Niemand weiß mehr um die Belange von Menschen mit Handicap als diese selbst. Deshalb gibt es von der Offenen Hilfen Öhringen ein Expertenteam, bestehend aus Menschen mit Behinderung. Sie wollen die Große Kreisstadt inklusiver machen.
Für die Evangelische Stiftung Lichtenstern ist Inklusion Kernaufgabe und Herzensangelegenheit zugleich. Seit 1963 ist die soziale Einrichtung als Partner für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung in Heilbronn-Franken aktiv. Allerdings denkt die kirchliche Stiftung das Thema Inklusion weiter: Menschen mit Handicap sind nicht einfach nur Teil der Gesellschaft, sondern gestalten die Gesellschaft aktiv mit und bereichern das Zusammenleben.
Dieser Leitgedanke kommt im aktuellen Projekt der Offenen Hilfen (OH) Öhringen zum Tragen. Die OH sind ein Angebot der Evangelischen Stiftung Lichtenstern. Sie unterstützen Menschen mit geistiger Behinderung sowie deren Eltern. In Öhringen läuft seit Oktober 2018 das Inklusionsprojekt „Der Weg ist das Ziel“. Gefördert wird die Aktion von der Baden-Württemberg-Stiftung, einer überparteilichen Stiftung, deren Gesellschafter das Land selbst ist. „Wir versuchen Öhringen inklusiver zu machen“, erklärt Sven Schäfter, Teamleiter der OH Öhringen.
Das Projekt baut auf die Unterstützung der Stadt Öhringen sowie des örtlichen Handels- und Gewerbevereins. Geplant ist, Institutionen sowie das Stadtleben auf Barrierefreiheit zu testen und insgesamt nutzungsfreundlicher für Menschen mit Behinderung zu machen.
Dazu hat sich um Projektleiterin Iris Körner ein Team aus zehn Mitgliedern mit Handicap gefunden. Die Experten haben Schulungen besucht und treffen sich zweimal im Monat, um die Aktion voranzutreiben. „Die Freiwilligen investieren ihre private Zeit nach Feierabend oder samstags“, hebt Körner hervor.
Aktiv Wahrgenommen
Gemeinsam hat die Gruppe einen Kriterienkatalog entwickelt. Anhand des Katalogs nimmt das Team Einrichtungen wie Büchereien, Restaurants, Cafés oder Geschäfte unter die Lupe. Die Barrierefreiheit nimmt etwa ein Drittel der Kriterien ein. Die Experten legen auch wert darauf, ob die Mitarbeiter freundlich sind oder Informationen und Hinweise in leichter Sprache verfügbar sind. „Den Menschen mit Behinderung ist am wichtigsten, dass ihnen Verständnis entgegenbracht wird und sie aktiv wahrgenommen werden“, sagt die Projektkoordinatorin.
Test im laufenden Betrieb
Die Planungsphase des Inklusionsprojekts ist abgeschlossen, nun geht es an die Umsetzungsphase. Bei einem Besuch der Experten halten diese zunächst Augen und Ohren offen und prüfen, ob die jeweiligen Kriterien erfüllt werden – oder eben nicht. „Man merkt schnell im konkreten Fall, was passt oder nicht passt“, bestätigt Körner. Beim Testfall im Öhringer Hallenbad stellten die Fachleute unter anderem fest, dass es zwar eine Rollstuhldusche gibt, diese aber nicht ausreichend ausgeschildert ist.
Die Bewertungen finden im laufenden Betrieb statt. So können die Experten auch in den Kontakt mit Mitarbeitern und Kundenberatern kommen. Direkt nach der Bewertung folgt das Feedback. „Wir geben unmittelbar zurück, was gut läuft und sprechen Punkte an, die uns aufgefallen sind“, erläutert die Projektleiterin. Konnte eine Einrichtung viele Punkte des Kriterienkatalogs bereits erfüllen, winkt eine Urkunde mit der Auszeichnung als „Wegweiser der Inklusion“.
Politisches Gewicht
„Es wäre toll, wenn das Expertenteam politisches Gewicht bekommen würde und in Gremien der Stadtpolitik eingebunden wäre“, wünscht sich OH-Teamleiter Sven Schäfter. Das sei die Spur, die man mit dem Projekt legen wolle. Das ist auch die Verbindung zur Philosophie der Stiftungsarbeit. „Es gibt viele Bereiche, in denen die Menschen mit Handicap eine Bereicherung sind“, meint Schäfter.
Alexander Liedtke
Evangelische Stiftung Lichtenstern
Die Offenen Hilfen Öhringen bieten Wohnmöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung. Zudem gibt es zahlreiche Freizeitangebote für die Zeit nach der Arbeit und der Schule sowie an den Wochenenden. Die Offenen Hilfen sind ein Angebot der Evangelischen Stiftung Lichtenstern, die sich mit über 740 Mitarbeitern und mehr als 300 Ehrenamtlichen von Eppingen über Heilbronn bis nach Künzelsau für Menschen mit Behinderung einsetzt. Inklusion ist wesentliches Leitprinzip der Stiftungsarbeit – und zwar mit einem Inklusionsverständnis, bei dem es nicht nur um Teilhabe und Mitmachen, sondern um Teilsein und Mitgestalten