„Wir sehen uns als Partner der Unternehmen“

Neckarsulm ist ein Wirtschafts-Hotspot in Heilbronn-Franken. Wie die Stadt die ansässigen Unternehmen fördern und die Verkehrs­probleme lösen will, verrät OB Steffen Hertwig im Interview.

Neckarsulm beheimatet einige der größten Arbeitgeber der Region. Was macht den Standort attraktiv?

Steffen Hertwig: Da spielen ganz sicher verschiedene Faktoren eine Rolle. Wir agieren als Verwaltung wirtschafts- und unternehmensfreundlich und haben ein investitionsfreundliches Klima in der Stadt. Wir sehen uns als Partner der Unternehmen und pflegen gute persönliche Kontakte. So können wir erfahren, wo es gerade klemmt. Zu unserem städtischen Service gehört auch, dass wir für die bestehenden Unternehmen Erweiterungsflächen schaffen und sichern. Darüber hinaus ist Neckarsulm als Stadt attraktiv. In den Unternehmen arbeiten viele Menschen, und unsere städtische Infrastruktur genügt sicherlich höchsten Ansprüchen in punkto Kinderbetreuung, Bildung und Kultur. Auch die finanziellen Rahmenbedingungen sind sehr attraktiv. Unser Gewerbesteuerhebesatz liegt aktuell bei 320 Punkten. Sofern der Gemeinderat zustimmt, werden wir zum 1. Januar 2020 um 20 Punkte erhöhen. Auch mit 340 Punkten liegen wir immer noch weit unter dem Schnitt hier im Landkreis.

Es gibt Firmen, denen der Platz in Neckarsulm offenbar nicht mehr ausreicht. Beunruhigt es Sie, dass beispielsweise die Lidl-Zentrale abwandert?

Hertwig: Die Schwarz-Gruppe hat im Hinblick auf die Lidl-Deutschland-Zentrale die Entscheidung getroffen, nach Bad Wimpfen zu gehen. Auch der Schwarz-Projekt-Campus wird in Bad Friedrichshall gebaut, nicht in Neckarsulm. Für Projekte dieser Größenordnung haben wir einfach nicht die Fläche. Neckarsulm ist eng bebaut, hat eine relativ kleine Gemarkungsfläche, und wir stoßen da ganz klar an unsere Grenzen. Klar ist aber auch, dass wir für die Unternehmen dennoch kleinere Erweiterungsflächen schaffen. Das können wir nach wie vor bieten. Mir ist vor allem wichtig, dass die Unternehmen in der Region bleiben. Das ist für alle gut – für die Arbeitsplätze, für die Steuereinnahmen, für die finanzielle Situation der Firmen. Wir werden aus dem Umzug von Lidl Deutschland nach Bad Wimpfen keinen finanziellen Nachteil erleiden. Die Schwarz-Gruppe investiert trotzdem weiter massiv hier am Standort in Neckarsulm, sei es im Trendpark oder im Rötel.

Wo gibt es noch Wachstumspotenzial bei den Gewerbeflächen?

Hertwig: Gemäß unserem Flächennutzungsplan haben wir noch rund 13 Hektar, die wir als Gewerbeflächen ausweisen können. Erweiterungspotenziale gibt es im Linken Tal an der Binswanger Straße und auch im Gewerbegebiet Trendpark Süd, wo Bechtle ansässig ist. Perspektivisch könnte es sogar interkommunale Gewerbeflächen mit Erlenbach geben. Das wäre theoretisch von der Regionalplanung her möglich, aber wir müssen auch realistisch feststellen, dass das nicht denkbar ist, bevor die Verkehrsprobleme gelöst sind. Das würde die bestehende Verkehrsinfrastruktur sonst überfordern.

Wie fördern Sie die Gründung von Start-ups oder Ansiedlung neuer Unternehmen?

