Ulrike Hinrichs, Chefin des Branchenverbands Beteiligungsgesellschaften, sieht in deutschen Start-ups einen wichtigen Baustein für die künftige Entwicklung. Warum sie findet, dass Überregulierung dem Vorankommen im Weg steht, verrät sie im Interview.
Frau Hinrichs, wieso brauchen wir den Zukunftsfonds Deutschland?
Ulrike Hinrichs: In den vergangenen Jahren hat sich viel getan auf dem deutschen Venture Capital Markt. Die Investitionen von Beteiligungsgesellschaften in junge und innovative Unternehmen betrugen im Jahr 2020 1,8 Milliarden Euro. Das ist nur knapp unter dem bisherigen Höchstwert aus 2019 und unter Berücksichtigung der zahlreichen Herausforderungen durch die Coronapandemie ein durchaus beeindruckendes Ergebnis. Dennoch haben wir insbesondere in der Wachstumsphase der Start-ups eine erhebliche Finanzierungslücke, in der aktuell nur internationale Investoren aktiv sind. In dieser Phase hat sich das Unternehmen bereits auf dem markt bewährt und es geht um eine rasche Expansion und Skalierung. Der Mangel an Kapital führt dazu, dass die innovativen Unternehmen nicht wachsen können und von ausländischen Kapitalgebern abhängig sind. Hier setzt der Zukunftsfonds an.
Nun liegt Deutschland im Ranking bei Start-ups inzwischen ja hinter Nachbarländern wie Frankreich. Woran liegt das?
Hinrichs: Bei vielen unserer Nachbarländern gibt es eine höhere Akzeptanz für die Belange der Branche und ein besseres politisches Umfeld. Sie sprechen Frankreich an, das Land sammelt aktuell deutlich mehr Wagniskapital als wir. Präsident Macron hat das Thema Venture Capital zur Chefsache erklärt und setzt sich intensiv für die Branche ein. Der französische Präsident hat bei diesem Thema und bei der Digitalisierung eine Führungsrolle in Europa eingenommen. Die Förderung neuer technologieunternehmen soll ein Kernthema der französischen EU-Präsidentschaft im Jahr 2022 werden. Von der neu gewählten Bundesregierung wünsche ich mir eine aktive Gestaltung der Rahmenbedingung, damit wir hier nicht abgehängt werden.
Reichen denn die Maßnahmen, um international wettbewerbsfähig zu sein? Die angestrebte Größe von rund 10 Milliarden Euro wirkt eher klein im vergleich zu dem, was etwas asiatische Staatsfonds an Kapital bieten können.
Hinrichs: Bei den 10 Milliarden Euro handelt es sich um den betrag, der von der Bundesregierung über die kommenden zehn Jahre zur Verfügung gestellt wird. Damit soll frisches privates Kapital von bis zu 20 Milliarden Euro mobilisiert werden. Mit den bereits bestehenden Programmen sprechen wir dann von einem Betrag von bis zu 50 Milliarden Euro. Das ist sicherlich noch immer kleiner als die Beträge in Amerika oder China, aber man kann diese Märkte auch nur schwer miteinander vergleichen. Mit dem Zukunftsfonds kann Deutschland seine internationale Wettbewerbssituation erheblich verbessern und zu seinen Nachbarländern aufschließen. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen wir bei den Venture Capital Investitionen im europäischen Mittelfeld, hinter Ländern wie beispielsweise Schweden und Spanien. Wir reden hier von Unternehmen, die in ein paar Jahren zum aktuellen deutschen Mittelstand aufschließen sollen und in Zukunftstechnologien investieren. Die aktuelle Position sollte nicht unser Anspruch sein.
Statt zweifeln die Chancen erkennen
Wir müssten weg von der „Bedenkenträgermentalität“, sagten Sie im Interview mit dem Venture Capital Magazin. Was meinen Sie damit?
