Es war ein vielbeachteter Auftritt von Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorstandsvorsitzende von Trumpf SE, für den sie beim CEO-Abend des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“ in Schwäbisch Hall viel Applaus bekam. Dabei richtete sich ihre Kritik nicht nur gegen die Politik, sondern auch gegen manche Vertreter aus den eigenen Reihen.

Es gibt die einen, die sich zurückziehen und verstummen, wenn sie sich Sorgen machen. Und es gibt die anderen, die in solchen Situationen umso vehementer anprangern, was sie stört. Dr. Nicola Leibinger-Kammüller, Vorstandsvorsitzende des Lasertechnik-Weltmarktführers Trumpf SE, gehört zur zweiten Gruppe. „Entschuldigung, aber manchmal werde ich einfach laut“, sagte sie nach ihrer viel beachteten Rede zu Mit-Gastgeber Horst von Buttlar, dem Wirtschaftswoche-Chefredakteur. Dabei hatte sie ihre Worte beim CEO-Abend des „Gipfeltreffens der Weltmarktführer“ im Neuen Globe Theater in Schwäbisch Hall professionell und beherrscht vorgetragen. Emotionaler ging es erst anschließend im Gespräch mit von Buttlar zu.
Was Leibinger-Kammüller aufregte, war allerdings jedem im vollbesetzten Theatersaal schon während ihres kritischen Beitrags „Der Wirtschaftsstandort vor der Wahl“ klargeworden: Das Konglomerat aus geopolitischen Herausforderungen, Bürokratiezuwachs statt -abbau und „blauäugiger Energiepolitik“ unter der Ampelregierung.
Vorstandsvorsitzende von Trumpf SE appelliert an Politik
Zu hohe Steuer- und Abgabenlast, gepaart mit dem Zeitgeist von Staatsgläubigkeit und Bequemlichkeit. Was die Trumpf-Chefin schon beim Weltmarktführer-Gipfel 2019 gesagt hatte, gelte nach wie vor: „Wir müssen an den Stellschrauben drehen, die wir selbst beeinflussen können“ – und für eine hohe Flexibilität gegenüber Kunden und Partnern sorgen. Die Politik soll die Unternehmen machen lassen und ihnen Vertrauen schenken.“ Damals hatte Leibinger-Kammüllers‘ Appell noch der Großen Koalition gegolten. Doch auch der Nachfolgeregierung stellte sie ein mangelhaftes Zeugnis aus: „Ich spreche von einem Staat, der zunehmend dirigistisch in die Wirtschaft eingreift. Weil er meint, besser zu wissen als die Unternehmen und ihre Kunden, was der Weltmarkt bräuchte.“ Diese Form des staatlichen Interventionismus scheine sich nun zu rächen, etwa „dem Push bei der Elektromobilität, den man irrsinnigerweise dadurch geschwächt hat, dass man die eigenen Förderzusagen wieder kappte.“
Statt „Schaufensterprojekte“ zu fördern und „selbstgerecht die Eröffnung einer mit Steuermillionen subventionierten Batteriefabrik zu bejubeln“, wäre es nach Leibinger-Kammüllers Worten tausenden von Unternehmen lieber, „man entschlackte die Bürokratie und senkte die Energiekosten und die Körperschaftssteuern von 30 auf 25 Prozent“. Mehr Fokus auf den Mittelstand, der allen zugutekommt, anstelle von „Ansiedlungsplänen, deren Komplexität man nicht durchdringt“, forderte die Ditzinger Unternehmerin. „Aber: Ist das sich ‚Am-Riemen-Reißen‘ allein die Aufgabe der Politik, die ich eben kritisiert habe? Was mich persönlich bestürzt, ist die auch in der Industrie gewachsene Haltung, sofort nach dem Staat zu rufen“, sagte Leibinger-Kammüller. Die zahlenmäßigen Rückgänge auch bei Trumpf in den vergangenen zwei Jahren sind Ausdruck eines echten, ungeschützten Wettbewerbs, in dem sich die Firma befinde – und dem man sich stellen müsse.
Forderung nach mehr Leistung und Arbeitszeit
Kritik richtete sie deshalb auch in die eigenen Reihen: „In Teilen der Industrie scheinen wir uns sukzessive aus dem Erbe der Sozialen Marktwirtschaft zu verabschieden“, lautete ihre Diagnose. Manche Betriebe könnten Transformationsprozesse gar nicht mehr nach marktwirtschaftlichen Kriterien stemmen, sondern setzten von vorneherein auf Förderzusagen. Doch um Deutschland wieder produktiver zu machen, brauche es „wieder mehr Leistung und mehr Arbeitszeit anstatt weniger. Wieder mehr Sinn für das Gemeinwohl anstatt Selbstoptimierung als gesellschaftliches Normbild. Wieder mehr Weltverständnis anstatt Introspektion der eigenen Befindlichkeiten als Richtschnur.“ Sie mache sich Sorgen um „unsere mentale Einstellung zum Wettbewerb, zur Leistung, zur Arbeit, zur Hingabe an die Sache, zum Wohlstand.“
Folgerichtig klang Leibinger-Kammüllers Fazit denn auch wie ein Aufruf zu mehr Selbstkritik und dem Willen zur gemeinsamen Anstrengung – in Wirtschaft und Politik: „Gefragt ist ein neuer Realismus, eine neue Tugendhaftigkeit – und das weit mehr als nur im technologischen Sinne. Es bleibt uns dafür nicht mehr viel Zeit.“
Natalie Kotowski