Hertwig: Wir fördern die Ansiedlung neuer Unternehmen nicht gezielt. Wir haben nicht die Flächen, um viele neue Unternehmen anzusiedeln. Wir legen unser Augenmerk darauf, die bestehenden Firmen hier zu halten und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Wir haben hier viele hundert Unternehmen, da gibt es natürlich auch Innovationsbereiche hier vor Ort. Verglichen mit Heilbronn, mit dem Zukunftspark Wohlgelegen und der Nähe zur Hochschule, haben wir nicht diese klare Start-up-Kultur. Wir sehen mit wohlwollendem Blick, was in Heilbronn geschieht und sind auch überzeugt, dass die gesamte Region davon profitieren wird.

Die Verkehrsbelastung ist unter anderem durch die Pendlerströme sehr hoch, denn Neckarsulm hat mehr Arbeitsplätze als Einwohner. Welche Konzepte gibt es, um hier Abhilfe zu schaffen?

Hertwig: Es gibt mehrere Konzepte. Das bekannteste ist sicherlich der Mobilitätspakt für den Wirtschaftsraum Heilbronn-Neckarsulm, den wir 2017 unter Federführung des Landes Baden-Württemberg geschlossen haben. Auch Partner aus der Industrie wie Audi und die Schwarz-Gruppe gehören zu den Unterzeichnern. Wir versuchen gemeinsam, intermodale Lösungsansätze zu verfolgen. Dazu gehört, den ÖPNV auszubauen und den Radverkehr zu stärken. Wir bekommen einen der landesweit ersten Radschnellwege, und es gibt ein betriebliches Mobilitätsmanagement, bei dem wir die Unternehmen und ihre Mitarbeiter motivieren wollen, sich auch mal zu zweit in ein Auto zu setzen. Wahr ist auch, dass wir die Straßeninfrastruktur ausbauen wollen, ja ausbauen müssen. Das ist eine ganz aktuelle Diskussion. Die Verkehrsinfrastruktur hat mit dem Wachstum, das hier bei den Unternehmen in den letzten zehn, fünfzehn Jahren stattgefunden hat, nicht annähernd Schritt gehalten. Das merken wir einfach auf unseren Straßen. Der Ausbau der A6 ist eine gute und wichtige Maßnahme. Auch der vierspurige Ausbau der B27 gehört dazu, ebenso der Anschluss der B 27 an die Binswanger Straße. Wir sind hier sehr aktiv, sind aber auch auf die Bereitschaft der Menschen angewiesen, ihr eigenes Verkehrsverhalten zu hinterfragen und da, wo es sinnvoll möglich ist, zu ändern. Wenn sich jeder immer alleine in sein Auto setzt, dann werden wir die Verkehrsprobleme nicht in den Griff bekommen. Dann werden die Probleme weiter zunehmen, weil wir weiteres Wachstum hier in der Region erleben werden, alleine durch die Ansiedlung des Projekt-Campus und verstärkten Logistikverkehr. Wir kennen ja auch alle unser Bestellverhalten im Internet. Daher können wir keine Entspannung erwarten, sondern müssen mit weiter steigenden Verkehrszahlen rechnen. Dann liegt es an jedem Einzelnen, sich zu fragen: Kann ich auch etwas dazu beitragen, dass sich die Situation nicht weiter verschlechtert? Neben dem regionalen Mobilitätspakt haben wir auch ein städtisches Mobilitätskonzept mit ähnlichen Bausteinen, um die Verkehrssituation innerhalb der Stadt zu verbessern. Wir haben einen Radrouten-Check veranstaltet und sind mit Bürgern bestimmte Strecken abgefahren, um herauszufinden, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Neckarsulm hat keine besonders große Tradition im Ausbau und Betrieb von Radwegen. Das wollen wir ändern. Analog dazu gab es auch einen Fußverkehrs-Check, weil wir auch das Zufußgehen innerhalb des Stadtgebiets fördern wollen.

Wo wird der Radschnellweg entstehen?

