung von Photovoltaik und Windenergie, den in Zukunft aller Voraussicht nach global dominierenden Stromerzeugungstechnologien, gehört Deutschland zu den weltweiten Spitzenreitern.

Trotzdem steht die Energiewende noch am Anfang. Sie bleibt ein Generationenprojekt. Selbst im Stromsektor können die immensen Erfolge nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Transformation nicht flächendeckend rund läuft:

Ad 1: Dem immensen Zubau Erneuerbarer Energien stehen keine vergleichbaren Erfolge beim Klimaschutz gegenüber. Denn trotz immer mehr Wind und Sonne im Netz geht auch die Stromproduktion aus Stein- und Braunkohlekraftwerken fast unvermindert weiter. Jede zehnte hierzulande erzeugte Kilowattstunde wird deshalb im Ausland verbraucht und führt dies- und jenseits unserer Grenzen zur Dauerabschaltung klimaschonender Gaskraftwerke. Gründe für die Fehlsteuerung sind der niedrige Weltmarktpreis für Kraftwerkskohle (vor allem als Folge des Schiefergas-Booms in den USA), hohe Erzeugungs-Überkapazitäten nördlich der Mainlinie und ein europäischer Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten, der seine Funktion, Stromwirtschaft und Industrie zum Einsatz klimaschonender Technologien zu veranlassen wegen gewaltiger Überschüsse im System bisher nie erfüllt hat.

Ad 2: Im Wärmesektor, beim Verkehr und bei der Durchsetzung von mehr Energieeffizienz kommt die Energiewende zu langsam voran. Teilweise fehlt es an angemessenen Instrumenten, teilweise am politischen Willen zur Durchsetzung entsprechender Rahmenbedingungen.

Die fundamentale Transformation des Energiesystems erweist sich auch und gerade in einem Hochtechnologieland wie Deutschland als komplex und langwierig. Trotzdem ist sie, spätestens nach den wegweisenden Beschlüssen der Weltklimakonferenz von Paris Ende 2015, unumkehrbar geworden – allein schon, weil die deutsche Energiewende Teil eines weltweiten Megatrends geworden ist, der nicht länger nur politisch, sondern auch technologisch und ökonomisch getrieben wird. Andere wichtige Nationen, an der Spitze die USA und China, treiben die Entwicklung voran und haben Deutschland und Europa teilweise abgehängt. Dazu nur eine Zahl: 2015 trug das noch vor wenigen Jahren auch in dieser Hinsicht führende Energiewendeland zur globalen Neuinstallation von PV-Anlagen nur noch knapp 2,5 Prozent bei.

Was ist zu tun? Erstens: Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und gleichzeitig Kohleland bleiben. Für Planungs- und Investitionssicherheit braucht das Land deshalb einen Konsens über den Kohleausstieg mit festem Enddatum, wie ihn Agora Energiewende im Januar vorgeschlagen hat. Zweitens: Um im Wärme- und Verkehrssektor voranzukommen, müssen voraussichtlich auch diese Bereiche weitgehend elektrifiziert werden – mit Strom aus erneuerbaren Energien. Drittens: Mit der digitalen Revolution als Schlüssel muss das neue Energiesystem so flexibel gemacht werden, wie es Wind und Sonne, die nur unstet zur Verfügung stehen, erfordern.

Wenn dies alles gelingt – und viele rasante Entwicklungen sprechen derzeit dafür – macht die Energiewende das Hochtechnologieland Deutschland fit für die Zukunft. Man könnte auch sagen: Sie ist alternativlos.

Dr. Gerd Rosenkranz