Der Corona-Impfstoff ist da: Das erhoffte Ziel ist nun die künstlich erzeugte Herdenimmunität. Impfexpertin Kathrin Brehmer, Oberärztin in der Inneren Medizin am Diakonie-Klinikum Schwäbisch Hall, fasst im Gespräch mit PRO Magazin einige Fakten zum Thema zusammen.
Seit vier Wochen wird in Deutschland, und auch in unserer Region, geimpft. Bringt das nun endlich die erhoffte Entspannung in die Lage?
Dr. med. Kathrin Brehmer: Um das zu beantworten, ist es im Grunde noch zu früh, denn vier Wochen reichen noch nicht aus, um einen tatsächlichen epidemiologischen Effekt zu erkennen. Ich denke aber, dass sich die Impfung längerfristig positiv auswirken wird. Dafür sollten sich am besten möglichst viele Menschen unter Beachtung der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission, kurz Stiko, impfen lassen. Allerdings ist es alleine mit der Impfung nicht getan. Auch die anderen Maßnahmen wie Maske tragen, Abstand halten, Handhygiene, regelmäßig Lüften und so weiter müssen natürlich fortgesetzt werden, zumal zum jetzigen Zeitpunkt noch ungeklärt ist, ob geimpfte Personen das Virus, ohne selbst daran zu erkranken, trotzdem an andere weitergeben können.
Was empfiehlt die Stiko kurz zusammengefasst?
Brehmer: Da zunächst nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen wird, hat die Stiko eine Priorisierungsempfehlung erarbeitet, nach der besonders gefährdete Personen als erste Zugang zu den Impfungen erhalten. Das sind insbesondere Menschen über 80 Jahre, Bewohner von Senioren- oder Pflegeheimen, Personen, die beruflich eng mit Risikogruppen in Kontakt kommen und das Personal von medizinischen Einrichtungen, die engen Umgang mit COVID19-Patienten haben. Sind diese Personen geimpft, soll dann stufenweise weiteren Anteilen der Bevölkerung der Zugang zu Impfungen möglich gemacht werden.
Sollte sich dann jeder Erwachsene impfen lassen?
Brehmer: Ja, im Grunde schon. Das Ziel der Impfung ist zunächst einmal der individuelle Schutz jedes Einzelnen sowie das Erreichen einer Herdenimmunität. Eine Herdenimmunität ist bei einer Durchseuchungs- oder Impfquote von 60 bis 70 % der Bevölkerung zu erwarten.
Wie läuft das Impfverfahren ab?
Brehmer: Derzeit sind die Impfstoffe von BioNTech und Moderna zugelassen. Beides sind so genannte mRNA-Impfstoffe. Dabei enthält der Impfstoff Genabschnitte des Virus, die nach der Impfung dazu führen, dass in Körperzellen vorübergehend Proteine gebildet werden. Diese führen zu einer Immunantwort durch Bildung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 und einer zellulären Abwehr. Um einen ausreichenden Impfschutz zu erreichen sind zwei Impfungen notwendig. Dabei variiert der Abstand zwischen den beiden Impfterminen je nach verwendetem Impfstoff zwischen 21 und 28 Tagen. Die 2. Impfung sollte spätestens nach 42 Tagen erfolgen. Es sollte darauf geachtet werden, dass jedes Mal der gleiche Impfstoff verwendet wird. Der Impfstoff von BioNTech/Pfizer ist ab dem 16., der von Moderna ab dem 18. Lebensjahr zugelassen.
Manche Menschen haben Angst vor dem Attribut „genbasiert“. Was entgegnen Sie diesen?
Brehmer: Wichtig ist hier eine gute Aufklärung über die Impfung, um den Menschen ihre Angst vor der Impfung zu nehmen. RNA ist nicht DNA: Die Impfstoffe nutzen zwar genetische Virusinformationen, um körpereigene Zellen zur Immunantwort anzuregen, sie greifen aber nicht ins menschliche Erbgut ein. Die Sicherheit der neuen Impfstoffe sind aufgrund von Studienergebnisse der Hersteller von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) überprüft worden.
Wie hoch ist der Impfschutz und wie lange hält er an?
Brehmer: Je nach Impfstoff wird der Impfschutz 7 (BioNTech) bis 14 Tage (Moderna) nach der zweiten Impfung erreicht: Mit Erreichen des Impfschutzes wird das Risiko an Covid-19 zu erkranken um 95 % (BioNTech) beziehungsweise 94 % (Moderna) reduziert im Vergleich zu ungeimpften Personen. Wie lange der Impfschutz andauert ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannt.
Wirken diese auch gegen die Mutationen der Viren?
Brehmer: Die Hersteller BioNTech und Moderna gehen davon aus, dass der Impfstoff auch gegen die aktuell bekannten Mutationen wirksam ist. Dies wird zurzeit in Studien untersucht.
Menschen, die eine Impfung bekommen haben, berichteten den Medien gegenüber von starken Nebenwirkungen wie schweren Kopfschmerzen oder Fieber. Wie hoch schätzen Sie das Risiko der neuartigen Vakzine ein?
Brehmer: Erste Erfahrungen zeigen, dass es gerade nach der zweiten Impfung zu grippeartigen Symptomen kommen kann, die in der Regel nach ein bis zwei Tagen abklingen. Laut Paul-Ehrlich-Institut hat es in Deutschland bis zum 17. Januar bei 1,1 Millionen Impfungen 645 Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gegeben. Das bedeutet: Bei 1000 Impfungen gab es in 0,57 Fällen Komplikationen. Am Ende ist es jedem selbst überlassen, anhand dieser Fakten Nutzen und Risiko abzuwägen.
Wie sollte man die Impfentscheidung abwägen, was raten Sie?
Brehmer: Die Frage, was eine COVID19-Erkrankung für einen selbst bedeuten kann, ist wichtig. Dabei sollte man neben dem individuellen Risiko im Krankheitsverlauf auch die potentiellen Spätfolgen nicht außer Acht lassen. Nur mit einer ausreichenden Aufklärung über die Impfung und mit Blick auf das persönlichen Impfrisiko, ist eine ausgewogene Abwägung möglich.
Interview von Melanie Boujenoui