Studieren probieren – funktioniert das?

Ein bisschen nervös bin ich schon, als ich morgens aufwache und daran denke, dass es heute für mich zurück an die Hochschule geht. Dozenten PowerPoint-Folien und viele unbekannte Mitstreiter werden mir heute begegnen: Ich wage einen Selbstversuch als Studentin.

Das Auto ist auf einem der ausgeschriebenen Parkplätze abgestellt. Meine Tasche habe ich sorgfältig gepackt: Mein Lieblings-Kugelschreiber, ein Block, eine Trinkflasche, ein Vesper und ein Regenschirm sind mit dabei. Der Campus Schwäbisch Hall der Hochschule Heilbronn liegt mitten im Wohngebiet. Mein Tag beginnt um acht Uhr mit der Vorlesung „Verhandlungsführung und Konfliktmanagement“. Im Eingangsbereich muss ich mich zunächst orientieren. Ein Schild zeigt zur Cafeteria. Aber wie finde ich den richtigen Raum, in dem meine Vorlesung stattfindet? Noch 15 Minuten bis der Kurs beginnt. Ein Glück, dass es hier heute viele Neulinge gibt. „Studieren probieren“ lautet das Motto. Deshalb bin ich heute nicht die Einzige, die etwas orientierungslos ist. Schließlich haben Studieninteressierte bei dieser Veranstaltung die Möglichkeit, an regulären Vorlesungen teilzunehmen und das Studentenleben zu testen. Das ist auch der Grund, warum Studienbotschafter anwesend sind, an die ich mich wenden kann. Sie erklären mir, wo ich lang muss. Die Treppen hoch, zweiter Stock – hier müsste es irgendwo sein. Gerade aus, nach links und dann die zweite Tür rechts: Raum 204. Geschafft.

Der Raum ist mit Klappbänken und -tischen ausgestattet. Bisher sind vielleicht zehn andere Studierende da. Ich setze mich in die vierte Reihe und sehe mich um. Die Gruppe ist bunt gemischt. Alle sind etwa zwischen 19 und 28 Jahre alt, aber mir fällt es nicht leicht, sie einzuschätzen. Es sind mehr Männer als Frauen. In zehn Minuten geht’s los. Der Dozent ist bereits da, hat Beamer und Laptop hochgefahren. Kurz vor acht Uhr beginnt Professor Andreas Gary die Vorlesung: „Sind heute auch Nicht-Studenten hier? Nimmt jemand an ‚Studieren probieren‘ teil?“ Meine Nebensitzerin und zwei Frauen vor uns melden sich – gemeinsam mit mir. Ich bin gespannt, was mich erwartet. Einen Kurs aus dem Studiengang „Management und Vertrieb: Industrie“ habe ich mir ausgesucht. Einige Nachzügler treffen ein. Jetzt sind wir an die zwanzig Zuhörer. „Die neun Phasen der Eskalation“, wiederholt der Kursleiter – es geht um den Stoff der vergangenen Woche. Das Fallbeispiel hat er sich selbst überlegt und betont schmunzelnd: „Alle Probleme und Schwierigkeiten, die mir in meinem Berufsleben je begegnet sind, habe ich in diesen Fall eingebaut.“ Überhaupt werden viele hilfreiche Anekdoten und Situationen geschildert. So praxisnahen Unterricht kenne ich von meinem Germanistikstudium nur wenig. Immer wieder erklärt der Dozent während der Präsentation auch, ob das Wissen prüfungsrelevant ist. Prüfungen – ja, da war was. An jedem Semesterende lernen, zusammenfassen und pauken bis der Kopf glüht. Auch diese Phase gehört zum Studium.

Die Mitarbeit wird eingefordert: Immer wieder sollen Studenten Fragen beantworten und sich aktiv am Unterricht beteiligen. Nach 90 Minuten habe ich viel über Konfliktstrategien und das Arbeitsleben eines Vertrieblers gelernt. Meine Wissenslücken zum Thema „Studieren probieren“ schließen sich im Gespräch mit erfahreneren Studenten. „Ich finde es klasse, dass sich die Schüler für das Leben an der Hochschule interessieren“, erklärt Lisa-Maria Kaska, die für den Bereich Kommunikation und Marketing am Campus Schwäbisch Hall zuständig ist.

Es ist kurz vor zwölf Uhr – für mich war‘s das heute mit der Hochschulluft. Die regulären Studenten haben allerdings noch einige Vorlesungen vor sich. Zum Schluss gibt’s noch ein Hochschul-Selfie im grauen Frühlingswetter. Meine Nebensitzerin erzählte mir außerdem, dass es auf dem Gebäude des Campus eine tolle Dachterrasse geben soll. Das hört sich verlockend an – zumindest an einem Sommertag. Aber heute nicht: Im Nieselregen laufe ich zurück zu meinem Auto.

Annika Wieland