Tradition hat viele Gesichter

Nicht immer entwickelt sich ein Unternehmen aus einem einzigen Geschäftsfeld heraus. Manchmal geht es auch eher ungewöhnliche Wege. Kurtz Ersa blickt auf eine lange Geschichte zurück – und auf zahlreiche Geschäftsfelder. Kurtz-Ersa-Chef Rainer Kurtz erklärt im Interview, inwiefern dies auch ein Erfolgsfaktor sein kann.

Herr Kurtz, beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer referieren Sie zum Thema „Tradition durch Diversifikation“. Warum gerade dazu?

Kurtz: Das hat sich ganz klar aus der Tradition des Familienunternehmens heraus ergeben. Diversifikation hat uns über die Jahrhunderte hinweg immer begleitet. Das hat einen historischen Ursprung. Von 1730 bis 1800 haben sich um unseren heutigen Standort herum zahlreiche Hammerschmieden angesiedelt. Die Familie Kurtz, selbst Hammerschmiede, hat eine davon übernommen und diese weitergeführt, als die Gründer das Geschäft nicht mehr halten konnten. Ab 1820 ging es mit den Hammerschmieden nach und nach zu Ende. Das hat auch die Familie Kurtz getroffen. Die Zeit der Hammerschmieden war vorüber. Als Reaktion darauf haben wir Mitte des 19. Jahrhunderts eine Eisengießerei gegründet. Das war unsere erste Diversifikation. Die anderen Firmen, die nicht diversifiziert hatten, die gibt es heute nicht mehr. Wir sind auch heute noch am Markt – und das inzwischen in sechster Generation.

Warum sind in Ihrem Fall Diversifikation und Tradition kein Widerspruch?

Kurtz: Weil wir durch Diversifikation Tradition entstehen lassen konnten. Sie hat uns am Markt bestehen lassen. Nach der Diversifikation in die Eisengießerei hatten wir später noch weiter diversifiziert: in den Maschinenbau, in die Papier- und Kartonageverarbeitung und mehr. Manche Branchen liefen gut, andere weniger. Wir hatten gute Leute, aber nicht immer den passenden Markt dafür, um unsere Produkte an den Mann zu bringen. Also haben wir uns breiter aufgestellt und uns neu ausgerichtet. Diversifikation ist etwas, das einen langen Atem braucht. Man muss über Jahre hinweg standhaft sein und Geld investieren. Nur so kann man diese langfristige Sache erfolgreich angehen. Beharrlichkeit ist immens wichtig, man darf sich nicht gleich zurückziehen; muss aber auch aufpassen, dass man sich nicht verzettelt.

Sie sind in drei ganz unterschiedliche Geschäftsfelder (Electronics Production Equipment, Moulding Machines und Metal Components) diversifiziert. Wie kam das?

Kurtz: Die Moulding Machines und die Metal Components haben ihre Wurzeln in der Diversifikation Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Bereich Maschinenbau haben wir den Bau von Schaumstoffmaschinen konsequent weiterentwickelt und sind dort mit einem Marktanteil von 35 Prozent zum Weltmarktführer aufgestiegen. Der Bereich Metal Components ist aus unserer Eisengießerei hervorgegangen, wo wir in einer der modernsten Handformgießereien der Welt uns auf den Handformguss spezialisiert haben. Beide Bereiche sind jedoch Nischen und dort fühlen wir uns auch wohl. Unser größtes Geschäft, das Equipment für die Elektronikproduktion, haben wir 1993 durch eine Übernahme begonnen. Auch hier sind wir in einer Nische, die allerdings weltweit ein bedeutend größeres Potenzial bereithält. Wir setzen bei Kurtz Ersa konsequent auf Nischen mit dem Ziel, diese weltweit in einer führenden Position zu besetzen.

Inwiefern profitieren die einzelnen Geschäftsbereiche voneinander?

Kurtz: Die Bereiche sind selbstständig, manches läuft aber in der Holding als zentrale Dachgesellschaft zusammen: Vertrieb, Personal oder Marketing etwa. Wir leben im Konzern eine gemeinsame Ausrichtung. Überall gelten dieselben Werte und Normen. Ich denke, wir haben dem Unternehmen einen Anzug verpasst, der insgesamt sehr gut sitzt. Seit etwa einem Jahr betreiben wir außerdem unsere Hammer Academy. Dabei handelt es sich um eine Art hausinterne Hochschule, in der die gemeinsame Ausrichtung durch eine individuelle Weiterbildungsmöglichkeit der Mitarbeiter ergänzt wird. Dieses Angebot wird sehr rege genutzt. In Summe hat jeder Mitarbeiter bislang 2,5 Weiterbildungskurse belegt. Wir sind davon überzeugt, dass uns das weiterbringt. Dadurch halten wir aufgebautes Wissen im Konzern. Derzeit unterrichten rund 60 Dozenten, rund 40 davon stammen aus den eigenen Reihen. Der Wissenstransfer ist dadurch hervorragend.

