Zukunftsforscher spricht über Wirtschaftstrends

Forscher, Vordenker und Blogger – Sven Schimpf leitet den Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung. Foto: Fraunhofer Institut

Vor drei Jahren hat der Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung fünf Thesen aufgestellt, wie sich Innovationstrends bis zum Jahr 2030 entwickeln werden. Nun gibt es dazu ein Update. Sven Schimpf liefert uns im Interview einen Einblick.

 

Sie machen sich Gedanken zu den Auswirkungen der Pandemie – welche Themen werden neu beeinflusst?

Sven Schimpf: Insgesamt haben die Mitarbeiter der sechs Institute aus dem Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung seit Ausbruch der Pandemie in zahlreichen Bereichen untersucht, wie sich die Pandemie auswirkt. Hierzu gehört das Thema Homeoffice genauso wie Technologiesouveränität oder die Auswirkung von Covid-19 auf die Digitalisierung. Zum Thema Innovation selbst hatten wir im Impulspapier „Wandel verstehen – Zukunft gestalten“ 2018 fünf Thesen dazu aufgestellt, wie Innovation sich bis zum Jahr 2030 weiterentwickeln wird.

Dieses Jahr haben wir die Thesen mit Hinblick auf die Auswirkungen von Covid-19 auf den Prüfstand gestellt. Die relevanteste Veränderung sehen wir im Bericht der Digitalisierung von Innovationsaktivitäten: Durch Covid-19 können wir sehr viel schneller mit komplett digitalisierten Innovationsprozessen und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz und Machine Learning bei der Entwicklung und Umsetzung von Ideen rechnen. Es ist zu erwarten, dass Innovationen 2030 durchgängig digital gestützt initiiert und umgesetzt werden können. Beispielhaft zeigt sich die Entwicklung dorthin bereits heute durch Bücher, die durch künstliche Intelligenz geschrieben oder Designskizzen, die durch neuronale Netzwerke erstellt werden. Durch die steigende Komplexität von Produkten und Lösungen rechnen wir mit offeneren Innovationsprozessen und einer größeren Anzahl an beteiligten Akteuren als wir das heute in den Innovationsabteilungen von Unternehmen sehen. Ebenso gehen wir davon aus, dass wir eine Fortführung des Trends in Richtung integrierter und nutzerorientierter Lösungen sehen, anstatt singulärer Produkte oder Dienstleistungen.

Zudem deuten die aktuellen Entwicklungen auf mehr Verfügbarkeit von Wissen hin. Was hat es damit auf sich?

Sven Schimpf: Die weitere Verbreitung von Open-Science-Ansätzen, getrieben durch entsprechende Anforderungen in öffentlich geförderten Forschungsprojekten, wird die Verfügbarkeit von Wissen in Form von Publikationen, Forschungsdaten und Software schnell ansteigen lassen. Im Innovationsprozess wird daher in Zukunft nicht der Zugang zum Wissen der entscheidende Erfolgsfaktor sein, sondern vielmehr die Fähigkeit, relevantes Wissen zu identifizieren, zu bewerten und nutzbar zu machen.

 

Auch das Chefbild ändert sich

 

Auch am Jobprofil einer Führungskraft wird sich künftig einiges ändern?

Schimpf: Das ist richtig. Die Führungsmuster der Vergangenheit waren und sind häufig durch ein hohes Maß an Kontrolle geprägt. Es zeichnet sich ab, dass künftig weniger hierarchische Linien in der Verantwortung von Führungskräften liegen werden als vielmehr ein Netzwerk aus Partnern im Innovationprozess. Themen wie Vertrauen, Motivation und gemeinsame Ausrichtung rücken dann verstärkt in den Mittelpunkt des Jobprofils. Als persönlichen Wunsch auf dem Weg in Richtung auch größerer Innovationen, würde ich hier noch Kreativität und Vorstellungskraft hinzufügen.

Ergeben sich aus der Transformation neue Chancen für den ländlichen Raum?

Schimpf: Durchaus. Die Digitalisierung der Kommunikation und Zusammenarbeit, die wir in den letzten eineinhalb Jahren erleben durften, hat dazu geführt, dass es für viele Aufgaben keine Rolle mehr spielt, von wo aus diese durchgeführt werden. Diese Entwicklung, kombiniert mit attraktiven Wohnumgebungen und kostengünstigerem Unterhalt, führt zu einer gesteigerten Attraktivität des ländlichen Raumes. Dazu kommt, dass es heute sehr viel einfacher ist, Prototypen mit Hilfe von 3D-Druckern, Lasercuttern oder einfachen Rechnern in die Umsetzung zu bringen – ohne Abhängigkeiten von kostenintensiver und ortsabhängiger Infrastruktur.

Apropos Struktur. Wie wird sich die Struktur bei Unternehmen bis 2030 wandeln?

Schimpf: Die Fähigkeit zur Innovation wird 2030 ein noch wichtigerer Wettbewerbsfaktor als heute sein, da viele Nationen schnell aufholen. Es gilt, Wege zu finden, die tradierte Pfadabhängigkeiten aufbrechen, branchenübergreifende Anwendungskontexte zu entwickeln und neue Geschäftsmodelle von der Bedarfsseite her zu denken. In vielen Fällen sind Nutzer nicht am Produkt selbst, sondern an dessen Funktion interessiert. Wenn wir jetzt das Beamen erfinden würden, um von A nach B zu kommen, ohne den heute üblichen Ressourcen- und Zeitverbrauch, dann wären die gegenwärtigen Mobilitätslösungen schnell ein Relikt der Vergangenheit. Ebenso verhält es sich mit den Aufgaben, die sich aus der Nutzung vieler Produkte selbst ergeben. Produkte sollten dahingehend immer wieder kritisch in Frage gestellt werden. Erfolgreich sind die Unternehmen, die bereits jetzt das lösungsunabhängige Problem der Nutzer angehen.

 

Unternehmen in Heilbronn-Franken müssen aktiv werden

 

Schaffen die hiesigen Unternehmen den Wandel?

Schimpf: Das hängt sehr stark von den Unternehmen selbst ab. Ohne aktives Zutun wird es sicherlich schwer die Rolle als Innovationsführer in Deutschland oder Europa aufrecht zu erhalten oder gar auszubauen. Genau diese Diskussion möchten wir mit unseren Veröffentlichungen zur Zukunft der Innovation und den dazugehörigen Frage­stellungen anregen.

Bei aller Liebe zum Fortschritt steigen dennoch die Schallplattenverkäufe. Wird uns in Zukunft die Sehnsucht nach dem Analogen einholen?

Schimpf: Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass zur erfolgreichen Umsetzung von Ideen nicht immer nur Effizienz und Effektivität im Mittelpunkt stehen müssen. Emotionen spielen eine zentrale Rolle und natürlich sehen wir derzeit eine steigende Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen im Umgang mit Innovationen. Die steigenden Schallplattenverkäufe zeigen, dass digitale Lösungen in vielen Bereichen vielleicht doch eher komplementär anstatt ersetzend sein können – jeder, der jedoch versucht hat, eine Schallplatte beispielsweise beim Joggen anzuhören, wird nicht leugnen, dass auch die digitalen Lösungen den ein oder anderen Mehrwert mit sich bringen, den niemand mehr missen möchte.

Interview: Melanie Boujenoui