Hinrichs: Ich habe oftmals das Gefühl, dass in Deutschland bei Projekten zuerst die Probleme und Schwierigkeiten im Fokus stehen und nicht die vielfältigen Chancen, die damit verbunden sind. Die Idee eines Zukunftsfonds zur Mobilisierung von institutionellem, privaten Kapital für Start-ups haben wir bereits vor fast fünf Jahren in die politische Diskussion gebracht. Erst jetzt ist es gelungen, diesen politisch umzusetzen. Auch im regulatorischen Bereich wie dem Beihilferecht erlebe ich oftmals eine Bedenkenträgermentalität. Wir als verband haben uns hier auch vorgenommen, das Narrativ mit unserer bundesweiten Kampagne „Die Chancenmacher“ zu ändern. Wir möchten aufzeigen, welche Chancen durch privates beteiligungskapital ermöglicht werden und wer die Person hinter diesen Initiativen sind. Es ist unglaublich spannend zu sehen, wie Frauen und Männer hier mit Mut und Pioniergeist das Land voranbringen.
Was wäre denn nötig, damit die Szene wachsen kann und es mehr internationale Erfolge in der deutschen Gründerszene gibt?
Hinrichs: Hier würde ich generell drei übergeordnete Kernpunkte definieren: Kapital, wettbewerbsfähige rechtliche Rahmenbedingungen sowie Standortattraktivität für Fachkräfte. Damit Unternehmen wachsen können, braucht es Kapital. Wir sind vorhin bereits auf die Finanzierungslücke bei der Wachstumsfinanzierung eingegangen – diese soll mithilfe des Zukunftsfonds geschlossen werden. Hier ist es jetzt entscheidend, die Module marktgerecht zu gestalten, damit institutionelle Investoren vermehrt in Venture Capital investieren. Im Übrigen profitiert hier auch die Gesellschaft wieder im Ganzen, wenn Pensionsfonds und Versorgungswerke eine höhere Rendite mit den Anlagegeldern erzielen. Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen für Venture Capital und Start-ups haben wir in Deutschland auch noch Luft nach oben. Im Vergleich zu den relevanten Nachbarländern haben wir hier noch Nachteile, die die Branche von ihrer kompletten Entfaltung abhalten. Zu guter Letzt müssen wir auch ein attraktiver Standort für die hochqualifizierten Talente sein. Junge und innovative Unternehmen sind auf top ausgebildete Arbeitnehmer angewiesen. Ein attraktives Modell zur Mitarbeiterbeteiligung ist hier wichtig, um geeignete Nachwuchskräfte zu bekommen.
Sie fordern bessere Rahmenbedingungen für Start-ups. Was genau müsste sich ändern, und wie setzen Sie sich als Mitglied in zahlreichen Gremien persönlich dafür ein?
Hinrichs: Die Politik gibt die Leiplanken vor, in deren Rahmen sich das Start-up-Ökosystem entfalten kann. Damit sich die volle Kraft entfalten kann, sind natürlich praxisnahe und marktgerechte Vorgaben wünschenswert. Zu viel Bürokratie und regulatorische Eingriffe behindern hier und schwächen uns im internationalen Wettbewerb. In der aktuellen Legislatur war beispielsweise das Fondsstandortgesetz ein sehr zentrales Thema für unsere Branche. Bei diesem Gesetz sind wir nur in Trippelschritten vorangekommen und die getroffenen Maßnahmen werden meiner Einschätzung nach keine große Wirkung auf den Markt haben. Hier erhoffen wir uns eine praxisgerechtere Ausgestaltung in der kommenden Legislatur. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in einer globalisierten Welt leben. Überregulierung schadet hier dem Innovations- und Investitionsstandort Deutschland.
Beim Zukunftsfonds geht es auch um privates kapital, das gehebelt werden soll. Wie können die Gelder beispielsweise bei uns in der Region Heilbronn-Franken ankommen?
Hinrichs: Die Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken ist ein innovativer Wirtschaftsstandort und belegt einen führenden Platz beim Innovationsindex des Bundeslandes Baden-Württemberg. Darüber hinaus existieren bereits eine Vielzahl an Universitäts- und Forschungseinrichtungen, wie beispielsweise eín Fraunhofer-Institut oder zahlreiche Steinbeis-Zentren. Solche Cluster sind wichtig, attraktive Innovationszentren und bieten beste Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung junger innovativer Unternehmen. Durch Beteiligungsgesellschaften, die bereits jetzt regelmäßig, aber zukünftig noch kapitalkräftiger in diese Cluster und deren Unternehmen investieren werden und als strategische Partner zur Seite stehen, wird zusätzliches Kapital in die Region kommen und zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen.
Interview: Melanie Boujenoui