Wirklich gleichberechtigt?

Simone Menne hat es als erste Frau auf den Posten des Finanzvorstandes eines Dax-Konzern geschafft. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit als Frau in vier Aufsichtsräten und darüber, wie ihre Erziehung sie geprägt und vorangebracht hat.

Autos fahren eigenständig durch die Straßen, Computer produzieren Texte und Musikstücke, die das Publikum begeistern, Roboter bauen nicht nur Maschinen zusammen, sondern bedienen sie auch. Sind Sie sich sicher, dass der Mensch sich nicht selbst abschafft?

Simone Menne: Ich mache mir keine Sorgen, dass der Mensch sich abschafft. Kreativität und Sensibilität im Sinne des gemeinsamen Schaffens sind nicht kopierbar und mit Algorithmen einfach zu codieren.

Wie stellen Sie sich die Arbeitswelt der Zukunft vor? Was wird sich ändern? Worauf müssen sich Unternehmen und ihre Mitarbeiter einstellen?

Menne: Idealerweise werden wir genau wie in der Vergangenheit erleben, dass sich die Arbeitsbedingungen üfr Menschen verbessern. Technologie hat bislang immer einen Fortschritt geschaffen und Arbeit erleichtert. Gut wäre eine augmentend intelligence statt einer artificial intelligence – also die angereicherte Intelligenz des Menschen durch Maschinen. Ich kann mir aber auch ein bedingungsloses Grundeinkommen vorstellen, die es Menschen erlaubt, unabhängiger zu agieren. Per se habe ich ein positives Menschenbild und glaube, die allermeisten Menschen wollen nicht auf Kosten anderer faulenzen. Mehr Freiheit, mehr Vertrauen, eine Wertschätzung der Kreativität der Mitarbeiter, das wäre meine Vision einer neuen Arbeitswelt.

Wie viele Glasdecken mussten Sie durchbrechen, um als erste Frau Finanzvorstand in einem Dax-Konzern zu werden?

Menne: Es war, glaube ich, nur eine Glasdecke. Das war die Vorstandsernennung. Aber ich bin tatsächlich überrascht, wie schwierig es für Frauen immer noch ist, gleichberechtigt in den unterschiedlichsten Bereichen anerkannt zu werden und zu arbeiten.

Ärgert es Sie, dass Frauen im 21. Jahrhundert noch um Akzeptanz und Gleichstellung kämpfen müssen?

Menne: Inzwischen ist die Erkenntnis über die Vorteile einer diversen Zusammensetzung von Teams zu deutlich, dass sowohl Frauen also auch Männer an sich keine Argumente haben, hier nicht mit Hochdruck daran zu arbeiten. Aber es scheint wie beim Klimawandel zu sein – Bequemlichkeit und Emotionen haben eine größere Kraft als gedacht. Hier gilt „Culture eats strategy for breakfast“, die Kultur ist stärker als das Rationale.

Als Aufsichtsrätin können Sie Einfluss nehmen auf die unternehmenspolitische Entwicklung in Deutschland. Wo sehen Sie hierbei den größten Bedarf?

Menne: Die Unternehmenskultur ist einer der schwierigsten Bereiche, da sie maßgeblichen Einfluss auf alle Entwicklungen im Unternehmen hat. Mit einer Kultur des Vertrauens, der Wertschätzung und der Teilhabe erhöht sich die Bereitschaft für Innovation und Kreativität. Mit einer Kultur, die eine kollektive Identität fördert, kann man das Handeln im Sinne des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit anstelle einer individuellen Optimierung beeinflussen. Mit einer diversen Kultur erreichen sie Perspektivwechsel, sodass Kundenanforderungen besser berücksichtigt werden können.

Sie sitzen in vier Aufsichtsräten. Allen gemein: Keiner hat mehr als die nötigen 30 Prozent Frauenanteil. Sehen Sie sich als Quotenfrau?

Menne: Wenn ich als Quotenfrau ernannt worden wäre, hätte ich kein Problem damit. Ich kann dann ja auf der Position beweisen, dass ich auch gut bin. Ich habe aber in keinem Gremium das Gefühl, dass dem so wäre. Und ich sehe auch nicht, dass die Frauen in den Gremien anderes behandelt werden. Allerdings teilen nicht alle Kollegen und Kolleginnen meine Vorstellungen, sodass ich zwar alles vorbringen, nicht aber alles durchsetzen kann. Das ist aber normal.