Wie handhaben Sie es in Sachen Ausbildung? Durchlaufen Azubis alle Geschäftsbereiche oder setzen sie stattdessen auf eine frühe Spezialisierung?

Kurtz: Auszubildende absolvieren bei uns gemeinsam ihre Grundausbildung. Das gilt für die kaufmännische, aber auch für die gewerblich-technische Ausbildung. Die Lehrwerkstatt etwa ist zentral an die Holding angesiedelt. Im Anschluss daran durchlaufen die jungen Mitarbeiter alle Töchter, bevor es in die jeweiligen Fachabteilungen geht.

Rückblick: Kurtz Ersa ist eine Erfolgsgeschichte. Sie blicken auf eine über 235-jährige Historie zurück. Angebots- und Produkterweiterungen spielten dabei schon immer eine große Rolle. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Hinsicht über die Jahrhunderte hinweg gemacht?

Kurtz: Positiv ist natürlich, dass man immer wieder etwas Neues angeht. Das macht die Arbeit interessant. Aber das ist Luxus, denn Neuerungen kosten in der Regel auch viel Geld. Gleichzeitig bleibt das Gesamtunternehmen fit. Wir sind zur Wechselbereitschaft und zur Innovation gezwungen, was uns wiederum am Markt dauerhaft bestehen lässt. Negativ ist es, wenn man auf einen Markt setzt, aber auf unerwartete Widerstände stößt, gegen die man nicht ankämpfen kann oder möchte. Diversifikation ist also immer ein Drahtseilakt: Einerseits muss man realistisch sein, andererseits darf man nicht zu schnell die Flinte ins Korn werfen.

Diversifikation birgt Chancen, aber auch ein gewisses Risiko. Wie gehen Sie vor, wenn es darum geht, neue Märkte zu erschließen?

Kurtz: Letztendlich muss eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass wir am Markt erfolgreich sein können. Er muss sauber von uns bespielt werden können. Dafür muss ein gewisses Umfeld da sein, in dem wir uns auch wiederfinden können. Und damit meine ich nicht nur die Geschäftsleitung, sondern auch unsere Mitarbeiter. Diese müssen wir unbedingt mitnehmen und weiterentwickeln. Sonst wäre es schwer, neue Märkte zu erschließen. Es muss in Summe einfach passen.

Inwiefern kann Ihnen die langjährige Erfahrung Vorteile bei der Erschließung neuer Märkte verschaffen?

Kurtz: Es wäre überheblich von uns, zu sagen, wir tun uns leichter, als andere. Zudem wäre es recht blauäugig, wenn wir uns allein auf unsere Erfahrung aus der Vergangenheit verlassen würden. Jeder Markt ist anders. Wir setzen hier auf Expertenwissen – wenn dieses nicht im Haus verfügbar ist, holen wir uns externe Unterstützung dazu.

Ausblick: Wo steht das Unternehmen in den nächsten Jahren? In 10, 25, 50?

Kurtz: Ich würde mir wünschen, dass das Unternehmen so lange wie möglich ein Familienunternehmen bleibt. Das ist in dieser Form auch so committed. Wir möchten Arbeitsplätze in der Region halten und auch weiterhin hier produzierend tätig sein. Das Unternehmen soll Bestand haben – einerseits für uns als Familie, andererseits für die Mitarbeiter an den jeweiligen Standorten. Mein Wunsch wäre außerdem, dass wir in Nischenmärkten weiterhin führend sind.

Welche Rolle soll das Thema Diversifikation spielen?

Kurtz: Unsere Tradition wird ohne Diversifikation nicht funktionieren. Es ergibt sich hier eine gewisse Zwangsläufigkeit, gerade, weil wir in Nischen am Markt sind. Aus diesem Grund wird sie sicherlich auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

Interview: Lydia-Kathrin Hilpert

Zur Person
Rainer Kurtz (60) ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Kurz Holding GmbH & Co. Beteiligungs KG. Seit 1982 ist der studierte Maschinenbauer im Familienunternehmen tätig. Kurtz lebt in Wertheim, ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Über Kurtz Ersa
Kurtz Ersa ist ein Familienunternehmen in sechster Generation. Der Zulieferer- und Technologiekonzern blickt auf eine fast 250-jährige Tradition zurück. Das Unternehmen ist in drei Geschäftsfelder diversifiziert: Electronics Pro¬duction Equipment, Moulding Machines und Metal Components. An 14 Standorten weltweit beschäftigt das Unternehmen rund 1.200 Mitarbeiter. Die Ausbildungsquote liegt bei über zehn Prozent. Im Jahr 2015 betrug der Umsatz 235 Millionen Euro.