Hertwig: Er wird zwischen Heilbronn und Bad Wimpfen entstehen und zwischen Obereisesheim und Neckarsulm verlaufen, mit einer eigenen Brücke für Fahrräder über den Neckarkanal, damit die Engstelle an der Wehrbrücke, wo es immer wieder zu Stauungen kommt, umgangen wird. Der Radschnellweg wird mindestens vier Meter breit sein und soll das schnelle Radfahren ermöglichen, damit die Radfahrer größere Distanzen zurücklegen können. Wir sind sehr stolz darauf, dass dieses Projekt hier umgesetzt wird. Aufgabe aller Anrainerkommunen, also Bad Wimpfen, Untereisesheim, Neckarsulm und Heilbronn, wird es sein, eine Gemeindeinfrastruktur zu schaffen, um die Anbindungen an diesen Radschnellweg sicherzustellen. Dabei geht es darum, die Radwege so zu führen, dass eine einfache und schnelle Anbindung in unsere Industriegebiete möglich ist und die Leute sich nicht zwischen Autos hindurchschlängeln müssen, sondern sicher fahren können.

Versprechen Sie sich davon eine Reduzierung des Autoverkehrs unter den Pendlern?

Hertwig: Absolut. Das ist bereits wahrnehmbar. Radfahren ist wieder sehr in Mode gekommen, nicht nur als Sport, sondern als normales Fortbewegungsmittel. Wenn Autos von Obereisesheim kommend an der Wehrbrücke im Stau stehen, fahren die Fahrradfahrer einfach vorbei. Das ist bestimmt auch ein wenig wetterabhängig, aber der Radverkehr ist grundsätzlich ein Baustein einer guten und nachhaltigen Mobilität.

Eine Entlastung von Pendlerströmen könnte auch durch eine stärkere Ansiedlung von Menschen in Neckarsulm erzielt werden. Wie beurteilen Sie die Lage auf dem Wohnungsmarkt?

Hertwig:Was die Einwohnerzahl in Neckarsulm betrifft, gibt es eine klare Entscheidung der Bürgerschaft im Zusammenhang mit dem Stadtentwicklungskonzept 2030. Die Bevölkerung hat entschieden, dass sie den Status quo an Einwohnern sichern, aber kein großes Wachstum will. Das ist eine Grundsatzentscheidung und hat auch mit der Fläche zu tun, die zur Verfügung steht. Wir werden trotzdem Wachstum erleben, durch Zuwanderung, gestiegene Geburtenraten und dergleichen. Das werden wir durch den Ausbau der Infrastruktur begleiten, etwa durch neue Kitas, die gebaut werden müssen. Die Lage am Wohnungsmarkt ist aktuell angespannt, genauso wie in der gesamten Region. Viele Menschen möchten nach Neckarsulm ziehen, weil es eine attraktive Stadt ist. Diese hohe Nachfrage können wir nicht erfüllen, das ist so. Wir können aber auch nicht so schnell neuen Wohnraum schaffen, wie er derzeit nachgefragt ist. Man muss auch bedenken, dass man vor einigen Jahren hier noch von einer Verringerung der Einwohnerzahlen ausgegangen ist. Mittlerweile ist das Gegenteil eingetreten. Nichtsdestotrotz wird neuer Wohnraum geschaffen. Wir haben das Baugebiet in Obereisesheim, wir haben Nachverdichtungsprojekte hier in der Kernstadt, und auch in Amorbach wird neuer Wohnraum entstehen. Es gibt darüber hinaus viele private Initiativen. Wir versuchen nicht nur, neuen Wohnraum zu schaffen, sondern auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu sichern. In Zusammenarbeit mit der Heimstättengemeinschaft Neckarsulm/Heilbronn ist es jetzt zum Beispiel in Amorbach gelungen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Im Neubaugebiet in Obereisesheim wird es auch ein Mehrfamilienhaus mit bezahlbarem Wohnraum geben. Bei allen neuen Projekten soll es einen gewissen Anteil an bezahlbarem Wohnraum verpflichtend geben. Unser Hauptaugenmerk ist aber auch darauf gerichtet, bestehenden Wohnraum bezahlbar zu halten. Wir haben rund 220 städtische Wohnungen, die im Schnitt sechseinhalb Euro pro Quadratmeter kosten. Das ist absolut bezahlbar im Vergleich zu anderen Mieten. Wir haben in der Stadt viele Wohnungen, die in der Mietpreisbindung sind. Die Bezahlbarkeit zu wahren und die Wohnungen immer wieder angemessen zu ertüchtigen, ist eine große Aufgabe. Mit dem großen Anteil an städtischen Wohnungen tragen wir sicherlich dazu bei, dass das Wohnen in Neckarsulm auch bei weniger gut situierten Bevölkerungskreisen weiterhin möglich ist.

