Die Heilbronner Stimme wird 75. Zeit für eine Bestandsaufnahme. Geschäftsführer Tilmann Distelbarth über die Rolle regionaler Medien, die Vorteile von Familienunternehmen und den Job als Verleger.
Herr Distelbarth, ist Verleger ein Traumjob?
Tilmann Distelbarth: Wenn Traumjob bedeutet, dass man viel Freizeit hat und den ganzen Tag am Strand liegen kann, dann ist Verleger kein Traumjob. Wenn man aber sieht, dass man als Verleger spannende Aufgaben mit riesiger Themenvielfalt bewältigt, mit hoher gesellschaftlicher Verantwortung und mit großen Herausforderungen in Zeiten der digitalen Transformation, dann ist der Begriff schon richtig.
Die Heilbronner Stimme ist ein Familienunternehmen. Wie relevant ist das für den Erfolg des Unternehmens?
Distelbarth: Unser ehemaliger Beiratsvorsitzender Professor Norbert Loos hat den Satz geprägt, dass ein Familienunternehmen die besten Voraussetzung hat, richtig erfolgreich zu sein, aber auch dafür, richtig zu scheitern. Wenn es Streit in der Familie gibt, wird Zeit, Geld und Energie verschwendet. Bei uns war das dankenswerterweise nie der Fall. Die Familie hat ihr Vertrauen automatisch von meinem Vater auf mich übertragen.
War es denn immer einfach im Familienunternehmen?
Distelbarth: Am Anfang konnte ich noch nicht auf einem eigenen Erfahrungsschatz aufbauen, andererseits an Aufgaben ungezwungen herangehen. Wenn ich ein Thema zu klären hatte, konnte ich damit auch immer zu meinem Vater Frank Distelbarth gehen. Er war aber kein Überchef, der ständig mitsprechen wollte, was bei vielen Generationswechseln das Problem ist.
Inzwischen sind Sie seit fast 25 Jahren im Dienst. Wann ist ein Geschäftsjahr für Sie erfolgreich?
Distelbarth: Wenn wir Bausteine gelegt haben, die den Erfolg für die Zukunft sichern können. Ein Familienunternehmen kann hier nachhaltiger agieren und seiner sozialen Verantwortung oft besser gerecht werden als ein börsennotierter Konzern, der auf die Quartalszahlen schielen muss. Dabei ist es heute wichtiger als vor 25 Jahren, dass wir uns breit aufstellen, um das Unternehmen abzusichern.
Thema Nachhaltigkeit. Tageszeitungen verzeichnen aktuell Auflagenzuwächse. Sind sie doch ein Zukunftsmodell?
Distelbarth: Die gedruckte Zeitung hat mindestens für die nächsten 20 Jahre ihre Existenzberechtigung. Aber letztendlich bauen wir unsere Zukunft mit der nächsten Generation. Und die wächst nicht mit der gedruckten Tageszeitung auf und auch nicht mit einer Zeitungslogik mit Rubriken oder Ressorts. Diese Generation will News, gerade auch regionale News. Die können wir liefern.
Die Rolle des unabhängigen Journalismus hat sich aber doch gerade wieder neu manifestiert?
Distelbarth: Es gibt eine Rückbesinnung darauf, was wirklich relevante Informationen sind und aus welchen Quellen sie stammen. Ein Stück weit also eine Gegenbewegung zu dem, was als ungesicherte Information und unreflektierte Meinung über Social Media verbreitet wird. Hier als Gegenpol zu wirken und die Dinge einzuordnen, ist eine immens wichtige Aufgabe im demokratischen Meinungsbildungsprozess. Das klappt in der digitalen Zeit fast noch besser als in der alten Print-Welt, weil wir nicht mehr begrenzt sind auf Verbreitungsgebiet, Redaktionsschluss oder Zeilenanzahl und das Feedback der Leser digital viel besser einbauen können.
Findet Meinungstausch nicht längst nur digital statt?
Distelbarth: Die gedruckte Zeitung wird in Coronazeiten wieder viel stärker genutzt als Plattform für den Meinungstausch. Wir werden regelrecht überflutet von Leserbriefen. Diese sind manchmal heftig in ihren Argumenten und den entsprechenden Weltbildern, aber letztendlich sind sie Teil dessen, was den Diskurs macht. Er muss offen ausgetragen werden, offen auch für die Argumente des jeweils anderen.