Viele Frauen bewerben sich nicht um höhere Positionen, weil sie denken, sie seien noch nicht so weit. Wie stark sind solch hemmende Denkmuster?

Menne: Es scheint tatsächlich so, dass Frauen sich schlechter einschätzen als Männer. Das ist für Studentinnen und für Wissenschaftlerinnen schon erwiesen. Ich höre bei der Diskussion über Frauen auf Vorstandsposten häufig, die Kandidatin sei noch nicht so weit. Das hört man über Männer seltener.

Hatten Sie solche Gedanken auch?

Menne: Ich bin sehr selbstbewusst, vielleicht sogar zu sehr, daher hatte ich tatsächlich solche Gedanken nicht. Respekt vor den Aufgaben häufig, aber nie das Gefühl, ich bekäme es nicht hin. Das lag an meinen Eltern, meiner Familie und meinen Lehrern. Wir müssen Frauen ermutigen und ihnen zeigen, dass wir an sie glauben. Und wir müssen junge Mädchen selbstbewusster erziehen.

Noch immer kümmern sich hauptsächlich Frauen um die Erziehung der Kinder. Ist eine Karriere wie Ihre überhaupt möglich, wenn man Rücksicht auf Kinder nehmen muss?

Menne: Das ist offensichtlich möglich, denn es gibt genug Beispiele: Claudia Nemath, Jennifer Morgan, Ursula von der Leyen. Allerdings stehen Mütter insbesondere in Deutschland unter großem sozialen Druck der Gesellschaft, die immer noch behauptet, es ginge nicht. Meine Mutter hat immer gearbeitet, ich war auf einer Ganztagsschule – das hat mit nicht geschadet, im Gegenteil.

Ihr Vater war Drechsler, ihre Mutter hat bei einem Steuerberater gearbeitet. Sie sind dadurch nicht nur eine Minderheit als Frau in einer Führungsposition, sondern auch als Arbeiterkind in Aufsichtsratskreisen. Inwieweit war Ihre Herkunft prägend für Ihren Lebensweg? Mussten Sie sich mehr bemühen als andere?

Menne: Ich habe das nie so wahrgenommen. Meine Eltern haben mir sehr viel Vertrauen mitgegeben und mein Selbstbewusstsein gefördert. Ich war, wie gesagt, auf einer Ganztagsschule, von denen ich mir viel mehr wünschen würde. Die Lehrer waren hochengagiert. Es sollte auch Kindern, bei denen die Eltern vielleicht nicht so helfen können, eine generelle und nicht nur fachspezifische Bildung geboten werden. Sicher habe ich dann im Laufe meiner Karriere gemerkt, dass andere Kollegen andere Erfahrungen und Netzwerke hatten. Aber ich denke, es hilft auch, eine gesunde Bodenständigkeit zu haben und zu behalten. Ich nehme nicht wahr, dass es irgendwo zu meinem Nachteil war.

Versuchen Sie, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten etwas dafür zu tun, dass die Herkunft in Zukunft nicht mehr so entscheidend ist?

Menne: Ich denke, die Arbeit muss im kommunalen Bereich und in den Schulen erfolgen. Unternehmen können natürlich einiges tun, um Schulen zu fördern und Eltern die Möglichkeiten einer guten Erziehungszeit zu bieten.

Sie haben gerade in Kiel eine Galerie eröffnet. Welche Ihrer bisherigen Erfahrungen können Sie hier einbringen? Was lernen Sie Neues? Welche Ziele haben Sie noch für die Zukunft? Welche Erfahrungen möchten Sie noch machen?

Menne: Ich muss viel organisieren und mehrere Bälle auf einmal in der Luft halten. Das ist nicht viel anders als früher. Ich muss aber auch viel mehr selbst machen, das ist erfrischend. Ich lerne viel über die Kunstszene, die Abgrenzung von Kunsthandel und Galerie. Und lerne völlig neue Menschentypen kennen. Es ist super spannend. Es wäre natürlich toll, wenn ich es schaffe, mir auch als Galeristin einen Ruf zu erarbeiten und die von mir geförderten Künstler erfolgreich zu machen.

Interview: Denise Fiedler

Zur Person
Simone Menne ist eine deutsche Managerin. Nach mehreren Jahren als CFO und Aufsichtsratsvorsitzende bei verschiedenen Gesellschaften der Lufthansa, sitzt sie heute im Aufsichtsrat bei BMW, Deutsche Post DHL, JCI und Springer Nature. Zudem schaffte sie es als erste Frau in den Finanzvorstand eines Dax-Konzerns (Lufthansa).