Auf der Referenzbaustelle in Aachen wird derzeit erforscht, wie sich das Bauen 4.0 gestalten könnte. Leonhard Weiss gehört zu den Hauptförderern des Projekts. Auch „Internet of Construction“ (IoC) ist dabei ein wichtiges Thema.
Durchgängige digitale Prozessketten sind in den meisten Industriezweigen längst Standard. Auch die Baubranche arbeitet daran, endlich nachzuziehen. Diverse Verbundprojekte, an denen Universitäten und Partner aus der Industrie teilnehmen, sollen dabei helfen, herauszufinden, wie die „Baustelle der Zukunft“ konkret aussehen könnte. Zu diesem Zweck wurde die Referenzbaustelle des Center Construction Robotics (CCR) auf dem Campus West der RWTH Aachen University, der größten Technikuniversität der Bundesrepublik, vor fast genau einem Jahr eingerichtet.
Unter Realbedingungen werden hier neue Bauprodukte und -prozesse, vernetzte Maschinen, Roboter, Softwarelösungen, Lehr-, Arbeits- und Kommunikationskonzepte erprobt. „Wir entwickeln nicht nur Schlüsseltechnologien im indirekten Planungsprozess, sondern denken das Gesamtkonstrukt Baustelle als wesentlicher Teil des Bauwesens neu“, stellt Professorin Sigrid Brell-Cokcan den Forschungsansatz heraus.
Neben Firmen wie Porr, Liebherr, Kuka, Autodesk, Hilti, Eiffage oder Xella gehört das Satteldorfer Bauunternehmen Leonhard Weiss zu den Hauptförderern des Projekts. „Neue Ideen können nicht immer direkt in unserem Baustellenalltag getestet werden. Mit dem Campus West haben wir einen Ort, an dem wir gemeinsam mit Partnern Technologien und Lösungsansätze testen können, ohne dass produktive Bauabläufe gestört werden“, erklärt Simeon Eichmann, der bei Leonhard Weiss den Bereich Business Development verantwortet und die Mitwirkung des Unternehmens beim CCR mitinitiiert hat. Vor allem digitale Ansätze könnten so zielgerichtet erprobt werden. Die Pandemie mache sich zwar auch auf der Versuchsbaustelle bemerkbar. In der Theorie habe sich jedoch schon einiges bewegt: Seit dem Start seien Eichmann zufolge vier Treffen der Verbundpartner zustande gekommen, eines davon am Leonhard Weiss-Standort Langen, bei dem die Teilnehmer aktiv neue Lösungen erarbeitetet hätten.
ALLEINE KAUM MÖGLICH
„Die Referenzbaustelle ermöglicht, dass die unterschiedlichen Akteure mit ihren unterschiedlichen Blickwinkeln auf das Bauen zusammenfinden, um Ideen ganzheitlich zu diskutieren. Das ist sehr wertvoll“, meint Eichmann. Da viele der Forschungsergebnisse in den Unternehmen der jeweiligen Partner weitergedacht würden, sei das ein Mehrwert, der im Alleingang kaum möglich sei. „Zeigt sich beispielsweise eine Idee, ein Projekt auf der Referenzbaustelle als sinnvoll und nutzbringend, erproben wir diese auf einer geeigneten Testbaustelle weiter“, er- läutert Eichmann. „Beweist sich die Idee unter realen Baubedingungen und sehen wir, dass sie einen Mehrwert mit sich bringt, wird die Erkenntnis für relevante Alltagsarbeiten ausgerollt.“ Konkrete Ansätze gebe es vor allem schon in den Bereichen Automatisierung und Logistik. Um was es sich dabei genau handelt, will Eichmann jedoch noch nicht verraten.
Neben der Teilnahme an der Referenzbaustelle, ist Leonhard Weiss bei einem weiteren Projekt im Rahmen des CCR beteiligt: Was in der Industrie das sogenannte „Internet of Things“ (IoT) auf dem Weg zur Smart Factory richten soll, ist in der Braubranche das „Internet of Construction“ (IoC). Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 3,2 Millionen Euro unterstützte Forschungsprojekt soll die zentrale Fragestellung nach dem digitalen Wandel klären. Anders als in der Industrie arbeite im Bauwesen häufig eine Vielzahl an Unternehmen an einem Projekt. Eines der größten Probleme seien laut Leonhard Weiss daher Informationsbrüche beim Weiterleiten von Daten zwischen diesen Beteiligten. Das wirke sich unmittelbar auf die Baustellen aus: Informationen bleiben liegen, müssen manuell erfasst werden oder es entstehen Fehler bei der Weitergabe, weiß Eichmann. Als Konsequenz drohen Zeitverzögerungen, Baumängel und Kostenüberschreitungen. Ziel der Projektpartner beim IoC sei es deshalb, effektive Lösungen gegen die vorhandenen Kommunikationsmängel zu finden, beispielsweise mit der Erstellung eines Referenzarchitekturmodells für die unternehmensübergreifende Kooperation im Bauwesen. Auch die BIM-Systematik solle erweitert werden, um die Informationsflüsse zwischen Gebäudeplanung, Vorfertigung von Modulen und Bauausführung zu verbessern. „Das Bauen der Zukunft beschäftigt uns als innovatives Unternehmen täglich“, sagt Eichmann. Auch wenn die Transformation der Branche noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde, seien mit den unterschiedlichen Forschungsprojekten die ersten konkreten Weichen gestellt.
Melanie Boujenoui
Info
Mit 2,4 Millionen Beschäftigten und und knapp 400 Milliarden Euro an nominalem Bauvolumen ist das Baugewerbe laut Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ein bedeutsamer Wirtschaftszweig der deutschen Volkswirtschaft. Das Bauhauptgewerbe wird von Kleinbetrieben dominiert: Fast 90 Prozent der Betriebe haben weniger als 20 Beschäftigte und erwirtschaften etwa 30 Prozent des Umsatzes.