Um beim Thema Corona und Diskurs zu bleiben: Welche Rolle spielen die Medien hier? Wird manches hochgekocht?
Distelbarth: Selbst ein gnädiges Licht kann manchmal schonungslos erhellend sein. Es ist aber nicht der Weg eines regionalen Medienunternehmens, Sensationsjournalismus zu betreiben. Es geht um seriöse Einordnung und darum, Perspektiven aufzuzeigen. Die Anfänge der Stimme liegen in der Nachkriegszeit, die geprägt war von Zerstörung und Hoffnungslosigkeit. Ich kenne diese Zeit aus Erzählungen und Briefen meines Großvaters, auch wenn sie natürlich nicht mit der Corona-Pandemie zu vergleichen ist. Aber es zeigt sich in diesen Briefen ein enormer Gründergeist. Mit Mut, Unermüdlichkeit und Leidenschaft haben die Gründer damals nach vorne geblickt. Die Menschheit hat sich nicht deswegen entwickelt, weil die Pessimisten das Sagen hatten. Es waren diejenigen, die nach vorne geblickt haben. Und das sollten auch Medien und Medienunternehmen tun.
Wie war das früher? Waren die Diskussionen nicht ebenso heftig?
Distelbarth: In den 70er Jahren etwa war die politische Kraft der Auseinandersetzung mindestens genauso groß, wie wenn es heute um die Öffnungsstrategien in der Pandemie geht. Es war damals ein großes Thema für die Zeitung, wie sie den Veränderungen der Gesellschaft in der Nach-68er-Phase begegnen soll.
Wenn Sie die heutige Situation der Heilbronner Stimme mit einem Schlagwort beschreiben müssten, welches wäre das?
Distelbarth: Digitale Transformation. Veränderung der Mediennutzung. Und nicht zuletzt Strukturwandel im Einzelhandel. Auch ohne den Corona-Effekt wird sich in den Innenstädten einiges verändern. Diese Entwicklung hat lange vor Corona begonnen. Dabei sitzen wir mit Einzelhandel und Gastronomie in einem Boot, da deren Werbevolumen wegbricht. Wir müssen diese Unternehmen unterstützen und nicht nur die großen, überregionalen Kunden im Blick haben. Klar ist aber auch, dass wir ein großes Werbevolumen schon seit vielen Jahren mit Ketten, Filialisten und großen Lebensmittelhändlern erzielen.
Die Party zum 75jährigen Jubiläum muss pandemiebedingt ausfallen. Wie wird der 100. Geburtstag ablaufen?
Distelbarth: Zum einen gehe ich davon aus, dass es ein 100jähriges Jubiläum geben wird. Das ist eine wichtige Botschaft. Ich bin jetzt 23 Jahre dabei. Was sich seither verändert hat, ist immens. In den vergangenen fünf Jahren hat die Geschwindigkeit weiter zugenommen. Deswegen ist es ungemein schwierig zu sagen, wo genau wir 2046 stehen. Der Kern wird aber auch dann noch die lokale und regionale Relevanz sein, sowohl im publizistischen Sinne als auch in den Kontakten zu den Geschäftskunden. Zur Feier selbst: Gerne würde ich dann, knapp 80jährig, eine richtig große Fete machen, als Ausgleich dafür, dass es dieses Jahr mit der großen Feier nichts wird.
Dann ohne gedruckte Zeitung?
Distelbarth: Kann sein, vielleicht aber auch weiterhin gedruckt, nur in veränderter Frequenz. Möglicherweise ist dann nicht mehr die Aktualität ausschlaggebend, sondern noch stärker das Einordnende. Die Aktualität hat auch heute schon Online übernommen.
Zurück zum Traumjob: Wie endet für Sie der perfekte Arbeitstag?
Distelbarth: Viele sagen, zum Einschlafen solle man abends ein gutes Buch lesen. Aber für mich endet der Tag, wie er beginnt – mit der aktuellen Nachrichtenlage.
Interview: Beate Semmler