Baulich grenzt Neckarsulm nahtlos an Heilbronn. Wie sind die nachbarschaftlichen Beziehungen?

Hertwig: Die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Neckarsulm und Heilbronn sind eng. Es gibt einen gesunden Wettbewerb, der aber nicht nur zwischen Neckarsulm und Heilbronn herrscht, sondern auch zwischen allen anderen Kommunen. Aber ich bezeichne ihn ganz bewusst als gesund, weil alle genau wissen, dass wir eng miteinander verbunden sind. Es ist wichtig zusammenzuarbeiten. Es gibt auch konkrete Projekte, beispielsweise im Mobilitätspakt, beim betrieblichen Mobilitätsmanagement. Unsere Koordinierungsbeauftragten in beiden Städten arbeiten eng zusammen. Es gibt viele Beispiele, etwa die Kooperationen zwischen der Mediathek Neckarsulm und der Stadtbibliothek Heilbronn im Veranstaltungsbereich und bei der Onleihe Heilbronn-Franken. Beide Kommunen arbeiten gut zusammen. Die Verwaltungsspitzen verstehen sich ohnehin sehr gut.

Profitiert Neckarsulm von der Bundesgartenschau in Heilbronn?

Hertwig: Absolut. Ich glaube, so wie die gesamte Region und die Stadt Heilbronn von der BUGA profitieren, so gilt das auch für Neckarsulm. Das ist auch ein Grund, warum wir uns dort stark engagieren. Wir sind nicht nur im Landkreispavillon vertreten, sondern haben einen eigenen Auftritt unseres Deutschen Zweirad- und NSU-Museums, der viel beachtet wird. Da gibt es Spitzenbesuchstage, an denen bis zu dreieinhalbtausend Menschen nur unseren Sonderausstellungsbereich besuchen. Das freut uns sehr, und es bringt natürlich auch die Stadt weiter und macht sie bekannter.

Merken Sie es auch an den Übernachtungszahlen?

Hertwig: Unsere Hotels, das bekannte Nestor oder das neue Welcome Hotel am Bahnhof sind sehr gut frequentiert, soweit ich weiß. Derzeit können sich die Beherbergungsbetriebe sicher nicht beschweren. Auch die städtischen Museen und Einrichtungen profitieren, beispielsweise durch das Zwei-Tages-Ticket für die BUGA, mit dem man kostenlosen Eintritt in unser Zweiradmuseum erhält. Was die direkten Effekte für uns und umliegende Kommunen betrifft, muss man das aber auch realistisch sehen. Der Großteil der BUGA-Besucher will hauptsächlich die Gartenschau sehen und besucht vielleicht noch die Experimenta oder die Heilbronner Innenstadt. Die Gäste nehmen aber auch wahr, wie toll der Landkreis ist und kommen gegebenenfalls wieder. Ich glaube, das ist vergleichbar mit anderen Bundesgartenschauen, dass sich die Effekte in den Folgejahren einstellen.

Haben sie eine Herzensangelegenheit, die Sie in den kommen Jahren in Neckarsulm umsetzen möchten?

Hertwig: Es gibt kein Großprojekt, falls Sie das meinen. Mir geht es darum, dass wir die Finanzen im Lot behalten. Wir haben unseren Haushalt in den letzten Jahren stabilisiert, aber wir verfügen über eine große Infrastruktur, die viel Geld kostet. Es ist erforderlich, unsere Strukturen so anzupassen, dass wir sie uns dauerhaft leisten können. Ich möchte einfach, dass die Neckarsulmer weiterhin stolz auf ihre Stadt sind. In dieser Stadt ist viel erreicht worden, und das wollen wir bewahren. Wir sind in einer sich verändernden Situation durch die Digitalisierung und viele weitere Themen. Es geht darum, Neckarsulm zukunftsfähig zu machen. Das ist mein größtes Herzensanliegen.

Interview: Dirk Täuber