„Wo ist das Häschen?“

Gerade in der Pubertät empfinden viele Heranwachsende Lesen als anstrengend und langweilig. Selbstverständlich gibt es Cooleres, als ein Bücherwurm zu sein. Doch das Erfassen und Verstehen von Texten ist für die Entwicklung essenziell – und zwar schon als Baby.

Vorlesen ist ein zentraler Impuls für die sprachliche Entwicklung von Kindern. Zu diesem Ergebnis kommen verschiedene Studien, etwa die der Stiftung Lesen der Wochenzeitung „Die Zeit“ sowie der Deutsche-Bahn-Stiftung. Außerdem werden dadurch Lesemotivation und -verhalten, kognitive Fähigkeiten und soziale Kompetenzen angeregt. Das Vorlesen trägt dann am besten Früchte, wenn es Eltern möglichst regelmäßig – idealerweise täglich – praktizieren und wenn sie früh damit beginnen.

Warum das so ist, erklärt Tatjana Linke, Geschäftsführerin der Akademie für Innovative Bildung und Management (aim) in Heilbronn: „Eine frühe, positiv besetzte Erfahrung mit Büchern fördert die Motivation, später selbst zu lesen. Kinder mit dieser Haltung sind lesekompetenter und können besser Worte entziffern sowie Texte verstehen. Diese Fähigkeiten sind nicht nur im Deutsch-, sondern auch im Matheunterricht, vor allem beim Verstehen von Textaufgaben, und in den naturwissenschaftlichen Fächern von Vorteil.“

Freude am Lesen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für einen Bildungserfolg und kann nicht früh genug Teil der Lebenswelt auch ganz kleiner Kinder sein, ist Linke überzeugt. Zwar könnten sich diese noch nicht auf lange Geschichten konzentrieren, aber sie lieben Bücher, die sich gut anfühlen oder in die man auch mal hineinbeißen kann. „Dafür bieten sich insbesondere stabile Leporello-Bücher mit knisternden oder weichen Materialen an, die haptische Erfahrungen ermöglichen.“ Diese einfachen Bilderbücher kämen auch der Kommunikation zwischen Eltern und Kindern zugute und mündeten in simple, für den Nachwuchs jedoch absolut faszinierende Frage- und Antwortspiele nach dem Prinzip „Wo ist das Häschen?“.

Lesen als Ritual

Vor allem Kleinkinder brauchen nicht unbedingt viele Bücher, findet Linke. „Sie haben oft ihr Lieblingsbilderbuch, das sie immer wieder vorgelesen bekommen möchten und das sie bald in- und auswendig kennen“, weiß die aim-Geschäftsführerin. Mit zunehmenden Sprachfertigkeiten wachse das Interesse an neuen Geschichten. Daraus würden sich immer wieder Gesprächsanlässe ergeben und damit viele Gelegenheiten für die Kleinen, Fragen und Ansichten zu formulieren. „Gerade im Alter zwischen zwei und fünf stellt das die beste Förderung dar.“ Eltern sowie Oma und Opa sollten dabei Bücher wählen, die Vorleser und Zuhörer gleichermaßen erfreuen.

„Kinder, die Bücher möglichst früh als eine Situation erleben, die Geborgenheit vermittelt – beispielsweise bei Ritualen wie dem Vorlesen vor dem Einschlafen – tragen das damit verbundene Gefühl für immer in sich“, so Linke. Dieser emotionale Aspekt habe großen Einfluss darauf, dass sie zunächst Vorlese- und später Lesefreude entwickeln.

Sonja Alexa Schmitz