
Eine invasive Umgebung, in der wir zwischen Realität und Virtualität eintauchen können: Prof. Dr. Katharina Hölzle von Fraunhofer IAO möchte Baden-Württemberg auf den Weg ins Metaversum voranbringen. Im Gespräch erklärt sie, wieso es wichtig ist, Ängste bei den Unternehmen abzubauen.
Beim Digitalgipfel 2023 sprachen Sie über den Weg ins Metaversum: Wie würden Sie das Metaversum definieren?
Katharina Hölzle: Der Begriff Metaverse wurde 1992 in Neal Stephensons Science-Fiction-Roman Snow Crash geprägt, der von einer virtuellen Welt handelt, in der Menschen als programmierbare Avatare miteinander interagieren. Damit ist der Begriff sehr stark aus dem Gaming-Bereich getrieben. Wenn man schaut, was Mark Zuckerberg mit Meta ursprünglich vorhatte, eine Art virtuelle Parallelwelt zu schaffen, geht das in eine ähnliche Richtung. Aus meiner Sicht ist das Metaversum die Vision einer Umgebung, in der wir zwischen Realität und Virtualität eintauchen können. Diese Umgebung ist nicht ganz künstlich und nicht ganz real, sondern eine Schnittstelle dieser Welten, in der wir Menschen als künstlich geschaffene Avatare zusammenarbeiten, spielen und interagieren können.
Erste ähnliche Welten gibt es bei Onlinespielen bereits. Welche technologischen Grundlagen sind hier erforderlich, um das Metaversum auch in anderen Bereichen zu realisieren?
Hölzle: Ganz wichtig ist zu betonen, dass es ganz viele Technologien hierfür bereits gibt. Von Digitalen Zwillingen, Kollaborationsplattformen bis zu den digitalen Kommunikationsmitteln, die wir gerade in unserem Gespräch nutzen. Das sind alles Technologien, die zum Metaversum dazugehören. Im Endeffekt werden wir die passende Hardware und eine Software benötigen, die es ermöglicht, eine Simulation dieser digitalen Welt zu schaffen, über die wir dann beispielsweise Daten austauschen und digitale Währungen nutzen können.
Tech-Giganten investieren aktuell riesige Summen, um am Metaversum mitverdienen zu können. Microsoft will beispielsweise eine virtuelle Welt für das Arbeitsleben erschaffen und Meetings in den virtuellen Raum verlagern. Welche Auswirkungen wird das Metaversum künftig auf die Art und Weise haben, wie wir interagieren und Informationen austauschen?
Hölzle: Die Auswirkungen werden sehr groß sein. Im Moment können wir noch nicht überblicken, was das im Gesamten letztlich bedeutet. Allein die Zusammenarbeit, die wir bereits jetzt haben, war vor drei, vier Jahren noch undenkbar. Immerhin können Mitarbeitende von überall auf der Welt zusammenarbeiten, Ingenieurinnen und Ingenieure in Deutschland die Fertigungsstraße in China aufbauen und automatisch eine Meldung erhalten, wenn dort neue Ersatzteile gebraucht werden. Diese Nahtlosigkeit der Systeme führt dazu, dass die Frage, wer hat einen Wettbewerbsvorteil aufgrund er geografischen Lage oder anderen Punkten, in gewisser Weise verschwimmt.
Was bedeutet das für die Forschung und Bildung?
Hölzle: Auch im Bereich Lehre, Forschung, Ausbildung sehen wir diese Veränderung. Es stellt sich vermehrt die Frage, warum beispielsweise Studierende im Hörsaal oder Schüler im Klassenzimmer sitzen müssen. Und auch das Lernen an sich wird sich ändern: Beispielsweise können Kinder künftig möglicherweise auf dem Tablet im Biologiebuch direkt in das Arteriensystem des Menschen eintauchen und als Art Uboot-Pilot lernen, wie der Weg durch die Arterien geht. Hier gibt es gerade auch im Bereich der Individualisierung des Lernens großes Potenzial. Ein Beispiel wäre, dass Menschen einen digitalen Assistenten haben, der ihnen sagt, in welchen Bereichen sie noch stärker reingehen oder welche spannenden Themenfelder es noch zu lernen gibt.
Und wo sehen Sie in der Wirtschaft das größte Potenzial für die Nutzung des Metaversums?
Hölzle: Das ist schwierig zu beantworten, doch in den klassischen deutschen Stärken – den Ingenieurswissenschaften – passiert hier gerade sehr viel. Auch in Zukunft wird es noch Produktionshallen und Maschinen geben, die Frage wird jedoch sein, ob diese noch von Menschen gesteuert oder komplett automatisiert werden. Gerade die Ansteuerung kann hier künftig gut virtuell übernommen werden.
Der soziale Bereich dagegen wird in Zukunft sicher nicht komplett virtualisiert werden können, doch auch in den Gesundheitstechnologien werden große Sprünge gemacht. Es werden zum Beispiel Roboter entwickelt, die 24 Stunden am Stück operieren können und dabei Milliarden Daten zur Verfügung haben, um innerhalb kürzester Zeit zu erkennen, dass genau dieser Fall vor drei Monaten in Tokio bereits behandelt wurde. Das bringt großes Potenzial aber auch große Ängste mit sich.
Ein Punkt, der mir hier sehr wichtig ist, und der ein ganz großes Problem aufwirft, ist die Tatsache, dass wir im Kontext der Digitalisierung weit zurückhängen, was gerade jetzt, wo es auf den Kern der deutschen Wettbewerbsfähigkeit geht, große Risiken mit sich bringt.
Mit dem Projekt „Cyberländ“ auf dem Weg ins Metaversum möchten Sie Baden-Württemberg hier weiter voranbringen. Welches konkrete Ziel verfolgen Sie mit dem Projekt?
Hölzle: Letztlich geht es um uns um drei Punkte: Eine IST-Analyse zu machen, wo wir in Baden-Württemberg stehen. Hier porträtieren wir Unternehmen, die Technologien herstellen oder nutzen und zeigen, was es in Baden-Württemberg in Kontext der Bildung, Kreativwirtschaft, im Maschinenbau aber auch im Bereich Gesundheitstechnologien und Energiewirtschaft schon gibt. Der zweite Schritt ist eine Szenario-Analyse: Wo stehen wir in zehn Jahren? Was sind mögliche Ausprägungen, was das was Metaversum in Baden-Württemberg sein kann. Hier möchten wir gezielt kreativ denken, um bewusst Impulse zu setzen. Der letzte Schritt umfasst das übergeordnete Ziel, Ängste abzubauen. Hier möchten wir Menschen und Unternehmen mit ins Boot holen und Netzwerke bauen, um Vorbilder zu schaffen und zu zeigen, was gemeinsam möglich ist.
Stichwort Vorbilder schaffen: Welche Schritte sollten Unternehmen anstreben, um sich auf die Zukunft des Metaversum vorzubereiten und welche Kompetenzen sind erforderlich?
Hölzle: Als erstes möchte ich Unternehmen zurufen: Seid mutig und traut euch was. Und ganz wichtig: Bildet Netzwerke, denn allein werdet ihr das nicht schaffen. Sprecht andere Unternehmen oder uns als Wissenschaft, die Politik oder die Gesellschaft an. Ich sehe das, wie bei den Fischen, die gemeinsam einen großen Fisch bilden und dadurch den Hai erschrecken. Das ist meine Vision für Baden-Württemberg.
Interview: Teresa Zwirner

Zur Person
Prof. Dr. Katharina Hölzle leitet seit dem 1. April 2022 das Institut für Arbeitswissenschaft IAT der Universität Stuttgart und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.